Nach mir komm ich. Will Berthold

Nach mir komm ich - Will Berthold


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sein Gastgeber hinauswill. Schmeißer verfolgt, wie geschickt Lapinsky es anstellt, und läßt ihm freie Hand.

      »Warum verschweigen Sie mir dann etwas, das mich brennend interessieren muß?«

      »Ich weiß wirklich nicht, was Sie meinen«, erwidert der Angegriffene.

      »Was soll ich schon meinen? Ich spreche vom Kamossa-Manuskript.«

      »Kamossa?« fragt der Cheflektor betroffen. »Woher wissen Sie etwas darüber?«

      »Dreimal dürfen Sie raten«, erwidert der Inquisitor.

      »Da außer mir niemand im Hause etwas erfuhr, kann diese – diese Durchstecherei doch nur vom Verleger selbst kommen …«

      »So sehen wir das auch«, antwortet Lapinsky. »Aber so wie wir miteinander auskommen, hätten Sie mich sofort benachrichtigen müssen, was uns da ins Haus steht. Im vergangenen Jahr haben wir über eine Viertelmillion in Kronwein-Blättern inseriert«, erinnert ihn der Presse- und Werbeleiter. »Da hätte ich mir schon etwas mehr Entgegenkommen ausgebeten.«

      »Das ist doch noch gar nicht spruchreif«, versichert die Nummer eins des Lektorats. »Es steht noch alles offen. Es handelt sich um einen von zwanzig oder dreißig Vorschlägen, die täglich bei uns eingehen und meistens in den Papierkorb fliegen.«

      »Alles Vorschläge über Henry Kamossa?« hämt Schmeißer.

      »Natürlich nicht.« Der Verlagsmann gerät ins Schlittern. »Es handelt sich hier um kein Manuskript, sondern um ein Exposé, eigentlich nur um eine Stoffsammlung für eine – sagen wir mal – Skandal-Biographie.«

      »Sind Sie sicher, daß Ihr Verleger dieses Exposé nicht selbst in Auftrag gegeben hat?«

      »Absolut.«

      »Auch nicht hinter Ihrem Rücken.«

      »Das hätte ich erfahren.« Doppelschmidt wirft ein letztes Zögern ab und springt ins kalte Wasser. »Ich will Ihnen mal was sagen: Ich pfeif auf Ihre Werbung. Aber Sie können trotzdem mit mir rechnen. Ich bin nun mal gegen krumme Touren.« Er sieht sich um, stellt fest, daß keiner seiner Kollegen in der Nähe ist und der Lärm, den die Angeheiterten machen, so groß ist, daß sie nicht einmal Wortfetzen aufschnappen können. »Also«, sagt er, »es war vor ein paar Tagen. Ich weiß gar nicht, wie der Kerl an meiner Sekretärin vorbeigekommen ist. Plötzlich stand er im Raum, wedelte mit Manuskriptblättern und sagte: ›Wenn Sie das lesen, werden Sie an die Decke springen. ‹ Der Eindringling hatte ein geradezu unverschämtes Selbstbewußtsein. ›Bringen Sie diese Biographie als Buch heraus, und Sie machen das Geschäft Ihres Lebens. ‹ Der Mann nannte sich Hans-Peter Müller, aber ich hatte gleich den Verdacht, daß es sich dabei um einen fingierten Namen handelte. Irgendwie hatte ich diesen Typ schon mal gesehen, zumindest auf einem Foto. Aber so angestrengt ich auch nachdachte, ich kam zunächst nicht drauf. Der Bursche war hartnäckig, und schließlich schaffte er es, daß ich ihn aufforderte, Platz zu nehmen, und mir sein Angebot ansah. Es war nicht viel zu lesen, an die elf, zwölf Seiten, aber die hatten es in sich. Ich war wie elektrisiert. Gift und Galle. Brandgefährlich, um nicht zu sagen explosiv. Ich kann nicht beurteilen, ob an den Vorwürfen gegen Henry Kamossa etwas dran ist, aber wenn sie stimmen, könnten sie sich katastrophal für ihn auswirken.«

      »Nicht, wenn die Anwürfe stimmen«, korrigiert ihn Schmeißer, »sondern wenn sie sich beweisen lassen.«

      »Da hab ich allerdings meine Zweifel«, räumt Doppelschmidt ein. »Ich pickte ein paar der vergifteten Rosinen heraus und fragte den Mann, wie er sie rechtlich abstützen könne. Er wußte auf jede Frage eine Antwort, ob sie allerdings stimmte, ist eine andere Sache. Aber das war nicht mein Bier. Ich ließ den ungebetenen Besucher, von meiner Sekretärin bewacht, in meinem Büro sitzen, ging ins Vorzimmer und unterrichtete Kronwein telefonisch in Moscia. Er war sofort Feuer und Flamme. ›Sie müssen dieses Manuskript um jeden Preis erwerben, Doppelschmidt‹, insistierte er mich. »Sehen Sie zu, daß Sie es billig einkaufen können. Ich verlaß mich auf Sie. Wenn Sie’s schaffen, fallen Sie die Treppe hinauf, wenn nicht … ‹ Die Drohung versandete auf halbem Weg. »Halten Sie mich auf dem laufenden. ‹ Seitdem löchert er mich dreimal täglich mit seinen Anrufen.

