Die Prinzessin und der Heilige. Georg Engel

Die Prinzessin und der Heilige - Georg Engel


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konnte es da der Zeugin einer solch wüsten Heiterkeit verargen, wenn sie das Ganze für den Ausdruck schrankenlosen, väterlichen Beifalls hielt? Pfeifend und summend raffte Krissa die Leine fester an sich und begann eben mit ihren so wohl behüteten Tieren die grasende Mähre zu umspringen, als das Siegesfest durch einen dumpfen Fall gestört wurde.

      Schwerfällig war der Besitzer des Federviehs vom Ross gesunken, jetzt aber raffte er sich auf, griff Krissa in die Haare und fing an, sie nach allen Regeln einer oft geübten Kunst abzuwalken.

      „O, du bösartiges, lästerliches, gottverderbtes Teufelsgeschenk,“ keuchte er, zwar noch immer durch ein gelegentlich dazwischen schallendes Gemecker unterbrochen. „So lohnst du all die guten Lehren? — O, Jammer über die verpfuschten Braten! Hätt’ dir nur der Fuchs selbst die Kehle durchbissen! — Doch ich will’s nachholen, nachholen will ich es.“

      Klatschend trafen die Riemen den fast nackten Leib, die kleine Gemisshandelte aber schrie nicht; verwundert, still, in sich gesunken stopfte sie den Daumen in den Mund, ihr Rücken duckte sich, und nur ihre schwarzen Augen suchten manchmal ihren Peiniger mit solch sonderbarem Ausdruck eines selbstverständlichen Duldens, bis der entrüstete Hausvater endlich mürrisch den Striemer fallen liess.

      „Scher dich zur Hölle,“ schöpfte er Atem. „Mir aus den Augen. Hat’s weh getan?“

      Die Kleine schüttelte den Kopf.

      Es war an einem frühen Herbstmorgen. Ausgestorben, glattgefegt von allem menschlichen Verkehr schlängelte sich die Landstrasse an Hof Ellernslöh vorüber, denn unter den Marktgängern, Bauern und wandernden Handwerksgesellen hatte sich das Gerücht verbreitet, Herzog Swantopolk ritte allein und ungeleitet dieses Weges daher, und jene Kunde genügte für das verängstigte Volk, um dem Tyrannen auf Meilen die Strecke ungestört zu überlassen. Selbst dem Schatten, den der Böse in der Sonne warf, wären die Abergläubischen bestürzt ausgewichen.

      So schallte der Hufschlag des fürstlichen Rosses schon geraume Zeit auf dem harten Lehmboden, ohne dass dem Reiter auch nur eine Seele begegnet wäre. Aber gerade diese Leere behagte dem aufmerksam über die Felder Spähenden, und er strich manchmal befriedigt über sein buntes byzantinisches Gewand, so oft sein spitzer, von einem merkwürdigen Zischlaut begleiteter Pfiff eine Schar Krähen von den Futterplätzen der Stoppeln aufschreckte. Und doch — weder dies Pfeifen, noch der Gertenschlag, der sein ungarisch Ross dabei häufig über die Nüstern traf, schien von dem Willen des Reiters beseelt zu werden, nein, sein nach innen gerichtetes Grinsen, das die schmalen Lippen weit auseinander zerrte, sowie das verschleierte Starren seiner Augen deuteten vielmehr auf ein Planen und Sinnieren, das immer wesenhafter und greifbarer wurde, je näher er seinem Ziel entgegenrückte. Erst als dicht vor ihm die flachen Wände des Ellernslöher Herrenhauses auftauchten, entriss sich der Einsame dem Schattentanz seiner Vorstellungen, um einen tiefen Atemzug einzusaugen. Zugleich aber verlieh er seiner ganzen Gestalt jene Bedeutung, wie es der Gaukler gewohnt ist, sobald er auf die Bretter der Bühne hüpft.

      Schwerfällig schwang sich der Tyrann aus dem Sattel, führte sein Pferd über die schmale Grabenbrücke und band es darauf an einem der Zaunpfähle fest. Unbemerkt, mit leisen schallosen Tritten, wand er sich dann durch die Wagen und Pflüge des Wirtschaftshofes, dabei nur lässig das Haupt neigend, als er Knechte und Mägde, wie vom Blitz getroffen in die Knie brechen sah.

      „Pane, erbarme dich unser,“ stammelten die blassen, blutleeren Lippen der Erschrockenen.

      Darauf ein Wink, der sie barsch zur Arbeit verwies, und die bunte Gestalt verlor sich unhörbar und gleitend durch die Gartenpforte. Fern an den Büschen des Haselnussganges sah er ein weisses Gewand flattern. Dort pflückte die Hausherrin grüne Früchte aus den Zweigen, entschälte sie und warf sie in ein Körbchen aus Weidengeflecht, das ihr am Arm schaukelte. Oft hob sich dabei ihre Gestalt auf die Zehen, um eine besonders hochragende Gerte zu erreichen. Dann spielte die mädchenhafte Biegung ihrer Hüften in einer anmutigen Weichheit, und unter dem roten Haarnetz quoll eine der Flechten hervor und fiel reif und korngelb über den freien Nacken. Bräunlich schimmerten die Wangen des Weibes vor Anstrengung und unter dem Gruss des herbstlichen Windes!

