Die Prinzessin und der Heilige. Georg Engel

Die Prinzessin und der Heilige - Georg Engel


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unser Herr hat deine Gaben, die dich so weit über uns andere erhöhen, rechtzeitig erkannt. Hier, du Mächtiger, Redlicher und Gebenedeiter, erfasse nun auch du, wie der fromme Fürst deinen Dienst zu belohnen wünscht.“

      Vorsichtig, mit spitzen Fingern langte der Alte hinter sich, und nachdem er von einem der Knechte einen langen blauen Samtmantel empfangen, der ebenfalls auf der Vorseite mit zwei grossen roten Greifen bestickt war, näherte er sich ehrfürchtig und hing dem Verstummten das Prunkstück beflissen um die Schultern. Gleich darauf aber sank er vor dem so Geschmückten blitzschnell in die Knie.

      „Heil dir, Graf von Gabune,“ schmolz seine fette, singende Stimme, und er neigte seine Stirn fast bis zur Erde, „wohl auch mir, weil ich als der erste deine neue Würde begrüssen darf. Wie stehst du da, Herrlicher?! Das Licht der Sonne und des Mondes leuchten zugleich aus deinen Zügen. Keiner wird, wie du, deinem Fürsten und unserem armen, elenden Volke wieder Vertrauen und Achtung werben. Keiner! Lass mich deine Hand küssen, Graf von Gabune!“

      Noch auf den Knien schleppte sich der Hauptmann heran und drückte seine wulstigen Lippen auf die schlaff herabhängende Rechte des Kastellans. Unbeweglich war dieser an seinem Platz festgewurzelt, niemand konnte erspähen, was sich hinter der gefalteten Stirn an schnellen, unheilgewissen Gedanken kreuzte, und nur sein Blick ruhte verdüstert und doch voll schmerzlichen Verlangens auf dem weissen Nacken seines Weibes, der in die Kissen eingesenkt lag, wie in die Höhlung eines Henkerblockes.

      „Wieviel Zeit gewährt mir der Herzog noch?“ fragte der Gabune endlich, sich gewaltsam ermannend.

      Der Pantak zuckte die Achseln. Dann deutete er entschuldigend durch die Fensterluke: „Du siehst, edler Graf,“ bedauerte er voll nutzloser Gutmütigkeit, „dein Gefolge hält bereits auf der Strasse. Mir ist befohlen, dich ohne Aufschub an den Hof zu leiten.“

      „Gut, gut.“ Der Graf nickte. „Ich sehe, es eilt,“ sprach er in herber Fassung, „so gilt es denn Abschied nehmen.“

      Mit einem raschen Griff zog er sein Weib empor, und als sie nun vor ihm stand, als die Augen der beiden Menschen sich in dringendem Ernste das Letzte, Unverbrüchlichste aus der Seele lasen, da senkte der Gabune die Hand auf die Schulter der Frau und im Ton einer eisernen, felsenharten Überzeugung sprach er in sie hinein, in den innersten Bezirk ihres Wesens: „Es ist ein Gelöbnis zwischen uns, Adelheid.“

      Das steinerne Gesicht des Weibes zuckte, der tiefste, ihr selbst unbekannte Abgrund ihres Seins erleuchtete sich, und ihren Blick fest und voll hoffnungslosen Begehrens in den des Scheidenden verstrickt, sagte sie feierlich und beinahe in heiss lodernder Drohung: „Es gilt bis ans Ende.“

      Ihre Hände lösten sich, keine Umarmung schmiedete die beiden über Zeit und Schicksal Verbundenen noch einmal aneinander, mit einem stummen Neigen des Hauptes schritt der so schimmernd mit dem blauen Prunkmantel Geschmückte über die Schwelle des heimlichen Raumes, ungeweiht, ungetröstet, in das Dunkel des Künftigen.

      II

      Fast ein Mond war verglommen, seit der Graf seinen Gutshof verlassen, und die Schlossherrin lauschte noch immer bangsam den Stimmen der Einsamkeit nach, als müssten ihr diese etwas Ungeahntes, mit Schrecken Bekleidetes zuflüstern. Allein nichts änderte sich in ihrem gleichmässigen Leben. Die Kinder sprangen und sangen um sie her, allmählich verstummten sogar ihre Fragen nach dem fremden Mann, der ihr Vater sein sollte, und wenn die junge Mutter häufig am Fenster lehnte, um mit geheimem Schauer ihren Blick zu der Fürstenburg zu erheben, wo sie das lebende Schicksal wohnhaft wähnte, dann wiesen die kleinen belustigt nach den Dachkappen und Zinnen des Kastells, weil sich um das graue Gemäuer sogar im hellen Licht des Tages Scharen von Raben und Krähen tummelten.

