Der Schwur der Engel. Pål Gerhard Olsen
Fettärsche machen ihn völlig fertig. Also keine besondere Leistung, dass Sie ihn austricksen konnten. Aber hier endet Ihr Vormarsch. Sie sind eben kein Napoleon.»
Er lachte voller Hohn.
«Du bist doch nur ein kleiner Pisser. Deine Frau ist hinüber? Das ist mein Bruder auch, praktisch gesprochen. Eine so ... sensible Natur wie ihn einsperren. Das ist eine ausgemachte Scheiße. Eine Künstlernatur, mein Bruder. Der bemalt den ganzen Knast mit Fresken, wenn sie ihn einbuchten. Ich hoffe es ja nicht. Dann spucke ich Ihrer Frau aufs Grab. Sie gab nicht auf, sagen Sie. Jetzt sage ich Ihnen mal was: Was sie hier gesehen hat, das hat sie angemacht. Dieser ganze Kram, den irgendein Idiot da unten liegen gelassen hat. Frauen mögen so was. Dass man mit ihnen ein bisschen schräg ist. Solange man ihr Ego massiert, kann man so schräg sein, wie man will. Ich glaube, Ihre Schöne war ein Voyeur. Darum gehen die Leute doch zur Polizei. Damit sie was zu sehen kriegen. Weil sie es daheim nicht kriegen, holen sie es sich bei der Arbeit. Diese Bullen schmarotzen bei den Kreativen. Aber Ihre Frau konnte nicht zugeben, dass es ihr unterm Kittel brennt. Musste einen Sündenbock finden. Und das war mein Bruder. Von wegen faschistoide Männergesellschaft und diese ganze Emanzenscheiße. Am liebsten hätte sie doch selbst da gelegen. Lebendig brennend, natürlich. Sagen wir wie ... eine Kerze? Waiting for my man. Sie waren damit sicher nicht gemeint. Eher der Sensenmann, würde ich mal schätzen.»
Mit einem Satz war ich auf der anderen Schreibtischseite. Er stand einfach da, hatte es erwartet, war eine Wand, von der ich abprallte, auf die Tischplatte. Meine Hand umfasste etwas. Den Brieföffner. Ich stach zu. Ein lachhafter Riss im Designer-Shirt. Er umfasste mein Handgelenk und rammte mir gleichzeitig das Knie zwischen die Beine.
Mir wurde schwarz vor Augen. Konzentrische Schmerzkreise jagten durch meinen Unterleib. Dann kotzte ich, einen langen Streifen Schleim und Galle. Er war vorausschauend beiseite getreten, um nicht getroffen zu werden. Ich fiel auf die Knie, dann zusammengerollt auf den Boden. Unmittelbar darauf traf mich ein kühler Kohlensäurestrahl im Nacken.
«So heißblütig an einem kalten und grauen Tag. Nicht schlecht. Aber man sagt ja, dass die Bergenser die Sizilianer Norwegens sind – Sie sind doch aus Bergen, oder? Nur gut, dass nicht mehr von der Sorte hier sind.»
Er streckte mir eine Hand entgegen. Ich nahm sie. Er drehte mir den Arm langsam nach hinten und sah mir dabei in die Augen, grinste mich in Grund und Boden. Wenn er Berater war, dann in Sachen Bodybuilding.
«Ich könnte ihn brechen. In Notwehr.»
«Mach doch», röchelte ich.
«Nicht, wo du so weit unten bist. So leicht gewinne ich nicht gern. Aber du kannst jetzt gehen. Auf deinen eigenen Beinen. Ich trage dich nicht raus wie einen Müllsack. Auch wenn ich das sollte, wo du nichts bei dir behalten kannst», sagte er mit einem angeekelten Seitenblick auf das gezackte Diagramm, das mein Mageninhalt auf seinem Stuhlsitz hinterlassen hatte.
An der Tür ließ er mich los.
«Sie finden sicher allein raus. Schon mal gehört?»
Er stand am Geländer und sah zu, wie ich die Treppe hinunterging.
«Wann ist die Beerdigung? Kann die Kirche hier in Ris empfehlen. Standesgemäß, wirklich erste Sahne. Genauso gut wie die Schlosskapelle.»
Die Küche des Hauses lag rechts vom Haupteingang und war ein Designertraum aus gebürstetem Edelstahl. An einem labortauglichen Tisch saß ein bleichsüchtiger, dunkelhaariger Teenager. Sie trug einen korsettähnlichen Stretchpullover und ein auffallend breites Lederhalsband. Sie aß Müsli aus einer Schale. Dabei blätterte sie in etwas, das wie ein Comic in Buchform aussah. Ich konnte die Vorderseite erkennen, auf der in blutroter Schrift Armageddon stand. Sie würdigte mich eines einzigen Blickes. Vermutlich hielt sie mich für die Putzhilfe. Höher würde ich in der Rangordnung dieses Hauses nicht aufsteigen.
3
Im Stadtteil Vinderen brannten alle Lampen, um dem schwarzgrauen Himmel zu trotzen. Im Restaurant Jeppe saßen hübsche Menschen in bester Weihnachtsstimmung beim Mittagessen. Ich selbst bekam von den Tortelloni, die ich in einem Anfall von Normalität bestellt hatte, nichts herunter. Zwischen den Perlenketten und Lacoste-Pullovern war ich Ausschussware. Ich konnte alles ermitteln, aber nicht Turids Tod.