      Gelassen verweilte der Herzog hinter der Ahnungslosen und strich sich geniessend den Bart. Ihm gefiel diese käferdurchsummte Stille, die Abgeschlossenheit des Platzes und die erntefrohe Beschäftigung dieser jugendlich Emsigen. Das vieldeutige Grinsen um seinen Mund verstärkte sich; er schien bereits im voraus des Kommenden gewiss zu sein. Plötzlich indessen vollführte die Schlossfrau bei ihrer langenden Beschäftigung eine unvorsichtige Bewegung, sie schwankte und wäre vielleicht gestürzt, wenn der Herzog nicht mit beiden Fäuften nach der Abgewandten gegriffen hätte.

      So hielt er sie um die Weichen gepackt und lächelte nur, da er ihren wilden Schrei vernahm. Ein paar Augen starrten ihn an, die vor Entsetzen blanken Eisstücken glichen. Unfähig, sich vor der Verkörperung ihrer schlimmsten Ahnungen zu verstellen, stammelten ihre Lippen Ausdrücke des Abscheus und der Gegenwehr, und die schmale Hand fegte unbeherrscht durch die Luft, als vermöchte sie das plötzlich aufgestiegene Schreckbild wieder fortzuwischen. Kein Gruss, keine Verbeugung empfing den Mächtigen, nur das offenste Grauen, sowie das Eingeständnis, die heimlichsten Absichten des Eindringlings längst entziffert zu haben, sie offenbarten sich hüllenlos vor den zwinkernden Augen dieses arglistigen Menschenkenners.

      Allein noch verrieten seine hohlen, gelben Züge nichts weiter, als eine fast demütige Verehrung für das verlassene Weib, und da sie keine Miene machte, ihm ein Wort des Grusses zu bieten, so neigte sich die untersetzte Gestalt des Fürsten endlich selbst, und er legte seine Rechte nach slawischer Sitte anbetend vor seine Brust: „Alles heil dir, Gräfin Gabune,“ hauchte sein singender Tonfall, und spielende Blicke streichelten ehrerbietig und sammetweich über die reglosen Glieder der ihm Ausgelieferten. „Wir erwarteten nichts anderes, als dich bei der Sorge für dieses dir anvertraute Heimwesen zu finden. Gut. Aber wie früh und hingebend du dich bemühst, dies wollen wir deinem fernen Eheherrn liebreich mitteilen.“ hiermit ergriff er ihre Hand und liess seine Rechte gnädig und billigend über den starren Arm der noch immer Stummen hinaufgleiten: „Bei den Nöten unserer Lande,“ fuhr er eindringlich fort, denn der Kluge erriet, dass ihm nichts so sehr das Verständnis der Frommen sichern würde, als ein ernsthaftes Eingehen auf das Elend ihrer Umwelt, „bei der allgemeinen Not bedürfen wir solch emsiger Schaffnerinnen. Du aber gehst, wie ich sehe, deinen Schwestern weit voran. Dafür verspreche ich dir —“ und er umspannte wie zur Bekräftigung die volle Schulter des Weibes, „dass ich alles aufbieten werde, um dir deinen entrissenen Eheschatz so bald als möglich wieder an die Brust zu legen. Bist du’s zufrieden?“

      O, der schlaue Berechner hatte die verborgenste Begierde einer sich in Sehnsucht Verzehrenden getroffen. Eine Wandlung vollzog sich mit ihr. Noch eben ganz verhärtet gegen alles, was von dem Verderber herrühren könnte, sprühte plötzlich eine verräterische Glut über ihr Antlitz, ihre Hände streckten sich dem Mann entgegen, als ob sie ihm jetzt schon sein Geschenk entreissen möchte. Und doch — das eingesäte Misstrauen suchte sich auch jetzt noch gegen Täuschung und Fallstrick zu schützen. Dunkel und prüfend fahndeten ihre Blicke nach den unsicheren sich versteckenden Augensternen des Tyrannen, gleich zwei Schweisshunden, die den aufgejagten Eber stellen und nicht lassen wollen: „Herzog Swantopolk,“ forderte Adelheid fest und ohne zu ahnen, welche Beschämung sie dem Herrschgewohnten zufüge, „kannst du mir diese deine Absicht vor Gott und den Menschen beschwören?“

      Der Fürst neigte sich. Um seine bärtigen Lippen zuckte geringschätziger Spott, denn dieser Verächter allen Glaubens wunderte sich immer von neuem darüber, ein wie brauchbares Mittel jener wolkendurchbrechende Irrwahn der Betörten in den Händen eines Freien und Aufgeklärten abgebe. Auch hier bei dem von ihm geplanten Fang freute er sich, weil er die Besessenheit einer von der Majestät des Himmels Überzeugten so leicht für seine Zwecke nützen könnte. Deshalb neigte er sich tief, um der Beobachterin das Widerspiel solcher Gedanken zu entziehen, und während er sich die hohe Stirn bekreuzte, beruhigte er seine Zuhörerin mit täuschend nachgeahmter Demut.

      „Wie ich überzeugt bin, edle Frau, dass mich der Herr der Heerscharen in diesem Augenblick vernimmt, so redlich wünsche ich, meinen Dienstmann Gabune dir und mir zur Freude bald zurückleiten zu


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