Nach vorne!. Stefan Reusch

Nach vorne! - Stefan Reusch


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href="#uf4acfdc5-cb8a-5839-9b2f-1d04bd49c74c"> Fußballerbeine

       Arne Jens

       Niemals aufs Altenteil

       Carsten Schmidt

       Herausgeber und Autoren

       Danksagung

       Kabinenpredigt

      „Nach vorne!“ Eigentlich kenne ich nur zwei Menschen, die diesen Satz rausgehauen haben, als gäbe es kein Morgen mehr: Der eine war mein Trainer in der D-Jugend von Düren 99 und hielt „Nach vorne!“ für ein tragfähiges Konzept, kleinen Jungs das große Spiel näherzubringen. Der andere steht jeden zweiten Sonntag hinter mir im Stadion und brüllt mir den Satz in Orkanstärke direkt in die Ohrmuschel. Wie auch immer – jedenfalls hat sich dieser Satz ordentlich bei mir eingebrannt, und als es darum ging, einen Titel für dieses Buch zu finden, war klar: Der Schinken kann nur „Nach vorne!“ heißen.

      Die Fußballlesereihe TORWORT gibt es mittlerweile seit mehr als sechs Jahren. Eine lange Zeit, in der wir Leute kennengelernt haben, die wir besser nie im echten Leben erlebt hätten. Leute, die eigentlich unsere Helden waren, diesen Kredit aber so schnell verspielten wie so mancher WM-Spieler 1982 seine WM-Prämie am legendären Schlucksee. Aber hey – das war es wert! Denn wir haben mindestens zehnmal so viele Leute getroffen, die wirklich grandiose Menschen sind und die uns gezeigt haben: Wir sind nicht die Einzigen, die den Fußball so sehen, wie wir ihn nun mal sehen. Wir haben Leute getroffen, für die Fußball mehr ist als ein Family-Event – Leute, die erotische Beziehungen zu ihrer Stadionuhr aufbauen, die als Kinder Europacup-Auslosungen mit Papierzetteln nachspielten oder die den Fußball so dermaßen ernst nehmen, dass sie mühelos über ihn lachen können. Es ist schön zu wissen, dass es nach wie vor eine ganze Menge solcher Verrückter gibt, und wenn wir den ganzen Kram nur gemacht haben, um euch kennenzulernen, hat sich schon alles gelohnt.

      Wir haben Geschichten über Fußball in Köln, Bern, Mönchengladbach, Aachen, Düren, Münster oder Berlin vorgelesen. Jede Lesung war ein Ereignis – egal, ob nun Simon Rolfes, Klaus Fischer, Hans Tilkowski, Erik Meijer oder Joachim Król neben uns am Mikro saßen. Und natürlich krachen wir weiter durch die Republik und wollen Dinge erfahren, die uns vom Hocker hauen und so noch nie in irgendeiner Zeitung gestanden haben. Trotzdem war es an der Zeit, das Beste von dem Zeug, das wir bis dahin gelesen hatten, endlich mal zu sammeln, zu ordnen und zu veröffentlichen. Das haben wir hiermit getan und hoffen, dass es euch gefällt – ob ihr nun schon einmal bei TORWORT wart oder nicht.

      Aber nur, damit das klar ist: Das war noch lange nicht alles! Wir sehen uns in der Hammond Bar im Kölner Süden oder bei einem unserer Auswärtsspiele. Ganz bestimmt! Bis dahin: Nach vorne!

      Sascha Theisen

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      Endlich: Die Hitzewelle ist vorbei. Es geht auf den Herbst zu – nasskalter Nieselregen im Stadion, unten ein trostloses 0:0-Gekicke und neben mir mein Freund Ralle. Fußball, wie ich ihn liebe – halt mein Fußball!

      Ein Regentropfen läuft seine ultralange Nase runter, ihm ist kalt, er weiß: Morgen ist er erkältet. Ralle ist eigentlich kein richtiger Alemanne, er kennt nicht alle Spielernamen – höchstens fünf bis sechs – und den kicker liest er auch nicht, vom Tivoli-Echo oder In der Pratsch ganz zu schweigen. Aber er ist da und steht neben mir. Er fühlt sich wohl hier, denn irgendwie mag er es, wenn ihm etwas so richtig auf den Sack geht, und nirgendwo kann er das besser ausleben als hier am Tivoli – im Herbst – bei leichtem Nieselregen.

