Die Prinzessin und der Heilige. Georg Engel

Die Prinzessin und der Heilige - Georg Engel


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war es ungewohnt, so rückhaltlos von seinem Gebieter anerkannt zu werden, hatte doch seine rauhe Zuverlässigkeit, die keine Schleichpfade wandeln konnte, bisher nur selten dies gleichgestimmte Wohlgefallen des Ränkespinners auf dem Thron geweckt. Auch jetzt hockte Swantopolk so aufmerksam und hellhörig auf seinem Sessel, dass es den Kastellan durchfuhr, das gnädige Wesen des Bösen möchte am Ende darauf abzielen, die schwere Entscheidung auf seinen Dienstmann abzubürden. Auf etwas Schlimmeres bereitete sich der Redliche überhaupt nicht vor.

      Bestürzt verneigte er sich.

      „Gott verhüte es,“ sprach er abwehrend und im Ton bedrohter Lauterkeit, „hier mag und darf ich dir nicht raten, Herr. Du weisst, keine Wunde ist mir zu tief, dass ich sie nicht meinem Eid zuliebe hinnehmen möchte — aber die Tränen und Seufzer der Verlassenen könnten mir den Schlaf rauben. Nein“ — widerstandsfähig richtete er sich auf — „hier, mein grossmächtiger Fürst, muss deine Weisheit allein erkennen.“

      Auf diesen Ausbruch eines sich sträubenden Gewissens nistete sich Swantopolk noch tiefer in seinen Sessel zurück, und ein verborgenes Lächeln schlich um seine scharfen Lippen.

      „Ei, sieh da,“ murmelte er, indem er sich überlegend den Bart strich, „so soll ich denn wieder allein der Diener des Schwarzen sein. Vor ihm fürchten sich meine Tapferen. Wahrlich, du hast recht, Frisko, es ist nicht leicht, seinen Nächsten Tränen zu erpressen. Und nun gar Tropfen aus schönen Weiberaugen. Schlimm, beinahe unmöglich — — “

      Warum aber stachen die grünen Katzensterne dabei so auffordernd und lauernd auf dem ebenen Antlitz seines Zuhörers herum, als wollten sie förmlich ein jähes Erraten aus dem Unbeweglichen hervorlocken? Und den Mann im eisernen Kettenhemd packte wirklich eine schreckhafte Ahnung kommenden Unheils. Umstrickt von einer Beklommenheit, die er nicht mehr meistern konnte, verneigte er sich zum Abschied, obwohl nichts in dem Benehmen des Fürsten darauf hindeutete, dass die Unterredung schon beendet sei.

      Wiederum lächelte der Herzog nachsichtig.

      „Ja, ja, geh nur, Gabune,“ sprach er sanft, und es schien, als ob er tief versteckten Dingen nachgrüble, „eile, du Glücklicher, zu deiner Bettfreude und deinen Sprösslingen. Was weiss der Staub von den Schmerzen der im Blitz Wohnenden? Gehe hin, und wenn du dich paarst, wenn du dich in dem weissen unberührten Schnee heiligst, dann denke — ich bitte dich — auch an den Aussätzigen unter dem unzüchtigen Weibsvolk.“

      Er stützte den Geierkopf in die Hand und flüsterte losgerissen von dem Bisherigen: „Ein Mann müsste es sein, der nie log, einer, der den Umgang mit den pfäffischen Rittern kennt, ein Tugendhafter, der auch mir Vertrauen einflösst. Wo, wo finde ich den?“

      Da schloss der Gabune in unerklärlicher Pein die Tür.

      Es war am Nachmittage desselben Tages.

      Der Wind spielte nur noch lässig in den lang aufgeschossenen Pappeln, die den weiten Gutshof von Ellernslöh im Kreise umgrenzten. Dicht bis an den trägen Strom der Netze schob sich hinter den letzten Scheunen und Wirtschaftshäusern eine saftige, hochbestandene Wiese hinan, und an ihrem äussersten Rande, fast schon am Flussufer, ersetzten ein paar Haselnussgänge sowie eine buschige Laube all den bunten Blumenschmuck, den die karge Gartenkunst in diesen halbslawischen Landen noch nicht auszustreuen vermochte. Dafür aber hatte sich der Abendhimmel in roter und goldener Wollust entzündet, und ein sinnend Gemüt hätte meinen können, dass sich dort droben das sanfte Zueinanderstreben, die Vermählung einer göttlichen Harmonie verkläre.

      Etwas Ähnliches fühlte wohl auch die junge blonde Frau, als sie jetzt, auf einer derben Holzbank sitzend, ein wenig scheu und von der Seite ihren Gatten betrachtete, und es geschah gewiss nicht zufällig, dass ihr Leib einen fast unmerklichen Widerstand zeigte, so oft Herr Frisko von Gabune seinen Arm um ihre Hüfte zu schlingen suchte.

