Der Schwur der Engel. Pål Gerhard Olsen
Korrekten. Solchen wie Ihnen. Ihre Arbeit bei der Polizei ist ein endloser Kampf gegen das Chaos.»
«Ich sollte jetzt wohl gehen», sagte sie und streckte die Arme nach vorne aus. Die Hände waren zur Faust geballt, aber sie fragte mich nicht, welche Hand ich wählen wolle.
«Ja, das Sonntagessen wartet. Was gibt es denn heute für Sie und den lieben Gatten? Lammbraten und dazu ein guter, runder Rioja?»
«Ich bin nicht verheiratet.»
«Ich war verheiratet. Jetzt bin ich ein lebender Toter.»
Kein Kommentar. Sie wandte sich zum Gehen.
«Wissen Sie, was ich noch glaube?», sagte ich zu ihr, als sie mir schon den Rücken zuwandte. «Sie wissen, dass ich es nicht war. Ihr analytischer Verstand sagt Ihnen, dass jemand diese Schnur dorthin gelegt hat, damit Sie sie finden. Aber Sie wollen das sich selbst gegenüber nicht zugeben. Sie verleugnen das. Als wollten Sie, dass Turid allen so in Erinnerung bleibt: umgebracht von ihrem Ehemann, einer tickenden Zeitbombe. Als sei das die verdiente Strafe dafür, dass sie so hypersensibel und undiszipliniert war.»
«Sie irren sich», sagte sie und drehte sich noch einmal um. «Mein analytischer Verstand arbeitet völlig unabhängig. Wenn er sagt, dass Sie tatverdächtig sind, dann bedeutet es das und nichts anderes. Daran muss ich mich jetzt halten. Ich bin verpflichtet, mich daran zu halten. Ich möchte Sie daran erinnern, dass ich mit dieser Meinung nicht allein stehe. Wir haben Juristen für unsere Fälle. Nicht ich muss zur Verhandlung.»
«Man wird Sie vermissen.»
Sie atmete schwerer. Ihre dunklen Augen leuchteten. Wir machen irgendetwas miteinander, dachte ich. Wir verfolgen insgeheim einen gemeinsamen Plan. Etwas in ihr fühlte sich von mir angezogen, so streitsüchtig, so unzurechnungsfähig vor Kummer, wie ich war. Als böte ich ihr qualifizierten Widerstand, und eher als Mann denn als Tatverdächtiger.
5
Der nicht öffentliche Haftprüfungstermin war für neun Uhr angesetzt. Die Journalisten waren zahlreich erschienen, sie mussten aber auf den Gängen warten. Ich war seit Tagen die Milchkuh für ihre Titelseiten. Das massive Presseaufgebot drängte zu mir hin, aber die Beamten brachten mich sicher in ein Hinterzimmer. Wie eine Sportlergarderobe vor dem großen Kampf, dachte ich. Und wie bei einem bevorstehenden Kampf begrüßte ich den Kapitän der gegnerischen Mannschaft mit Handschlag. Der Staatsanwalt, der die Stichhaltigkeit von Mirjam Paulsens Beweisen bestätigt hatte, war weißhaarig, groß und schlank. Ein wettergegerbter Mann, der offenbar viel im Freien war. Der Richter war eine Frau. Klein und lebhaft, sie hatte ein langes Berufsleben hinter sich. Lindtoft trug den gleichen Anzug wie am Samstag, nur die Bonbontüte war neu. Während der Arbeitszeit brauchte er einen Ersatz für das, was ihm eine Schrumpfleber beschert hatte. Er redete unter vier Augen mit mir.
«Haben Sie das mit der Angelschnur gehört?»
«Ja», sagte ich. «Von der Polizei selbst. Das ist doch eine Falle. Jemand will mich reinlegen. Ich bin kein Angler.»
«Nun gut. Sehen wir zu, dass wir das hinter uns kriegen, Ask.»
Er legte mir seine rundliche, papierleichte Hand auf die Schulter und begleitete mich in den hell eingerichteten, ansprechenden Raum. Ein lockerer, geradezu jovialer Ton herrschte zwischen den Parteien. Nach einem kleinen Eingangsvortrag bat die Richterin mich, vorzutreten, fragte mich nach Namen und Personennummer, Beruf und Einkommensverhältnissen. Ich war froh, dass eine Frau den Vorsitz hatte. Von jeher war da etwas zwischen Frauen und mir. Eine besondere Temperatur, eine Art Energieübertragung. Mit Männern tat ich mich schwerer. Sie waren irgendwie unbeweglicher. Ich sah die Richterin nicht als Objekt, das vom Gesetzbuch neben ihr gegängelt wurde, sondern als Mensch. Ich wollte um ihr sicheres, unabhängiges Urteilsvermögen werben.
Alles auf Anfang.
«Möchten Sie sich zu den Beschuldigungen gegen Sie äußern?»
«Ja. Aber ich möchte keine Erklärung abgeben, ich würde gerne etwas erzählen», sagte ich, um die Richtung vorzugeben.
«Nun denn», sagte die Richterin mit einer Handbewegung, als putze sie im Akkord Fenster. «Nennen Sie es, wie Sie wollen, aber fangen Sie an.»
