Mein geniales Leben. Jenny Jägerfeld

Mein geniales Leben - Jenny Jägerfeld


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vor. Spottete über die glitzernde Hose, die ich angehabt hatte, über das Hemd und die Hosenträger. Sagte, ich müsse schwul sein, weil ich so einen Schwuchtelsport machte. Ich hätte natürlich nicht antworten sollen, doch das konnte ich einfach nicht lassen.

      »Und was ist daran so schlimm? Am Schwulsein?«

      Das sagte ich ganz leise, fast unhörbar. Aber Budde hörte es. Danach stand es für ihn fest, dass ich eine Schwuchtel sei. Er nannte mich kaum noch anders.

      Ich schämte mich so sehr, dass es mir auf der Haut brannte. Schämte mich, weil ich dieses Video hochgeladen hatte und auch noch stolz darauf gewesen war. Das Schlimmste war, dass sich das Schamgefühl auf das Eislaufen abfärbte. Schlittschuhlaufen machte keinen Spaß mehr. Und dabei hatte ich mich immer so auf jede Trainingsstunde gefreut. Aber jetzt musste ich jedes Mal an Budde denken. An seine Worte. An sein fieses Lachen. Ich hatte Angst, dass er mich sehen könnte. Obwohl es keinen Grund gab, warum er in der Eislaufhalle auftauchen sollte. Das war kaum anzunehmen. Trotzdem. Ich hörte bald danach auf. Mama begriff gar nichts mehr. »Aber du liebst das Eislaufen doch so sehr?« Ich zuckte nur mit den Schultern. Erzählte nie, warum.

      Ein oder zwei Monate später bekam ich Einstein. Obwohl Mama nicht genau wusste, wie es um mich bestellt war, verstand sie natürlich, dass ich nicht gern in die Schule ging. Ich brachte nie einen Freund mit nach Hause.

      Manchmal regte ich mich über Majken auf, weil bei ihr alles so glattlief. Weil sie so viele Freunde hatte. Sonntags bekam ich regelmäßig Magenkrämpfe, weil ich mich so vor dem Montag fürchtete. In der Fünften wurde es ein wenig besser. Wir bekamen einen neuen Lehrer, Ronny, und ein paar Neue kamen in die Klasse, und irgendwie änderte das die Stimmung. Es wurde ruhiger. Aber richtig gut wurde es nie. Für mich nicht. Ich war immer noch allein.

      Dank Einstein wurde es leichter. Er war so warm und fest. Verschenkte Küsse und Liebe. Er mochte mich, so wie ich war. Jetzt gerade trottete er vor mir her, schnüffelte im Gras und schob die Schnauze tief in ein Grasbüschel. Er begann, an etwas zu kauen.

      »Einstein«, sagte ich streng. »Was hast du da? Woran kaust du?«

      Einstein drehte sich um und sah mich schuldbewusst an. Ein Stück von einer Reiswaffel ragte ihm aus dem Mundwinkel.

      »Na, von mir aus«, sagte ich. »Das darfst du auffressen.«

      Einstein sah so zufrieden aus, dass ich lachen musste. Innerhalb von einer Sekunde war die Reiswaffel verschwunden.

      »Du weißt, dass ich dich liebe, du Spinner!«

      Auch für Einstein lief alles im Leben ganz leicht, wie für Majken. Wenn einem nichts Schlimmeres passieren konnte, als eine uralte Reiswaffel vielleicht nicht auffressen zu dürfen, dann musste das Leben ja ziemlich unkompliziert sein.

      Aber über Einstein regte ich mich seltsamerweise nie auf.

      NOCH 51 TAGE

      NUR MIT EINER LEDERHOSE BEKLEIDET AUF DER STRASSE SITZEN UND WÜRFELN

      Majkens neuer Waschbärkumpel hatte uns jetzt mehrere Tage hintereinander beehrt. Der Nachteil war, dass er und Majken fast die ganze Zeit brüllend durch die Gegend rannten. Der Vorteil war, dass er mich an meine wichtige Aufgabe erinnerte: beliebt zu werden. Wenn meine Zukunft in Skärblacka hell werden sollte, musste ich jetzt anfangen, daran zu arbeiten. Obwohl Sommerferien waren, durfte ich nicht faulenzen. Ich setzte mich in meinem Zimmer aufs Bett und holte den Notizblock hervor, aber ich hatte noch nicht einmal angefangen zu schreiben, als aus dem Nachbarzimmer ohrenbetäubender Lärm drang. Es dauerte ein paar Sekunden, bis mir aufging, dass es Musik war. Rockmusik. Ich rannte aus meinem Zimmer und rüber zu Bobo.

      Aus der Jukebox kam:

       Let’s rock everybody, let’s rock, everybody in the whole

      cell block, was dancin’ to the Jailhouse Rock.

      »Bobo! Was hast du gemacht?«, schrie ich.