      Scham hing über ihr, die keusche Befangenheit einer der ehelichen Zärtlichkeit Entfremdeten, denn nach vier Jahren klösterlicher Zurückgezogenheit und Entbehrung weilte sie zum erstenmal wieder neben ihrem Herrn. Und da sie eine von jenen war, in denen die herbe Jungfrauenschaft nie erstirbt, so stieg ihr jetzt ein widerspruchsvoller Zweifel auf, wie sie das Werben des wettergebräunten Mannes neben sich erwidern könnte, ja es deuchte ihr schier unfasslich, dass sie dem halb Unbekannten die beiden Kinder verdanken sollte, die eben unter Jauchzen und Lärmen den blumentrunkenen Schmetterlingen auf der Wiese nachsprangen.

      Ein Kampf war in ihr, ein Hinneigen und Zurückstreben, und sie bebte heimlich, wenn sie sich all die Verschwiegenheiten zurückrief, die doch einst zwischen ihr und ihrem Schützer nach langer Überwindung gewaltet.

      Und nun wollte sich all dies Vergessene und Verblasste wiederholen?

      Leise zitterte ihre kühle Hand in der seinen, und sie wusste nicht, ob sie sich freuen oder fürchten sollte.

      Der Zurückgekehrte aber, als ob er etwas von dem Unausgesprochenen geahnt hätte, streichelte sacht die ihm überlassene Frauenhand, und wie von ungefähr begann er Nahes und Fernes vor seiner wiedergewonnenen Gefährtin auszubreiten. Erlebnisse und Dahingeschwundenes, Hoffnungen und allerlei Dinge des Alltags, alles in der schlichten Überzeugung, dass dies die rechte Strasse sei, auf der sich so eng Verbundene treffen und wieder aneinanderschliessen müssten.

      Da erfuhr denn die gespannt und leidenschaftlich Horchende von all den Fährnissen, die der ruhige Mann auf den ewigen, immer wieder aufs neue anhebenden Kriegsfahrten gegen die heidnischen Preussen oder die Ordensritter erduldet hatte. Da empfing sie Kunde von der mühseligen Kolonistenarbeit, die man in dem jungerblühenden Gemeinwesen von Danzig und Oliva geleistet, es belichtete sich ihr ein Bild von der sachten Mühe der Versöhnung und Bekehrung, und sie schüttelte bedenklich das feine Haupt, da der Eheherr ihr etwas von den listigen Verhandlungen Swantopolks offenbarte, von den gebrochenen Bündnissen und dem Beugen alten Rechtes, das der Herzog zu seinem Nutz und Frommen ausriss, gleich Büscheln ausgedörrten Grases. Aber als Herr Frisko sich nun auch an das schwere geistige Ringen zu Gnesen erinnerte, als er eine Andeutung über die Zwiesprach mit seinem Gebieter fallen liess, und wie er den Hinterhältigen in verdächtigem Grübeln über den neu auszuliefernden Geisel verlassen, da belebte sich die kühle Hand in der seinen, und zum erstenmal regte sich in dem blonden Weibe das so lang verdeckte Bewusstsein von Zusammengehörigkeit, und eine heiss anspringende Sorge fasste sie, ihr lang herbeigewünschtes Besitztum könnte ihr wieder entschwinden. Plötzlich rötete sich ihr bleiches Antlitz, und sich voll zu ihm wendend, legte sie ihre Hand suchend und schützend auf das weisse Linnen über der Brust des Mannes.

      Dem begann das Herz unter dem sanften Druck schneller zu hämmern.

      „Jetzt bleibst du bei uns?“ hastete sie in banger Forderung hervor, und das stählerne Blau ihrer Augen, das so sehr unbewegten Seen glich, färbte sich dunkler. „Wenn deinem Herrn ein Herz in der Brust schlägt, so kann es nicht sein Wille sein, dass die Deinen in Witwen- und Waisentrauer vergehen.“

      Die kaum verborgene Leidenschaft, mit der sie sprach, zog den Kastellan näher an sein schönes Weib; erwärmt und voll gesparter Wünsche legte er den Arm um ihren Nacken, und jetzt, jetzt hatte sie sich von ihren unerklärlichen Hemmnissen befreit, und ihr Leib schmiegte sich suchend und schutzflehend an die starken Glieder des Mannes, so wie es eines guten und hingebenden Weibes Art ist.

      Eine Weile verharrten sie so, jeder die Nähe des anderen als eine Verheissung, als die Erfüllung lang umschwebender Träume spürend. Der weiche Wind, der in den Binsen des Ufers wühlte, die Schmetterlinge in ihrer ungestillten Jagd, und die goldenen Wolken, während sie in der Purpurglut zerflossen, sie alle waren eingefangen in derselben zärtlichen Melodie. Ein Frieden und Verstehen zitterte durch den sinkenden Abend.

      Eine Weile blieben die Gatten den Kümmernissen und Sorgen der Erde entrückt, jeder bereit, sich dem andern zulieb in Trost und Zufriedenheit aufzulösen, dann aber entzog sich der Gabune der sanften Umarmung ein wenig und sprach hart und ungläubig vor sich hin: „Nein, diesem Bösen schlägt kein Herz in der Brust. Sieh, du armes Kind, ich fürchte, es ist der Schwarze selbst, der dort droben in der düsteren Burg unser Schicksal lenkt.“

      Betroffen, verängstigt von dem finsteren und trotz aller Qual sich bescheidenden Ton ihres Eheherrn,


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