Die Prinzessin und der Heilige. Georg Engel

Die Prinzessin und der Heilige - Georg Engel


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redete sie weiter: „So stellte sich denn der Riese dem Gottessohn vor und bot ihm seine Dienste an. Unser Seligmacher sprach: ‚Bist du getauft?‘ ‚Nein,‘ höhnte der Riese, ‚mag auch die Pantscherei auf meinem Scheitel nicht dulden. Ist mir alles Baden ein Greuel und zuwider.‘ Der Herr lächelte sanft: ‚So magst du dich denn mit sachten daran gewöhnen. Bis einmal der Stärkere über dich kommt. Ziehe an den nächsten Strom, und da eine Brücke über dem Wasser fehlt, so sollst du mir fortan alle Pilger und Wandersleute, so jenseits in das kleine Kirchlein wollen, ungefährdet hinübertragen. Geh, und sei auch ungetauft mein Vasall.‘ — Und so geschah’s. Jahrelang schleppte der Vierellenhoch allerlei Volks durch die Flut, und ob auch die Wasser häufig schwollen und wuchsen, laut rühmte sich der Ungezähmte stets, noch habe kein Tropfen sein Haupt berührt, und die Kirche hätte keinen Teil an ihm.“

      Der Herzog beugte sich zu der Kauernden herab.

      „Recht,“ lobte er heiser, „der Bursche gefällt mir. Die Honigmäuler schwatzen uns ohnehin das bisschen Mannheit aus den Knochen. Und es ist doch — o Holde — unsere einzige Seligkeit, sobald wir sie spüren!“

      Damit näherte er der Hingelagerten sein schwarzglänzendes Haupt, und unter dem Vorwand, ihr noch aufmerksamer lauschen zu wollen, legte er seinen Arm spielend um ihren Nacken. Doch das Weib des Gabune duckte sich, und nachdem sie sich auf diese Weise von der Umschlingung befreit, umklammerte sie schüttelnd und stossend das Gitter, so dass alles Folgende fast wie ein Schrei der Not klang: „Du irrst, Herr,“ quoll es aus der zur Verzweiflung Getriebenen schrill hervor, obwohl sie noch immer an dem Irrtum festhielt, das gesprochene Wort könne sich als eine schützende Mauer zwischen ihr und dem unheimlichen Peiniger erheben. „Du irrst, meine Geschichte ist noch nicht am Ende. Auch für den Stärksten und Derstocktesten — glaube mir — kommt einmal das erhellende Licht. Sieh, eines Tages nämlich näherte sich dem Ufer des Stromes, an dem der Riese Wache hielt, ein Kindlein. Ein zartes, ausgezehrt, verhungert Ding, durch dessen Leib die Strahlen der Sonne schier ungehindert hindurchglitten. Das rief den Stromhüter mit heller Stimme an: ‚Trage mich hinüber, Gewaltiger, denn mich zieht es, an der Gnadenstätte meine Andacht zu verrichten.‘ — ‚Nun,‘ brummte der Knecht unlustig zur Antwort. ‚Du vermagst wohl auch als Flederwisch mit dem Wind hinüberzufliegen. Doch komm, du Zweilot und lustige Auszehrung, ich will die schwere Plage auf mich nehmen.‘ — Rauh griff er nach dem Winzigen, schwang ihn sich aus die Schulter und meinte hoffärtig, ein Blatt sei ihm auf die Achsel gewirbelt. Aber siehe — mit jedem Schritt, den er tiefer in die Flut hineinwatete, da wurde ihm die anfänglich so federleichte Bürde immer schwerer und unerträglicher, bis die eiserne Wucht den Widerstrebenden gerade in der Mitte des Stromes tief unter die Oberfläche zwang. Gurgelnd schossen die Wellen über seinen Scheitel. Im gleichen Augenblick zwar konnte er emportauchen; von seiner Schulter das Knäblein war verschwunden, statt seiner jedoch entschwebte ein goldiges Geflimmer in die Luft, und eine silberne Stimme fiel aus den Höhen: ‚Christophorus, auch die Bösen und Hartnäckigen stehen in meinem Sold. Alle zu ihrer Zeit. Ziehe denn hin, du Getaufter, deine Mühe hat dich geläutert.‘“

      Bebend schwieg die Blonde, denn ihre Beklommenheit steigerte sich, nachdem ihr der Schutz der Worte geraubt. Nur ihre Hände verstrickten sich immer tastender in dem hölzernen Gitter. Auch der Herzog rührte sich nicht. Angehaltenen Atems harrte er hinter ihr, wie eingeschmiedet in die bleierne Stille, und die Kniende meinte in ihrer Ohnmacht, seine Blicke küssten ihr bereits voll sengender Brunst den Nacken.

      Keuchend schlichen die Sekunden.

      Plötzlich flüsterte etwas in dem schmelzenden Singsang des Tyrannen: „Fromme, Heilige, ich flehe dich an, nimm auch du deine Bürde auf dich. Möge auch dein süsser Leib einen irrenden Pilger tragen, der sich schon lange nach Andacht und Reinheit sehnt.“

      Schreiend flog die Verfolgte empor, allein gerade diese ungestüme Gebärde des Abscheus und Entsetzens, sie brach das geringe Hemmnis nieder, das dem Gierigen noch aus der rauschenden Einsamkeit erwachsen war. Mit einem wilden Griff der Wut fuhr die Faust des bis zur Besinnungslosigkeit Gereizten dem Weibe in das schützende Linnen des Brusttuches, riss es auseinander, und nun zerrten und zausten die raubgewohnten Hände des Tollwütigen auch die letzten Hüllen von den Gliedern der Taumelnden, bis sich ihr Leib fast nackt und entblösst in seinen Armen wand.