«Ich möchte von einer Begegnung erzählen. Der Begegnung zwischen mir und der Frau, die später meine Ehefrau wurde. Das war vor zweieinhalb Jahren. Ich war vor ihr mit vielen Frauen zusammen gewesen. Zu vielen. Aber dann kam Turid in mein Leben. Ich wusste, dass sie meine Endstation war. So einfach war das. Sie machte mich zu einem anderen Mann. Ich weiß nicht, ob ich sie zu einer anderen Frau machte, aber sie machte mich zu einem anderen Mann.»
Ich sah, dass die Richterin sich schüttelte, als hätte ich mich einer unangemessen schwülstigen Sprache bedient. Aber ich redete mit heißem Kopf weiter und bombardierte die erste Dame des Gerichts mit meinen Blicken.
«Sie machte mich frei, indem sie mir die Freiheit nahm. Ich bin auch jetzt frei, verehrte Frau Richterin. Vielleicht kennen Sie das Lied von Janis Joplin, dass Freiheit nur ein anderes Wort dafür sei, dass man nichts mehr zu verlieren hat. Wenn das so ist, dann bin ich völlig frei. Denn als ich Turid verlor, habe ich alles verloren. Mich verloren. Ich habe kein Interesse daran, mich selbst wieder zu finden. Ich werde Himmel und Hölle in Bewegung setzen, um herauszufinden, wie Turid ermordet wurde. Warum sie nicht mehr Teil meines Lebens ist, mit all den kleinen Alltäglichkeiten, die ein Zusammenleben ausmachen. Und die so groß werden, wenn man sie nicht mehr hat. Sie ist immer noch alles für mich.»
Ich hatte den Eindruck, als erreichten meine Worte ihr Ziel. Die Richterin schüttelte sich nicht mehr, sie hatte sich in dem hohen, rot gepolsterten Stuhl zurückgelehnt. Sie wirkte weniger auf dem Sprung.
«Ich habe mehr als nur sie und unser gemeinsames Leben verloren. Turid erwartete ein Kind. Der Beweis unserer Liebe. Zusammen ein Kind erwarten – was könnte mehr bedeuten. Es klingt vielleicht hoffnungslos altmodisch, dem so viel beizumessen. Aber ich bin ein altmodischer Mann. Ich bitte nicht nur darum, ich verlange, dass man mir glaubt, dass ich nicht getan habe, wessen man mich hier beschuldigt. Damit will ich nicht mich verteidigen, sondern sie. Sie ist nicht diesen himmelschreiend banalen Tod gestorben, auf dem die Polizei besteht. Ich will ihr einen würdigeren Tod geben, der widerspiegelt, wer sie war und wer wir zusammen waren.»
«Sie reden gut. Aber auch sehr unpräzise», sagte sie salomonisch. «Ich hätte Sie zur Abwechslung gern etwas bodenständiger. Was haben Sie zu den Ereignissen am Abend des vergangenen Donnerstags zu sagen?»
«Gut, von der Poesie zum Sachbuch. Ich verweise auf meine Aussage bei der Polizei. Ich bin das Opfer eines Komplotts. Das ist eine Falle, und die Polizei glaubt alles unbesehen. Um es kurz zu machen: Ich bekam einen Anruf von einer Prostituierten im Sagvei. Ich sollte sie vor einem Kunden schützen, der sie belästigte. Auf ihre Bitte machten wir einen Spaziergang zur Aker hinunter, und da fand ich meine Frau. Diese Prostituierte ist in dieses Komplott einbezogen. In meinem Verhör habe ich andere mögliche Täter erwähnt, die gute Motive gehabt hätten. Auch die Angelschnur ist Teil des Komplotts. Turid ist nicht diesen banalen Tod gestorben, den die Polizei ihr anhängen will. Ich bin sicher, dass etwas Größeres dahinter steckt. Und das will ich zeigen.»
«Sie konnten hier schon mehr zeigen als die meisten anderen in Ihrer Situation», antwortete die Richterin bedeutungsvoll und überließ mich dem Staatsanwalt.
Seine Fragen folgten dem, was Paulsen und Svenning ihm vorgegeben hatten. Darüber hinaus hatte er nichts Neues zu bieten, weder im Austausch mit mir noch in seinem Schlussplädoyer. Fingerabdrücke und Blutproben waren hier ohne Bedeutung, und es war ihnen auch nicht gelungen, am fraglichen Abschnitt der Aker etwas zu finden, was mit mir in Verbindung gebracht werden konnte. Aber sie hatten die Zeugenaussage, sie hatten die Schnur, sie hatten alles in allem genug, um eine vierwöchige Untersuchungshaft mit Brief- und Besuchsverbot zu fordern. Was der Staatsanwalt vorbrachte, war kein Plädoyer, sondern eine pisswarme Beweisführung. Als seien ihm Fälle wie der meine bis zum Erbrechen bekannt. Für ihn war ich ein eifersüchtiger Ehemann, der die Kontrolle verloren hatte. Er hatte die statistische Wahrscheinlichkeit auf seiner Seite.
Lindtoft