      „Da siehst du ’ne Scheiße!“ Ein neuer Tropfen läuft seine Nase runter und wölbt sich an deren Spitze. „Die sind doch das Allerletzte! Komm, wir hauen ab!“ Natürlich bleibt er da! „Das war das letzte Mal, dass ich zu der Scheiße mitkomme!“ Natürlich kommt er wieder mit beim nächsten Mal.

      Und egal, wie die Sache ausgeht, ob wir noch einen reinstolpern, verdientermaßen verlieren oder es torlos bleibt: Wenn Ralle vor mir grummelnd nach Hause geht und alle, mit denen wir da waren, sich über seine Mimik bei gebückter Haltung mehr freuen als über irgendeine Aktion in den 90 Minuten zuvor, dann weiß ich: In zwei Wochen bin ich wieder hier mit Ralle: am Tivoli – im Herbst – bei leichtem Nieselregen.

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      Die Frauen, die ich liebte, hatten eins gemeinsam: Sie lernten meine Begeisterung für den Fußball zwar kennen, aber sie akzeptierten sie nur – so, wie sie meine Ignoranz gegenüber den dünnen Staubschichten auf meinem Bücherregal akzeptierten.

      Dann begegnete ich Pauline. Wir waren vier Jahre lang zusammen. Unsere Liebe war eine, die man im Nachhinein zu den großen zählt. Bereits nach sechs Monaten suchten wir uns eine gemeinsame Wohnung, um zusammenzuziehen und nicht mehr auseinanderzugehen.

      Der Fußball trat an einem Montagmorgen in unser Leben. Wir hatten ihm vorher kaum Beachtung geschenkt, wir beide zusammen – ich allein natürlich schon.

      Ich saß am Frühstückstisch, versunken in den Sportteil des Kölner Stadt-Anzeigers, der sich mit den Fußballspielen des Wochenendes beschäftigte.

      „Was liest du denn da“, fragte Pauline mich.

      „Den Sportteil“, erwiderte ich in der Hoffnung, dass keine weiteren Fragen folgen würden. An diesem wie an fast jedem anderen Morgen wollte ich mit keinem Menschen auf der Welt über Fußball reden. Lesen klar, reden bitte nein.

      „Fußball?“, fragte Pauline. „Nein, Dressurreiten“, wollte ich erst erwidern, doch ich ersparte mir den dämlichen Kommentar.

      „Ja, über das FC-Spiel am Wochenende“, brummte ich also.

      „Das Spiel hast du doch schon am Samstag in der Sportschau gesehen.“

      Da tauchte es nun also auf wie ein Schiff am Horizont – das Problem, das ich vermeiden wollte. Meine Meinung war gefragt, und jetzt hätte ich eigentlich zugeben müssen, dass mich jede Information über meinen Lieblingsverein interessierte, auch wenn ich sie aus einem Mülleimer hätte herauskramen müssen. Aber dafür wären ausführliche Erklärungen notwendig gewesen. Dafür war ich viel zu faul, zu einfallslos, vielleicht gab es auch gar keine Erklärungen, denn in meinem bisherigen Leben hatte ich noch keine Erklärungen dieser Art gebraucht. Ich beschloss, es auf die harmlose und unschuldige Tour zu probieren:

      „Jetzt lese ich halt noch mal einen Artikel über das Spiel.“

      „Totaler Schwachsinn“, meinte Pauline seelenruhig, „was soll denn da drin stehen, was du nicht sowieso schon weißt?“

      „Das Spiel wird hier analysiert. Es ist sozusagen eine Interpretation.“

      „Ach so, du hast das Spiel am Samstag also noch nicht verstanden“, lachte sie.

      „Doch“, knurrte ich und schüttelte den Kopf. Dann versuchte ich ihr mit einem Blick klarzumachen, dass wir die Unterhaltung gern zu irgendeinem anderen Zeitpunkt fortsetzen können – aber nicht jetzt.

      Sie sagte nichts mehr, und ich fühlte mich für einen Moment als knapper Punktsieger, doch in Wahrheit hatte ich natürlich eine deutliche Niederlage erlitten. Jegliches Verständnis für das Leben eines Fußballfans war Pauline in diesem Moment verloren gegangen. Sie konnte dank meiner Mithilfe problemlos beschließen, dass es für meine, dass es für diese Art der Liebe zum Fußball keine Argumente gab. Und Pauline mochte keine Dinge, für die


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