Die Prinzessin und der Heilige. Georg Engel

Die Prinzessin und der Heilige - Georg Engel


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      Georg Engel

      Die Prinzessin und der Heilige

      Roman

      Saga

      I

      Über Pommerellen wehte um das dreizehnte Jahrhundert die Lehre von einem gütigen Erlöser kaum als ein ganz feiner Duft. Gleichsam, als ob in den slawischen Heiden des Netzebruchs bis weit über Danzig und Oliva hinaus irgendwo ein Weihrauchkessel geschwungen würde, und der zarte Ruch verginge nun fast unmerklich in dem starken Harzgedünst der endlosen Kiefern- und Tannenwaldungen. Die deutschen Ansiedler allein, die Herzog Swantopolk, der Gewaltige, in sein Land berufen, damit sie hier die Lust zu geregelter Arbeit verbreiteten, oder den zugleich dumpfen und genusssüchtigen Ureinwohnern etwas von ihrer Andacht für allerlei Kunst und Wissenschaften mitteilten, sie spürten in ihren aufnahmefähigen Sinnen das ewig Aufrüttelnde und Verantwortungsvolle der ihnen gepredigten Offenbarung, und es ging darum ein gross Wundern unter ihnen, weil der Herrscher, der sie hierher verpflanzt, wohl Klöster gründete, heilige Stätten beschenkte und mit dem Papst und seinen Legaten spitzfindige Streitschriften wechselte, im übrigen aber den Kirchenbann, der den Unbotmässigen beinahe alljährlich ereilte, mit einem brummigen, fast wohlgefälligen Lachen hinzunehmen pflegte, ohne an das dadurch gefährdete Seelenheil seiner Untertanen auch nur einen weiteren Gedanken zu verschwenden. Ja, dem Nuntius Wilhelm von Modena hatte der skrupellose Fürst auf solcherlei Vorhaltung beim Schmause einmal unter einem kaum versteckten Grinsen geantwortet: „Was willst du, Hochwürdiger? Der Gott des Bauern sitzt im Magen. Ich füttere ihn, er wird satt und ist mir deshalb gewogen.“

      Da hatte der Legat den Becher niedergesetzt, sich auf die Zunge gebissen, und hinter seiner braunen Römerstirn war der Verdacht aufgestiegen, der Leibhaftige selbst gäbe ihm dies schreckliche Gastmahl.

      Der Leibhaftige!

      Es konnte einem wohl auch in der Gegenwart Swantopolks bange werden, und wenn seine Landeskinder und Leibeigenen nur von fern den untersetzten Mann in seinem byzantinisch bunten Prunkrock erblickten, wenn sie das kurzgeschorene, pechschwarze Haar ihres Gebieters wahrnahmen, wie es dreieckig und spitz, gleich einem Satansmützchen, in die Stirn schnitt, wenn sie die fischartig glotzenden und schief gegen die Geiernase gestellten Augen spürend auf sich gerichtet fühlten, dann fielen sie nieder, bargen ihre Stirnen in den Staub und liessen ihren Herrn demütig über sich fortschreiten, dazu murmelnd: „Pane, erbarme dich unser.“

      Der Gefürchtete aber strich sich bei solcher Anbetung gelassen und unter einem kargen Lächeln den langen schwarzen Ringelbart und beruhigte die Erschütterten durch den Trost: „Du Kot unter meinen Füssen, lege dich über die Pfützen, damit ich trocken hinüber gelange.“

      Und dann zog er die goldbesetzte Knute aus seinem Gürtel, um einen lässigen Hieb gegen die Schultern eines besonders kräftigen Kerls zu führen, worauf der Betroffene ein dankbar beglücktes Stöhnen vernehmen liess.

      So führte Herzog Swantopolk, den Papst Innozenz IV. in seinen Geheimbriefen „den Bösen“ nannte, ein gar vertrauliches Regiment, und in den Kanzleien des Vatikans sowie in der Hochmeisterei seines ärgsten Feindes, des deutschen Ritterordens, zerbrach man sich die Köpfe, wie es möglich sei, dass ein solches, von keinem Strahl des Guten getroffenes Menschenkind dennoch, und sei es auch unter Anwendung der abscheulichsten Mittel, wie Treubruch, Fälschung, Mord und bedenkenloser Heidengreuel, seine Länder zu Blüte bringen und seinen Untertanen in Wohlstand und Gesittung helfen konnte.

      Merkwürdig, Swantopolk, der Gewaltige — Swantopolk der Böse, die Wage schwankte in der Hand der Geschichtschreiber.

      Es war an einem windigen Herbstmorgen.

      In seiner Schlafkammer auf der festen Burg Nakel hockte der Herzog auf seiner Bettlade und schaukelte sich, samt dem ganzen Gestell, das nach Kriegsbrauch zwischen zwei breiten Ledergurten hing, in kurzen Stössen hin und her. Die nackten, haarigen Beine hielt er fest auf den Estrich gestemmt, und je lebhafter er sich wiegte, desto höher schien seine üble Laune zu steigen. Heftig riss er sich an dem schwarzen Bart, der ihm noch wirr und ungeordnet über die Brust zottelte, zuweilen aber spie er auch, unbekümmert um den Besuch, obwohl dieser nach Hofgewohnheit schon lange vor ihm auf den Knien lag, in einer pfeifenden Entladung an die Wand.