      Ich ging zu diesem Hans-Peter Müller zurück: »Ich kann meinen Verleger im Moment nicht erreichen‹, behauptete ich. ›Aber ich nehme unser Gespräch auf meine Kappe. Das hier ist ja nur ein Entwurf; wann würde das Gesamtmanuskript fertig sein? ‹

      ›Bald‹, erwiderte er wie das Orakel von Delphi.

      ›In einem Jahr, in zwei oder überhaupt nicht?‹

      ›Es ist schon fast abgeschlossen‹, behauptete der Verfasser.

      ›Und warum haben Sie es dann nicht mitgebracht?‹

      ›Ich geb meine Munition doch nicht aus der Hand, solange wir keinen Vertrag haben. Und zuerst will ich mal Knete sehen. ‹

      ›Für die Katze im Sack?‹ fragte ich ihn.

      ›Es hat mich gefreut, Ihre Bekanntschaft zu machen‹, erwiderte er und erhob sich.

      ›Ein paar Fragen werde ich Ihnen schon noch stellen dürfern, hielt ich ihn auf und lenkte wieder ein, ›Sind wir das erste Verlagshaus, dem Sie das Manuskript anbieten?‹ ›Dafür verbürg ich mich. ‹

      ›Und warum kommen Sie zu uns?‹

      ›Sie sind in der Branche bekannt dafür, daß Sie vor hohen Honoraren nicht zurückschrecken. ‹

      ›Da täuschen Sie sich mal nicht‹, erwiderte ich. ›An welche Summe dachten Sie denn? ‹

      ›Ich hatte hohe Auslagen. Mindestens 100 000 Mark Vorschuß‹, versetzte der Mann in der Lederjacke, ›und dann gestaffelt, je nach Auflage, 12 bis 15 Prozent Tantieme gegen Verrechnung mit dem Vorschuß.‹

      ›Das ist verdammt viel‹, antwortete ich. ›Vor allem für einen Anfänger – aber darüber können wir später reden. ‹ Ich lehnte mich zurück, als müßte ich angestrengt nachdenken. Dann bot ich ihm eine Vier-Wochen-Option gegen 5 000 Mark Honorar an; danach sollte der endgültige Kaufpreis festgesetzt werden. Der Mann handelte mich auf eine Woche herunter und auf 10 000 Mark hinauf. Er gab sich naiv, aber er war gerissen. Um die Sache geheimzualten, tippte ich den Optionsvertrag selbst auf der Schreibmaschine. Beide Seiten verpflichten sich darin zu absoluter Verschwiegenheit. Falls wir uns mit dem Autor nicht einigen oder die Geheimhaltung verletzen, kann er aussteigen und das Manuskript anderweitig anbieten. Nach Ablauf der Optionszeit und bei gleichzeitiger Vorlage zumindest eines erheblichen Teilmanuskripts soll dann der endgültige Vertrag geschlossen werden.«

      »Und wann läuft die Optionsfrist aus?« fragt Schmeißer.

      »Am Freitag – übermorgen also. Ich ging mit dem Mann zur Kasse«, berichtet der Lektoratsleiter weiter, »um ihm die 10 000 Mark gleich auszahlen zu lassen. Wieder fiel mir auf, wie selbstverständlich ihm das alles war. Er gab sich für einen freien Journalisten aus, der unter anderem auch für den ›Spiegel‹ und für ›Visier‹ arbeitet, gute Verbindungen zu Archiven unterhält. Abermals musterte ich das blasse Gesicht, den Ziegenbart, die unordentliche Frisur, das offenstehende Hemd, die abgenutzte Lederjacke. Auf einmal wußte ich: Der Autor heißt nicht Hans-Peter Müller; es ist Peter Raguse.«

      »Der Enthüllungsspezialist?« erwidert Lapinsky erschrokken. »Dann ist die Scheiße am Dampfen.«

      Einen Moment lang wirkt selbst der unerschütterliche Schmeißer konsterniert. In bestimmten Industriekreisen ist Raguse so bekannt, daß an den Wänden der Personalabteilungen seih Foto als Warnung hängt. Er hatte sich mit falschem Namen und fingierten Papieren in ein Atomkraftwerk eingeschlichen, dort wochenlang gearbeitet und dann – gestützt auf Kantinengespräche mit gestreßten Mitarbeitern – in einem fundierten Bericht die Sicherheitsmängel enthüllt. Er hatte sich in einem Edelbordell als besserer Rausschmeißer anheuern lassen, um dann hinterher über die Extratouren und Zuwendungen der prominenten Gäste zu berichten. Immer mit demselben Trick war er als Gastarbeiter, als Krankenpfleger, als Tellerwäscher, als Taxifahrer, Ohrenbeichter und Privatpolizist aufgetreten. Immer in


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