      Bobo stand mitten im Zimmer und tanzte mit einem graubraunen ausgestopften Hasen, den sie im Arm hielt. Sie sah zu mir auf und sagte:

      »Hallohallo!«

      »Wie stellt man das leiser?«, brüllte ich und lief auf der Suche nach einem Lautstärkeregler um die Jukebox. Aber ich fand keinen.

      The drummer boy from Illinois went crash, boom,

      bang. The whole rhythm section was the Purple Gang.

      Da musste ich eben abwarten, bis das Stück zu Ende war. Das konnte ja nicht allzu lang dauern, dachte ich. Nach einer Minute oder so verstummten die letzten Gitarrenklänge, und wunderbare Ruhe senkte sich über den Raum.

      »Mach jetzt keine Musik mehr an«, sagte ich zu Bobo, aber in dem Lärm, der jetzt ausbrach, ging meine Stimme sofort unter.

      Es war dasselbe Stück wie vorhin. Ich schaute durch die Glasscheibe der Jukebox auf die runden schwarzen Schallplatten. Eine Platte drehte sich. Es war Jailhouse Rock mit Elvis Presley.

      »Wie viele Münzen hast du eigentlich reingesteckt?«, fragte ich und warf einen Blick auf den Fußboden. Dort stand die Gelddose. Nur dass es keine Gelddose mehr war, sondern nur eine Dose. Ohne Geld. Bobo machte ein zufriedenes Gesicht.

      Also ehrlich. Manchmal hatte ich meine kleinen Geschwister ganz entsetzlich satt. Jetzt blieb mir keine andere Wahl, ich musste mich woanders hinbegeben. Ich verließ Bobo und wanderte durchs Haus, auf der Suche nach einem Ort, wo es ein bisschen still und friedlich wäre. Ich guckte in Majkens Zimmer hinein, aber genau da machte Mama dort den Staubsauger an, um die dicken Staubmäuse zu vertreiben, die sich in den Ecken versteckten. Nein, die versteckten sich übrigens überhaupt nicht, sie machten es sich gut sichtbar auf dem Boden gemütlich. Oma war nicht unbedingt eine Ordnungsfanatikerin.

      Als ich in die Küche hinunterkam, sah ich, dass Oma gerade einen Stuhl reparierte. Die Hammerschläge brachten die Wände zum Erzittern und Omas Armbänder zum Klirren. Das Wohnzimmer war meine letzte Hoffnung, aber in dem Moment, als ich mich dort aufs Sofa gesetzt hatte, kamen Majken und der Waschbär hereingestürmt, dicht gefolgt von einem bellenden Einstein. Sie schrien im Chor:

      »OHRWUSLER, HUMMEL, KÄFER UND BLINDSCHLEICHE! OHRWUSLER, HUMMEL, KÄFER UND BLINDSCHLEICHE!«

      Es war echt total abartig, dass sich kein ruhiges Plätzchen in diesem Haus finden ließ, obwohl es so groß war! Ich öffnete die Haustür und trat hinaus auf die Garageneinfahrt. Sah mich um. Die Fliederlaube vielleicht? Ich machte ein paar Schritte auf die Büsche zu, aber … nein, das ging nicht, denn da saß Krille Marzipan mit aufgekrempelten Hemdsärmeln und schlürfte eine Tasse Kaffee. Garantiert war er ebenfalls aus dem Irrenhaus geflohen. Ich duckte mich hinter Omas roter Corvette, um nicht von ihm gesehen zu werden. Ich wollte meine Zeit nicht damit vergeuden, eine weitere »einmalige« Filmidee anzuhören.

      Geduckt schlich ich hinter den Autos vorbei und musste fast eine ganze Runde ums Haus zurücklegen, bis ich einen möglichen Platz sah. Das Dach! Von einer Tanne aus, die direkt neben dem Haus wuchs, müsste ich hinüberklettern können.

      Ich steckte mir den Block in die Shorts, packte einen Ast und begann zu klettern. Meine Finger wurden klebrig von Harz, und ich stach mich an spitzen langen Tannennadeln, aber schließlich klappte es. Ich war oben! Das Dach war leicht abschüssig, aber nicht allzu sehr. Hier würde ich ungestört sitzen können. Am liebsten hätte ich vor Erleichterung »JUHUUU!« gebrüllt, ich ließ es aber bleiben, weil mich dann womöglich jemand entdeckt hätte.

      Ich holte meinen Block heraus. Schrieb: Beliebt! Wie wird man das? Und was bedeutet es eigentlich, beliebt zu sein? Auf dem Handy schlug ich das Wort bei Wikipedia auf. Da stand: Beliebtheit oder Popularität hat mehrere Bedeutungen, aber meistens meint man damit das Interesse und die Begeisterung, die gewisse Personen oder Sachen bei vielen Menschen wecken.

      Interesse und Begeisterung! Das musste ich also bei den anderen wecken. Eigentlich gar nicht so schlecht. Ich wusste, dass ich die Fähigkeit hatte, bei den anderen Interesse zu wecken. Dieses


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