Die Prinzessin und der Heilige. Georg Engel

Die Prinzessin und der Heilige - Georg Engel


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denn ihr böser Verdacht musste wohl doch unbegründet gewesen sein. Zu offen und vor aller Welt gönnte ihr der Tyrann jene fromme Bevorzugung, zu nachspürbar und begangen war der Weg, den er sie leitete, als dass sich irgend eine böse Absicht hinter diesem festlichen Zug hätte verstecken können. Vielleicht bildete die Gattin des Kastellans wirklich nur eins der Mittel, mit denen der Schlaue gar häufig sein Volk und die Kirche zu täuschen trachtete. Oder — o Hoffnung — sollte sich am Ende auch in dieses verhärtete Herz ein Strahl jenseitiger Zuversicht geschlichen haben? Zudem, es war die Zeit, wo man anfing, den Frauen göttliche Ehren zu erweisen. Zuversichtlicher richtete sich die Blonde auf, und jetzt begann sie sogar sehr zum Vergnügen des Landesherrn die Mähne der mächtigen Kastanienschecke zu streicheln.

      Der Böse nickte ihr zu, verzog den Mund und schlug dem Tier kräftig gegen die Weiche. Wie hätte er ahnen können, dass seine Gefangene gerade in jenem Moment eine geistige Zuflucht gefunden hatte, dazu geschaffen, um sie über jede Anfechtung zu erheben. Es war die Mahnung des ihr geraubten Gatten, dass man zu dem sterblichen Leib, sobald er auf Schande gebettet werden sollte, sprechen könne: „Höre auf und zerfalle.“

      Und über das weisse Antlitz der Kastellanin verbreiteten sich Trost und Hoffnung.

      „Sieh hier,“ wies der Herzog, nachdem sie stundenlang durch die Einsamkeiten unwegsamer Heiden und schwarzer Moorgründe gezogen waren, „wir sind am Ziel.“

      Mitten aus einer Lichtung graustämmiger Buchen, umschlossen von einem Wall gespenstischen Schweigens, erhob sich ein unbedeutender kreisrunder Lehmhaufe. Ein Schindeldach kuppelte sich ihm tief über die Stirn, und über zwei niedrigen Stufen, die rings um das Gebäude liefen, wehrte eine ungefüge, eisenbeschlagene Bohlentür den Eintritt. Ätzend duftete sie nach dem frischen Teeranstrich, der bräunlich in der Sonne flimmerte, wodurch der Eindruck des Unfertigen, Nüchternen, Lieblosen noch vermehrt wurde.

      Der Landesherr dagegen deutete auf diese elende Hütte mit einem inneren Beifall, mit einem Schwung, als wenn er nicht wüsste, wie sehr das angebliche Heiligtum in Wahrheit einem Maulwurfshügel gliche.

      „Schau her, teure Frau,“ so triefte er vor gespielter Wichtigkeit, „welch ein friedlich, abgesondert Plätzchen sich die Andacht hier gesucht. Zierlich, ich möchte sagen, demütig fügen sich die Masse. Wahrlich, kein Mensch kann behaupten, ich sei ein reicher Mann, und dennoch habe ich den Werkleuten gegenüber nicht geknausert. Weiss Gott, eine übel angebrachte Sparsamkeit, sobald auch nur ein einzig Augenpaar gleich dem deinen in frommer Entzückung auf solchem einfältig-erhabenen Gebäu ruht. Steige herab, Gepriesene, damit nun auch du dem Heiligen deine Verehrung bezeugest.“

      Diensteifrig hielt der Herzog seiner Gefährtin den Steigbügel, und als sie sich, noch immer zögernd, herabgleiten liess, fing er sie in seinen kräftigen Armen auf und beeilte sich nicht, sie von seiner Brust zu lassen. Die Blonde aber riss sich los, und wie ein zusammenbrechend Wild, halb schutzsuchend, halb noch fluchtbereit warf sie sich auf den Stufen nieder, um tiefgesenkten Hauptes ihre verschlungenen Fäuste in den Schoss zu pressen. Wild murmelten dazu ihre Lippen ein eilig herbeigerafftes Gebet, so dringend, so inbrünstig, als stünde wirklich der Heilige hinter der Tür, nur zu dem Zwecke, um sie liebreich in seine Hut zu nehmen.

      Um die scharfen Lippen des Beobachters indessen glitt ein überhebliches Lächeln, er wusste ja, dass der heilige nur ein Klumpen Lindenholzes war, dem der Farbentopf dann die letzte Bedeutung verliehen. Ohne Hast, ja beinahe geräuschlos schleuderte er näher, schritt an der Knienden vorüber, fasste den gewaltigen eisernen Türring und drückte das Pförtlein mit gesparter Kraft auf. Ein Ächzen des Holzes wurde hörbar, aus den schlecht geölten Angeln kreischte es, und dann — ein beseeltes Dämmern höhlte sich ihnen zuerst entgegen, und wie aus einem erleuchteten Nebel erhob sich hinter einem schmucklosen Holzgitter die bunte Statue des Christophorus. In langen, starren, eckigen Kanten war die Gestalt eines Mönches in brauner Kutte von dem Künstler aus seinem Material herausgestochen, ein gelb gestrichener Teller klebte ihm als Gloriole über der Tonsur, und auf der Schulter trug er das nackte Christusknäblein, das ihn in einem sonderbar menschlichen Scherz am Ohr zupfte. Eine vorausgeeilte Regung künstlerischer Freiheit. Sonst war das Gebilde leblos, wächsern, und die alles erklärende Bewegung mangelte ihm.

