Die Prinzessin und der Heilige. Georg Engel

Die Prinzessin und der Heilige - Georg Engel


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      Neugierig schlürfte der Alte näher.

      Trauervoll schaute der Knabe auf einen Schmetterling hinab, den er auf seiner flachen Hand wog, aber so oft er auch das Tierchen in die Höhe werfen mochte, zuckend fiel der Verstümmelte stets wieder zurück, denn dem Gaukler waren die Flügel arg zerzaust, und der bunte Staub war höhnisch fortgeblasen.

      Ein karger Überrest einstmaliger Farbigkeit.

      „Schäme dich,“ rief der Blondgelockte in aufrichtigem Kummer seiner kleinen dunkelhaarigen Schwester zu, und seine Augen füllten sich nun vollends mit Glanz und Feuchtigkeit, da er die Gelenkige ungeachtet des begangenen Unrechtes einen kindlich-trotzigen Tanz beginnen sah, „schäme dich, Heila, auch dir werden einst keine Flügel wachsen. Und du wirst unter den Engeln an Krücken wandeln.“

      Die kleine Schwarze aber verwarf die Drohung, lachend und jauchzend schleuderte sie die nackten Beinchen, schnippte mit den Fingern und höhnte dazu: „Brauch keine Flügel, dummer Sambor, kann ohnehin fliegen. Schau, schau, wie ich mich hebe.“ Und sie drehte sich, sprang empor und warf die schlanken Arme wie zur Umschlingung in die Luft.

      Ein anmutig Bild künftiger Auflehnung und Daseinsfreude.

      Der Hauptmann jedoch leckte sich die Lippen und wackelte beifällig mit dem Kopf. Das störrische Wesen des Mägdleins behagte ihm. Es erinnerte ihn ergötzlich an eigene Hausplage. Da war ihm — fünf Jahre mochte es her sein — auf dem masovischen Feldzuge von einem polnischen Trossweibe grad solch ein unwillkommen schwarzhaariger Balg geboren worden. Jetzt lebte er auf seinem Bauernhof, herumgestossen von seinen rechtmässigen Kindern, verprügelt von seiner zänkischen Frau, und er sann Tag und Nacht darüber nach, wie man den Bankert wieder los werden möchte. Nicht einmal getauft war das unselige Wurm, es schoss auf wie Unkraut aus den Stoppeln des Feldes.

      „Ja, ja, ’s ist just so ein zapplig, unfolgsam Eichhörnchen,“ dachte der Kriegsmann. „Tanze nur, dreh dich, du unnütz Ding,“ brummte der Pantak behäbig und schielte auf die seidigen Beinchen der Kleinen. „Ich seh, in deinem Eidechsenleib fliesst jetzt schon ein süss-gefährlich Gift, Warte nur.“

      Dann aber schüttelte er missbilligend die vorgebeugten Achseln. Den Buben verstand er nicht; das helle, durchsichtige Grüblerleid in dem blondhaarumflatterten Knabenantlitz erregte ihm Widerspruch. Was sollte das mönchische Gegreine über den geflügelten Schädling? Offenbar, hier vererbte sich etwas von dem nonnenhaften Gehabe der Mutter. Für einen künftigen Reitersmann dünkte ihn der junge Grafensohn zu weichlich.

      Grinsend deutete der Pantak mit seiner dicken Hand auf den zerzausten Tummler, dann höhnte er in spöttischem Beileid: „Nun, Sambor, was soll’s? Willst dem Kohlkopf ein Sterbelied singen? Pfui, stampf ihn ein, Bürschlein. Wozu flennst du über solch unnötig Gezücht?“

      Damit führte er zum Scherz einen flachen Hieb gegen die Hand des Buben, so dass das Insekt wirbelnd auf die Erde stürzte. Einen leisen Schrei stiess der Knabe aus, dann aber, ohne sich um den stürmischen Beifall seiner Schwester zu kümmern, kniete er nieder und deckte zum Erstaunen des Kriegers behutsam einen Feldstein auf das zuckende Tierchen. Weit öffneten sich dabei die blauen Kinderaugen, und es spiegelte sich in ihnen etwas von einem Wissen, das weit aus dem leuchtenden Äther sein Licht bezogen haben musste.

      „Weisst du nicht, Mann,“ klagte er betrübt, „dass dies hier einst eine hässliche Raupe war und lange darauf wartete, sich aufschwingen zu können? Darfst du im Dunkel halten, was zum Licht will? Und kannst du’s?“

      Vor den fragenden blauen Augen verwirrte sich der Hauptmann, ja, er entsetzte sich ein wenig. Alle guten Geister, noch nie hatte er einen Unmündigen solch frühreifes und zugleich beängstliches Zeug äussern hören, Woher kam dem Dreikäsehoch dies seltsam umwühlende Gewäsch? Ob das Kind dies im Verkehr mit den Mönchen zu Naumburg gelernt hatte?