      Sonst aber nahte sich der blonden Gräfin von dort droben nichts Unwillkommenes, ja der vielbeschäftigte Herzog selbst, obwohl er zur Befriedung und um des nötigen Aufbaus willen Tag und Nacht seine verwüsteten Lande durchstreifte, für das verlassene Weib blieb er unsichtbar, und nur durch seinen vertrauten Diener Jakob Pantak zeigte er sich gelegentlich bemüht, das Leid ihrer leeren Stunden mit den Gaben des Reichtums zu lindern. Bald schickte er ihr Wildbret von seinen Jagden, bald köstliche Früchte seiner Gärten, ja einmal vermochte es der demütige Sklave seines Herrn in der Tat, das Herz der Beschenkten heisser und leidenschaftlicher aufflammen zu lassen. Eines Morgens nämlich tönte ein Horn auf der Landstrasse, und als Adelheid wissbegierig an dem Ausguck des Gabunenhofes erschien, da sah sie, wie der Pantak sich dreimal vor ihr bis auf den Hals seiner Mähre neigte, während zwei berittene Söldner hinter ihm die gelben Fähnlein des Herzogs flattern liessen.

      „Gute Kunde,“ rief der Hauptmann im Absteigen ehrerbietig der Erstaunten zu, und gleich darauf stand er vor ihr in demselben Gemach, in dem er vor kurzem des Hauses heiligste Flamme erstickt hatte. Jetzt aber glänzte sein fettes Antlitz vor Wohlwollen und Mitfreude.

      „Edle Frau,“ keuchte er atemlos, indem er vor der Gräfin ein Knie bog, „der Herzog, unser gütiger Herr, lässt dauernd seine Gnade und sein Mitgefühl über dir leuchten. Hier schickt er dir etwas, von dem er meint, dass es dich köstlicher anmuten wird, als Kleinodien oder seidenes Gewand. Nimm, Huldreiche,“ strahlte er, „nimm. Es ist ein Brieftäfelchen deines Gatten. Die beiden Reisigen brachten es eben aus der fernen Stadt Danzig, wo dein Eheherr hochgeehrt auf seiner Fahrt ein Nachtlager bezogen. Inständig wünscht unser Fürst, das Schreiben möge nur Gutes für dich enthalten, und er empfiehlt sich dir in aller Gnade und Huld.“

      Damit überreichte Swantopolks Bote in bewegter Hochachtung das verschnürte Wachsgebinde, und bevor die blonde Frau noch einen Dank finden konnte, hatte sich der Hauptmann bereits wieder tief vor ihr verbeugt, um die Erblasste darauf rücksichtsvoll dem Zusammentreffen mit dem fernen Schatten zu überlassen.

      Kraftlos, zitternd, überglüht war die Überraschte auf die mächtige Lagerstatt gesunken, nun löste sie mit bebenden Fingern die Bastschnüre und senkte ihren Blick hungrig auf die bekannten Zeichen.

      Es waren nur wenig Worte: „Adelheid, denke an mich, wie ich an dich. Dann verliert die Ferne und alles, was zwischen uns steht, seine Macht. Wie uns allen die Sonne strahlt, du Geliebte, so löst sich für die, die reinen Herzens, die Finsternis allemal in Licht. Denn das Gute und das Helle sind als eine weisse Wand erbaut, das Übel und die Sünde aber huschen nur als Schatten darüber hinweg. Denke daran, Adelheid.“

      Sonst nichts. Die Einsame jedoch wusste, was hiermit gemeint war, und sie ahnte auch, dass sich das Schreiben nur deshalb so vorsichtig und dunkel ausdrückte, weil den Absender gewiss der Verdacht gequält, seine besorgten Andeutungen könnten von unberufenen Spähern erforscht werden.

      Der Herzog?

      Es war bekannt, wie er nichts schonte, was sich versponnen und scheu an den natürlichsten Geheimnissen unter seiner Umgebung, ja weithin im Land, verbergen wollte. Und so wie der Bauer abergläubisch überzeugt war, dass Swantopolk die Ähren auf den Feldern der Unfreien gezählt habe, so erröteten die Weiber unter dem Blick des Unheimlichen, denn sie wussten das Behütete ihrer Schlafkammern vor dem Geieräugigen nicht sicher.

      Auch Adelheid schlug die Röte ins Antlitz, als sie, befangen von jenem Misstrauen, noch einmal die lieben Buchstaben durchflog — siehe da — der Atem stockte der Verlassenen — was waren das für tiefe Abdrücke von Fingernägeln am Rande des Wachstäfelchens? Die hatte ihr Gemahl nimmer verursacht! Denn die Sitte der Zeit rundete die Fingerspitzen bereits. Und nur der Herzog empfand eine grausige Lust, gleich dem Leibhaftigen, sich Greifenklauen wachsen zu lassen. Oft hatte er schon Hände, die sich ihm arglos darboten, mit einem raschen Riss bis aufs Blut durchbrochen.

      Allein mitten in ihren Befürchtungen verbreitete sich plötzlich ein frauenhaft listiges Lächeln in den feinen Zügen der mit ihren Gedanken Ringenden. Die Beruhigung überkam sie, aus diesen verhüllten und verdeckten Sätzen des Schreibens könne selbst der bösartige Spürsinn eines Kundschafters nichts Auffallendes herauslesen. Nur Wärme strömte aus den Zeilen, und etwas Dunkles, ein bindender Zwang, der zwei weit Getrennte eng und unauflöslich verknüpfte.

      Und wieder lächelte die Einsame in getrösteter Überlegenheit und drückte die geschlossene Tafel zärtlich an ihre Brust.

      Inzwischen


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