Ich fuhr den Slemdalsvei hinunter bis Majorstua. Nach Hause konnte ich nicht – unsere Wohnung mit all ihren Erinnerungen erstickte mich. Im Bogstadvei fuhr ich einem Auto hintendrauf, ich hatte nicht aufgepasst, als der Wagen vor mir anhielt, um Oslos Stolz, den blauen Straßenbahnen, nicht zu nahe zu kommen. Der Fahrer war etwa fünfzig und schien um den Ehrenpreis als pingeligster Autobesitzer zu kämpfen. Er hatte einen Bürstenschnitt, trug einen Jagdanzug und schnauzte mich mit Zitaten aus Sodom und Gomorrha an. Wir hatten unsere Fahrzeuge aus dem Weg gefahren, und er diktierte mir gerade Buchstabe für Buchstabe die Schadensmeldung, als mein Handy klingelte.
«Können Sie mal vorbeikommen?», fragte Mirjam Paulsen ohne einleitendes Gesumse.
«Was Besonderes?»
«Zumindest so besonders, dass Sie herkommen sollten.»
Nicht sollten, korrigierte ich, nachdem sie aufgelegt hatte: müssen. Der Ton ihrer Stimme bedeutete fraglos das Ende jeglicher Zusammenarbeit.
Das Bürstenschwein hörte nicht auf, er fing immer wieder davon an, was für ein degenerierter, hirntoter Dreckskerl ich sei. Er schaffte es, sogar dann noch einige Beschimpfungen loszuwerden, nachdem ich ihn mit der Schadensmeldung geknebelt hatte. Als ich mich stürmisch in den dichten Freitagsverkehr fädelte, kam ich nochmals gegen sein Heiligtum. Im Rückspiegel sah ich, wie er Passanten in den Kriegsrat einbezog, als plane er die Bildung eines Lynchmobs. Ich war zum Volksfeind geworden.
«Sie sind zu Hause nicht ans Telefon gegangen und im Büro auch nicht. Aber dorthin wären Sie wohl an einem Tag wie heute auch nicht gefahren, oder?», sagte Mirjam Paulsen als Prolog. Sie trug einen marineblauen Blazer mit weißem Rippenpullover und gut sitzenden Hosen. Svenning strotzte hinter ihr, als sei er wieder im Sportstudio gewesen.
«Nein, ich kann im Grunde nirgends hin. Aber ich habe einen Wunsch.»
Ich sagte nicht: einen letzten Wunsch. Obwohl auch das vorstellbar war. So wie Kriminalkommissarin Paulsen ihre Karten ausspielte, war alles vorstellbar. «Ich möchte ihr Büro noch einmal sehen», fuhr ich fort.
Die Räume waren identisch. Aber dieses Büro war von Turid durchtränkt, von ihrem Duft. Ein griechischblauer Blumentopf. Eine Landschaftszeichnung aus dem Hallingdal. Gelbe Zettel rund um den Monitor, weitere auf dem Schreibtisch, dem Telefon, dem Aktenschrank. Ein pfirsichfarbener Seidenschal über der Stuhllehne. Ihre kleine Musikanlage, drum herum einige CDs. Altbewährte wie Marvin Gaye und Aretha Franklin, neue wie Macy Gray. Sie hatte Soul gemocht, Rhythmen der Leidenschaft. Wir hatten uns zu dieser Musik geliebt.
Ich nahm das Tuch mit. Pars pro toto. Das Teil, das am stärksten duftete.
«Die Lage hat sich verändert», sagte Paulsen, als wir wieder in ihrem Büro waren.
«Wir haben eine Zeugenaussage.» Sie zog einen Ausdruck hervor und setzte eine Lesebrille auf.
«Von der Kundin, über deren Identität Sie schlafen wollten. Und was sie zu sagen hat, wirft ein ausgesprochen schlechtes Licht auf Sie. Sie haben behauptet, ihre Identität nicht preisgeben zu wollen, um sie zu schützen. Aber es sieht ganz so aus, als ob Wenche Johnsen Ihren Schutz gar nicht will. Sie will vor allem ihrer Bürgerpflicht nachkommen und versucht gar nicht zu vertuschen, dass sie davon lebt, in ihrer Wohnung sexuelle Dienste anzubieten. Sie sagt jedenfalls aus, dass Sie gestern Abend zu ihr gekommen seien, gegen neun Uhr. Sie hatten nicht angerufen und ... einen Termin ausgemacht, Sie kamen einfach.»
«Und drohten ihr», übernahm Svenning. Er saß auf der äußersten Schreibtischecke und krempelte die groß karierten Hemdsärmel auf, sodass ich die Bizepse schwellen sah. «Drohten so nachhaltig, dass sie sich gezwungen sah, Sie hereinzulassen, damit nicht das ganze Haus zusammenlief», fiel Paulsen ihm ins Wort. «Sie führten sich auf wie das Jüngste Gericht. Wenche Johnsen glaubte, ihr letztes Stündlein habe geschlagen. Aber Ihnen ging es gar nicht