      Ungewiss starrte der Pantak zu dem Knienden hinab, bis er endlich sein Schwanken in eine grobe Zurechtweisung auflöste: „Dummheit,“ schimpfte er, obwohl er sich sein eigenes Unbehagen nicht ganz erklären konnte, „die Dirn hat recht. Die Dirn. Die zapplige Dirn. Was liegt an solch ärgerlichem Geschmeiss? Gleich geh in den Stall und lern’ Rosse striegeln. Das wird dir wohltun, mein Büblein. Geh — bist ein Kopfhänger.“

      Selbstzufrieden, weil er das ihm ungemütliche Weltbild wieder zurechtgeschoben, klirrte er von dannen.

      Es war ihm aber beschieden, an dem heutigen Vormittag noch, eine weitere Probe seiner Erzieherkünste ablegen zu müssen. Geruhig ritt er auf der Landstrasse seinem Bauerngütchen entgegen, denn er hatte sich eben erst von den beiden herzoglichen Reisigen getrennt, und nun klopfte er seiner Mähre das struppige Fell und in seinem Geiste malte sich bereits der Willkomm ab, der in dem Lehmhaufen von Hütte seiner harrte, nachdem der Hausherr wieder einmal tagelang in Diensten des Fürsten auswärts umgetrieben war.

      „Weiss schon,“ murmelte der Ehrbare nicht sonderlich erbaut. „Im Napf die Ziegenmilch — ranzig, am Spiess das wilde Kaninchen — wie wird’s sein? — Bis auf die Knochen versengt, und in dem morschen Bettgestell, ei, ei, eine lustige Jagd von Wanzen.“ Ahnungsvoll kraute er sich im Nacken und brütete tiefer in diese heiteren Vorstellungen hinein. „Weiss schon — und drinnen in dem vermaledeiten Lehmkuchen nichts als Gekeif und Stockprügel. Bei allen Nothelfern, Slavia, mein wacker Weib, wird mir den Bankert noch umbringen, obwohl ich selbst auch keinen anderen Ausweg seh, wie man des Fressers ledig wird. Himmelschock, warum musst’ ich mir selbst solch ein Kuckucksei ins Nest legen? — Man ist zu weich. Viel zu weich!“

      Nach dieser Feststellung lenkte der Hauptmann auf einen Wiesenpfad ein und gedachte eben, sein Rösslein ein paar Haferähren vom Rain seines Nachbarn raufen zu lassen, denn solch lumpiges Bauernmensch musste froh sein, wenn sich ein Hofmann, wie der Pantak, zu einer derartigen Vertraulichkeit herbeiliess. Da schlug ein greller Kindersang an sein Gehör, und dicht vor ihm an der Dornenhecke neben dem Bach enthüllte sich ein Bild, das dem Krieger wahrhaft den letzten Atem benahm.

      „Uff,“ stöhnte er, hielt den Klepper an und riss sich mit der Rechten die Wimpern in die Höhe, als hätte ihn Zauberwerk geblendet, „uff, verdammte Kröte, was soll’s?“

      Und es war wirklich wert, den Zug aufmerksam zu betrachten.

      In einem roten, zerfetzten Röckchen, das gerade noch bis auf die nackten Knie fiel, umflattert von einem schmutzigen, mit Löchern förmlich besäten Hemd, dass man die braungesonnte, knabenhafte Brust deutlich wahrnehmen konnte, so sprang und jauchzte ein etwa fünfjähriges Mägdlein daher. Glänzend flatterten ihm die schwarzen Haare ums Haupt, und die kohlschwarzen Augen funkelten wie nach einem grossen Siege über langes Ungemach. An einem Strick aber schleifte die Kleine vier tote Enten hinter sich her, die sämtlich mit dem Hals in gleichmässigem Abstand in die Leine eingeknüpft waren.

      Der Pantak röchelte: „Was treibst du da?“ Gläsern quollen ihm die Augen aus den Höhlen, denn er erkannte sein eigenes Geflügel.

      Geschmeichelt machte Krissa, das hergewehte Polenunkraut, vor dem Klepper halt, stiess nochmals einen glückseligen Juchzer aus, und während sie in innerster Befriedigung mit den Fingern schnipste, warf sie einen Blick verweilenden Stolzes auf ihre leblosen, staubbesudelten Zöglinge.

      „O, süss Väterchen,“ schmeichelte ihr aufgeworfener, kirschroter Mund, „hat mich Mutter immer geschlagen, weil ich Enten, schnattriges, nicht Zusammenhalten kann. Bin ich jetzt hinter Dorn eingeschlafen, hab’ geträumt von dir, süss Väterchen,“ setzte das kleine Balg in weiser Steigerung hinzu, „aber da husch, husch, ist Fuchs gekommen, hat Vögel totgebissen, und nun — o fein Väterchen —“ und sie lachte, dass es sich anhörte, als ob Tropfen in einen silbernen Becher fielen, „halt ich jetzt Enten zusammen, wie noch nie. Hüh — hott, alle in einer Reihe.“ Damit wollte sie ihren fröhlichen Triumphzug fortsetzen, der Pantak aber, obwohl ihm vor Eigennutz und Wut die Kehle zuschwoll, ihn packte trotzdem in sonderbarer Verkehrung eine unbezwingliche, die ganze Gestalt durchrüttelnde Lachlust, so dass er zwar ungestüm seine Knute vom Sattel riss, zugleich jedoch einer verrückten Heiterkeit verfallen, schluckend und bäumend über den Hals des Gaules hingeschleudert wurde.

      „O


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