      „Heilige,“ schäumte er vernunftberaubt, „sträube dich nicht, bei dir ist der Himmel.“

      Ein Röcheln verlor sich in dem erhitzten Rund, es war, als ob das Sterben von allem Hohen und Heiligen in jenen einen Laut zusammengeflossen wäre, Qualmend tanzte das Öllämpchen in der siedenden Luft.

      Das Weib aber schrie nicht, es rang auch nicht mehr; selbst dem von seinem Laster so wütig übermannten Tyrannen grauste es, als sich ihm allmählich etwas von dem unerklärlichen Lauschen mitteilte, dem der ganze Leib der ihm überlieferten verfallen war. Ungeachtet ihres Zusammenbruches, trotz der nie geahnten, umwühlenden Schmach, und obwohl die so schamlos Enthüllte selbst den Hauch, der ihre Blösse umspielte, schon als die völlige Entwehrung und Entrechtung ihres bis dahin so scheu behüteten Wesens empfand, dennoch harrte sie regungslos, neigte das Haupt zur Seite und in ihren wirren zerwühlten Zügen stand nichts als eine bis zum Reissen gespannte Aufmerksamkeit.

      Hingegeben, völlig losgelöst von dieser Welt lauschte sie. In dem heissen, stickigen Kuppelraum musste sich ihr eine Stimme offenbart haben, für die der bestürzte Tyrann kein Gehör besass.

      Entsetzen! Ehe der nach einer Erklärung Ringende seine höhnische Überlegenheit oder gar die Begierde des Angriffs von neuem auf sich zusammenraffen konnte, da geschah das Unbegreifliche.

      Da — dort — er hielt das Weib des Gabune nicht länger in seinen Armen. Ein Sprung, sie war ihm entronnen, er hörte das Gitter vor dem Ansturm der Wilden zusammenbrechen, ein weisser Schatten tauchte dicht neben dem Christusträger auf, das hölzerne Kindlein wurde von seinem Sitz herabgerissen, im nächsten Augenblick schwankte es über gestrafften Armen als ein schweres, gefährliches Wurfgeschoss.

      Alles erwartend duckte sich der Angreifer, und derweil gellte es vor seinem summenden Bewusstsein mit solch nie erwarteter Stärke, voll solch schonungsloser Entschlossenheit, dass der Betäubte knechtisch die Augen schloss.

      „Lerne von mir, du Unwürdiger,“ entlud sich die verzweiflungerfüllte Stimme, „dass du mir die Reinheit nicht eben so leicht stehlen wirst, wie meinen Gatten.“

      „Schone mich,“ bettelte Swantopolk ohne Übergang, und seine Stirn schlug auf die Stufe nieder. Über ihm schwankte der Klumpen Holz immer bedrohlicher.

      „Rein hat dein Dienstmann Gabune sein Haus verlassen,“ tönte es von dem Postament in totgeweihter Begeisterung weiter, „und rein, rein, du mörderischer Gaukler, sollen es seine Kinder erben. Was liegt daran, ob auch du und ich in unserem sündigen Blute ersticken?!“

      Ihre Knie reckten sich, ein scharfes Röcheln entquoll ihrer Brust, und der Holzklumpen stieg bis zur letzten erreichbaren Höhe.

      Da zerrte sich der Kniende den Mantel von der Schulter, und indem er flehend beide Hände mit dem violetten Gewebe in die Höhe warf, brach ihm der Schweiss in runden Tropfen aus der Stirn, und seine schiefen Augen schielten, den nahen Fall berechnend, stier auf die Wucht der bunten Holzmasse. Ein Ausweg — ein Ausweg, ein Entschlüpfen musste sich seinem listigen Verstande darbieten! Nur nicht so lächerlich verrecken wie ein Marder, den man in eine Ecke getrieben und nun mit Steinen das Gehirn zerschmetterte. O, dieses feinspinnende, und zugleich erhabene Pläne wälzende Hirn, welch ein unausdenkbarer Verlust für die knechte und Sklaven, wenn das irrsinnige Weib jetzt ihre Last aus den Händen verlor?

      „Halt ein, Gepriesene, du Unantastbare, du aus Morgenlicht Geborene,“ winselte er, während er sich geschmeidig, aber vor allen Dingen schutzsuchend unter ihren Armen in die Höhe wand. „Genug, genug, wie herrlich hast du die Prüfung bestanden, o, die letzte, die heiligende! Gottlob, dass ich es erfuhr. Ja, es gibt noch fittichbeschwingte Sterbliche, die im Himmel wohnen sollten, aus dem du stammst. Beglückter Gabune, einst wird die Legende dich und deine Genossin selig preisen. Aber nun hurtig, damit kein menschlich Auge noch länger deine göttliche Blösse wahrnimmt, komm du schon jetzt verklärte, und umhülle dich mit meinem Herzogsmantel.


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