      Unterdessen hatte Swantopolk seine Begleiterin unter den Arm gefasst; jetzt, nachdem er sie gewaltsam in die Höhe gezogen, drängte er sie in den engen, kreisrunden Raum, nicht jedoch, bevor er die schwere Tür sorgsam wieder hinter sich geschlossen.

      Über dem Haupt des Heiligen schaukelte sacht ein tönernes Öllämpchen, und von dort allein fiel ein düsteres Zucken auf die Holzpuppen und die beiden Menschen herab. Atemraubend fast presste eine schläfrige Stille alles Leben ein, und so beengend und schwer drückte das undurchdringliche Schweigen auf die bange Brust, dass sich selbst der Böse gedrungen fühlte, diese unerträgliche Gefangenschaft zu lösen. Fast war ihm sein eigener Vorsatz vor dem umspannenden Druck gewichen.

      Trotzig reckte er sich.

      „Schau her,“ begann er nach einem frechen Räuspern, „dies alles schuf ich dir und deinem Eheliebsten zu Gefallen. Ich hoffe, du wirst es mir Dank wissen.“

      Durch den silbrig durchleuchteten Glast von Nebel und Staub glimmten die Raubvogelaugen des Mannes fangbegieriger, sie krallten sich auf dem dämmernd weissen Nacken des Weibes fest, auf ihrem korngoldenen Haar, und die Stösse seines Atems zeigten der Bestürzten, dass er sich kaum noch bezwinge, in seiner bisherigen Zurückhaltung zu verharren. Was hinderte den Gebietenden, Furchtbekleideten auch noch, in dieser Einsamkeit den Jagdsprung zu wagen? Seltsam, es war die verschüchterte, kindlich-flehende Gebärde, mit der die Blonde sich an das Gitter klammerte, gleichsam, als wäre es möglich, dass der heilige sie wirklich in den Falten seines eigenen Gewandes verberge, Dies allein dämpfte die Lüsternheit ihres Verfolgers auf eine ihm selbst unbegreifliche Weise zu Vorsicht und verärgertem Zögern herab. Ungebärdig stampfte er mit dem Fuss, denn er wollte die Hingegossene auf jeden Fall in ihrer Zwiesprache mit der Holzpuppe unterbrechen. Glaubte er nicht auch etwas Wahnwitziges aus ihrem erregten Murmeln aufgefangen zu haben? Es klang beinahe, als hätte das irre Weib geredet: „Ich kann zu diesem meinem Leib sprechen: höre auf und zerfalle!“

      Fort damit, jene erhitzte und zugleich betörende Stille musste gelüftet werden, schon damit er sich selbst von der ungewohnten Zaghaftigkeit befreie. Ungestüm, in der rohen Absicht, sich ihres irdischen Daseins zu vergewissern, packte er die sich windende an der Schulter und herrschte sie an: „Genug, Madonna, wozu sich so zärtlich an den starren Gelenken erhitzen? Was ist’s mit dem Burschen? Du bist eine Klostergelehrte. Unterrichte mich Unkundigen daher, was es mit dem hölzernen Knecht auf sich hat? Warum schleppt er das Kindlein, als wäre er seine Amme?“

      O, gottlob, die Schlossfrau atmete auf. Die Wissbegierde des Tyrannen, sein Wunsch nach Unterweisung, sie überredeten die halb Besinnungslose noch einmal in den Wahn, das Gelüst des Bösen möchte vielleicht schon wieder zerflattert sein. Um aller Barmherzigkeit willen, diese günstige Wandlung musste genützt werden!

      Noch auf den Knien sammelte Adelheid daher mit aller Macht ihre Gedanken, bezwang ihre innere Unrast und begann: „Herr und Fürst, vermag ich dir doch nur zu erzählen, was ich selbst aus den Gesprächen der frommen Ursulinerinnen zu Naumburg aufgelesen. Sieh, dieser Christophorus soll in sagenhaften Vortagen ein Riese gewesen sein, ein Trotziger, Unbezwingbarer, der mit den Füssen einen Amboss in die Erde stampfen konnte. Darum mochte er aber auch nur dem Stärksten auf der Welt dienen und so verdingte er sich endlich nach langem Suchen dem Satan.“

      „Er muss seine Leute gekannt haben,“ bemerkte hier der Herzog unter einem Grinsen.

      Erblassend vor diesem Einwurf fuhr die Erzählerin hastiger fort: „Allein dem Teufel wurde bald Angst vor seinem Gesellen. Gar zu fürchterlich tobte der Ungebärdige in der Hölle umher, riss das Fegefeuer auseinander, trank zu seiner Ergötzung siedendes Pech und warf bei jedem Streit Dutzende von armen Seelen dem Schwarzen gegen die Hörner. Da verriet der Böse seinem Diener endlich ganz demütig, der Herr der Finsternis möchte wohl doch nicht der Stärkste sein, sein Knecht möge es lieber einmal mit dem Heiland versuchen!“

      „Schwachheit,“ murrte Swantopolk. „Sobald ein Übeltäter erst über sich nachdenkt, so ist


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