      „O, über das niederträchtige Schwein zu Gnesen,“ schrie er, dabei in Wut ausbrechend, und schlug sich schallend aufs Knie, „die verlauste Kutte will also nur unter solch jämmerlichen Bedingungen zwischen uns und diesen verdreckten Ordensrittern vermitteln? Hi, hi — hui, hui —“, er pfiff und fauchte wie ein in die Enge getriebener Luchs, und über die schiefgestellten Augen lief ein merkwürdiges Schielen. „Kennt mich schon, der faule Bauch, weiss, was er von mir zu halten hat!“ Damit verbeugte sich der halbnackte Mann plötzlich nach einer unbestimmten Richtung, und während er einen Zipfel seiner Wolldecke ergriff, küsste er den Fetzen so schmatzend, als ob er sich in Wahrheit verehrungsvoll über die erzbischöfliche Tunika im fernen Gnesen beuge: „Hilf mir, du heiliger Mann, hilf mir. Bin nur eine arme, verlassene Kreatur. Lahm und wund geschlagen, wie dein Christus! Wozu also Misstrauen, du frommer Born, gegen solch einen Müden und Gehorsamen? Fürchte dich nicht, meine es redlich, so treu und hingebend, wie ein Mägdelein, wenn du ihm zur Firmung das Gnadenwasser über das Näslein spritzst — hui, hui.“

      Mit der ganzen Leidenschaft slawischer Beseelung war dieses Schauspielerstückchen dargestellt, und wenn der einzige Zuhörer, den jene verbissen komische Leistung fand, nicht gar ein so nachdenklicher, ernster Mann gewesen wäre, dann hätte der Kniende gewiss ein Zeichen höfischen Beifalls gespendet. So aber mochte der Kastellana) Frisko von Gabune allmählich doch zu eindringlich das Schmerzhafte seiner Lage empfinden, denn er rückte auf den gelben Fichtendielen geräuschvoll hin und her, bis der Herzog das Aufstreifen seiner schwarzen Beinlinge unterbrach, um seinem Edlen mit einem Fussstoss einen niedrigen Schemel hinzuschieben.

      „Sitz nieder, Gabune,“ lud er ihn mit einer halb schleudernden, halb malerischen Handbewegung ein, und dann schlürfte er geduckt bis an einen Stuhl, auf dem eine irdene Schüssel voll Wasser harrte, und begann sein Antlitz sowie den entblössten Oberkörper der morgendlichen Waschung zu unterziehen.

      „Purr,“ schnaufte er dabei, während er die Feuchtigkeit unbekümmert von sich abschüttelte, „diese schleckernde Sau, dieses gärende Weinfass traut uns mithin nicht? Und mein Sohn Mestwin soll weiter Geisel bei den diebischen Deutschrittern bleiben? War es nicht so?“

      „Du sagst es, Herr,“ nickte der Kastellan, und sein bartloses Haupt neigte sich ermüdet bis auf die Halsberge seines eisernen Ringelhemdes, denn der Unterhändler Swantopolks hatte sich noch nicht Zeit genommen, ein weicheres Gewand aufzustreifen, „dies ist die erste der drei Bedingungen. Sodann aber verlangt die Kurie von Gnesen, da deine Zuverlässigkeit, wie das Kapitel meint, nicht über alle Zweifel erhaben sei — verzeih,“ unterbrach er sich, als sein Gebieter den nassen Bart aufgebracht in zwei Hälften teilte, „dein Bote wiederholt nur, was man ihm aufgetragen — deshalb verlangt der erzbischöfliche Stuhl noch einen weiteren Geisel von dir — —“

      „Noch einen?“ schrie der Halbnackte.

      „Ja, ausgewählt aus den Grossen deiner Umgebung. Und zu dritt sollst du, um deine Unterwerfung unter den allein seligmachenden Glauben von neuem sichtbarlich zu beweisen, in der Nähe deines Hoflagers dem heiligen Christophorus eine Kapelle errichten.“

      „Ei, ei,“ knurrte Swantopolk, der sich ein Hemd aus grobem Leinen aufstreifte, „mehr nicht? Zierlich haben sich dies die geistlichen Friedensstifter ausgedacht.“

      Er strich mit seinem wiegenden Gang und auf den roten Halbschuhen aus Korduanleder witternd und schnaubend durch die enge Holzkammer, und zuweilen hieb er mit der Faust gegen die Wandbohlen, als ob er dadurch das drückend enge Gehege der geistlichen Plackereien zertrümmern könnte. Endlich verharrte er an dem Ausguck, schob ein Brett beiseite und eröffnete sich so einen Rundblick auf den dicht unter ihm liegenden Burghof, wo sich um einen zweirädrigen Reisekarren allerlei Volk zusammengerottet hatte.

      Der Fürst schnob die regenfeuchte Luft ein, dann heftete er, aufmerksam geworden, seine schiefen Geieraugen auf das junge Weib, das auf dem Brett des Wagens sitzend, ihre Blicke schon lange um das Fenster des herzoglichen


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