Prinz Schamyls Brautwerbung. Richard Henry Savage

Prinz Schamyls Brautwerbung - Richard Henry Savage


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ihrer Angelegenheiten, hauptsächlich die Bezahlung ihrer Schulden, dem siegesfrohen Mustapha überlassen, der ruhig erklärte: „Je me charge de tout.“

      Der Dwornik hatte Befehl erhalten, in allen Stücken den Anordnungen von Mustaphas Geschäftsführer nachzukommen, der mit der Ordnung von Frau von Vronskys persönlichen Angelegenheiten betraut worden war. Der Aermste!

      Es war ein trüber Morgen. In den geschäftigen Gruppen auf den Strassen berührte bald hier ein Bekannter grüssend den Hut, bald lächelte ihr dort eine befreundete Dame zu, aber niemand ahnte ihre Abreise, und ungeleitet und traurig verliess die Gräfin die Stadt, wo sie ihren guten Namen für immer hinter sich liess. Nadja Vronsky wusste wohl, mit welch kaltem Hohn die zischelnden Schlangenzungen der Damen der grossen Welt sich über ihren eigentümlichen Geschmack in der Wahl des rohen Ghazi lustig machen würden.

      War sie eine Marionette in der Hand der Polizei, ein Opfer des schlauen Mustapha, der Sündenbock des alten Gortschakoff, der noch nicht bereit war, Ghazi offen der Schande preiszugeben? „Quien sabe!“

      Ob sie wohl verfolgt und bewacht wurde? Ob die Russen hofften, durch sie den Aufenthalt Ghazis festzustellen? Ach, auf all diese Fragen konnte sie keine Antwort finden, und seufzend liess sie ihr Haupt auf die Polster sinken. Sie wusste nur das eine: dieser Ausweg war der einzig mögliche für sie, denn Konstantinopel war vielleicht zu ertragen — Sibirien nie und nimmer. Das gleichmässige Gerassel der Räder wiegte sie schliesslich in Schlummer, und in ruhelosen Träumen wanderte sie ins Land der Freiheit — in die Zukunft; Ghazi befand sich ihr zur Seite, und Ghazi war zärtlich gegen sie.

      Seltsame Verkehrtheit des Frauenherzens, das sich ans Unmögliche klammert und stets vom Unerreichbaren träumt!

      Während Mustaphas Beute, für deren Bequemlichkeit er in ausgiebigster Weise gesorgt hatte, gen Süden entfloh, war er mit der Lösung hochwichtiger diplomatischer Fragen beschäftigt und sandte dem Wandervogel nur einen flüchtigen Gedanken nach.

      „Sie hat mir eine offizielle Erklärung erspart, wird drunten gute Dienste leisten und ist auch sonst nicht übel. Mein Geschäft hier wird bald erledigt sein, denn die Stunde naht, wo das Schwert die feingeschlungenen Lügenknoten der Diplomatie durchhauen wird, und dann werden wir in den Hainen der Dardanellen köstliche Stunden verleben, vorausgesetzt, dass die weisse Gräfin die Sache nicht tragisch nimmt; doch wird es ja wohl Mittel und Wege geben, diesen Falken zu zähmen.“

      Mittlerweile lag Ahmed Schamyl Tag um Tag seinen militärischen Pflichten aufs strengste ob.

      Gleich allen grossen Städten Russlands hatte sich Petersburg zur Zeit in ein Feldlager verwandelt, in eine Art Hochschule der Kunst — erschossen zu werden.

      Scharenweise waren die blauäugigen, kräftigen Russen mit ihren buschigen Schöpfen in den letzten Monden eingezogen worden, um das eine Ende einer Flinte vom andern unterscheiden zu lernen, und Turnen und Exerzieren wechselten unaufhörlich miteinander ab. In der Militärreitschule zu St. Petersburg erhielten auch die Musterbataillone den letzten Schliff, ehe sie der türkischen Kavallerie gegenübertreten sollten.

      Als ausgezeichneter Soldat, als Reiter von klassischer Eleganz und als gewandter, in der Blüte der Jugend stehender Mann war Ahmed Schamyl der zweite im Kommando dieser „Elite der Elite!“

      Während er sein prächtiges Tier in der Mitte der Reithalle zügelte, um seine Reiter ein wenig verschnaufen zu lassen, sah Prinz Schamyl seinen Freund, den Hauptmann Platoff, ebenfalls beritten an der fernen Eingangsthüre halten, und im nämlichen Augenblick meldete eine Ordonnanz, Platoff lasse ihn um eine kurze Unterredung bitten. Im nächsten Moment schon befand sich Ahmed an Platoffs Seite und sprang aus dem Sattel.

      Paul flüsterte ihm einige Worte ins Ohr, und sein Antlitz bedeckte sich mit tödlicher Blässe. — „Ein Adjutant ist auf dem Weg hierher mit Befehlen für Major Ahmed Schamyl!“

      Paul war durch seinen Bruder Iwan sofort benachrichtigt worden und schleunigst hierher geeilt, weil er wusste, dass keine Zeit zu verlieren war.

      „Vergiss nicht, was du mir bei deiner Ehre versprochen hast — Ruhe, keine Uebereilung!“

      „Ich werde dir gehorchen, Paul, nur kann ich meine Ehre nicht überleben.“

      Damit winkte er sein Pferd herbei, denn eine Gruppe von Generalen erschien unter dem Thor, um eine Inspektion vorzunehmen.

      „Noch steht ja alles gut; nur sind Ghazis Verschwinden und seine Schande jetzt allgemein bekannt geworden,“ flüsterte Paul.

      Prinz Ahmed sprang in den Sattel, flog in die Mitte der Halle, liess seine tapferen Reiter salutieren und erwartete weitere Befehle.

      Es war ein wahrhaft erhebender Anblick, wie diese erlesenen, stattlichen Männer mit dem Säbel in der Hand die strengen, düster blickenden Vorgesetzten begrüssten, die im Begriff standen, sie alle dem beturbanten Feind entgegenzuwerfen und sie hinauszusenden auf den letzten, verwegenen Ritt, an dessen Ende der Tod ihrer harrte.

      Ja, Russlands bestes Blut strömt auf den Schlachtfeldern so reichlich dahin, wie die eisigen Wogen der Newa, wenn sie die Fesseln des Winters sprengen und sich in die See ergiessen.

      Hassan, der narbenvolle Cirkassier, hielt Ahmeds zweites Pferd und betrachtete seinen Herrn mit bewundernden Blicken. Im Grunde seines Herzens fluchte der unbotmässige alte Krieger, als er Gurko, Lazareff, Skobeleff und andre der Männer erkannte, die bestimmt waren, in diesem grimmen Kriegsspiel die Russen gegen die Türken zu führen. Verdammte Giaurs!

      Gewiss, Hassan wollte seinem Herrn getreulich durch den Kugelregen und den Pulverdampf folgen, aber wäre es nicht um den jungen Prinzen, so würde seine alte Hand auf der andern Seite den krummen Säbel schwingen.

      Nach dem Salutieren verliess ein Offizier den Kreis der goldgestickten Uniformen, näherte sich Schamyl und übergab ihm einen Befehl.

      Der Prinz wirft einen Blick darauf, wendet sich zu seinem Adjutanten, überreicht ihm den Befehl und hält regungslos auf seinem Pferd, während der Adjutant vorreitet und ihn vorliest. Alle Offiziere brennen vor Verlangen, seinen geheimen Sinn zwischen den Zeilen zu lesen.

      „Ausserordentlicher Tagesbefehl.

      „Major Prinz Ahmed Schamyl ist seines Dienstes beim Musterbataillon enthoben und hat sich zur Entgegennahme besonderer Instruktionen sofort beim Generalkommando zu melden.“

      Totenstille herrscht in dem weiten Raum; sobald der Name von Schamyls Nachfolger genannt ist, reitet dieser Offizier aus dem Glied und übernimmt das Kommando.

      Ahmeds Finger liegt auf dem Hahn seiner Pistole — der Augenblick ist da, wo es heisst, der Schande entfliehen — Blut sühnt ja jede Schuld!

      Und doch — sein Paul gegebenes Versprechen hält ihn zurück. Er will noch zuwarten, aber in Gegenwart des grimmen, alten Gurko, bei dem er sich zu melden hat, wird er sich an der Grausamkeit des Schicksals rächen; denn er ist entschlossen, seine Ehre nicht zu überleben.

      Nun reitet er zu den Generalen hinüber, steigt ab und schickt sein Pferd hinaus, mit dem Befehl, ihn draussen zu erwarten.

      Dann tritt Prinz Schamyl an den Offizier hinan, der den Befehl überbracht hat, salutiert und fragt, wann und wo er sich zu melden habe.

      Der Offizier wechselt einige Worte mit dem Generalstabs-Chef und heisst Schamyl sich sofort und hier bei General Gurko melden, der den Mittelpunkt der glänzenden Gruppe bildet und gleichzeitig auch Gouverneur von St. Petersburg ist.

      Prinz Ahmed schreitet auf ihn zu und salutiert den strengen, alten Soldaten, der sich noch nichts träumen lässt von den seiner im Balkan harrenden neuen Lorbeeren.

      Als die Ceremonie erledigt war, brummte Gurko: „Bitte, bleiben Sie bei uns, Prinz, und frühstücken Sie nachher mit mir. Ich möchte Ihnen Ihre Instruktionen selbst erteilen.“

      Alles Blut drängt Ahmed nach dem Herzen, und er stösst einen Seufzer der Erleichterung aus; denn dieser Empfang in dem glänzenden Kreis beweist ihm, dass das eiserne Schicksal einem auch manchmal angenehme Ueberraschungen bereitet!

      Als


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