Immer noch wach. Fabian Neidhardt

Immer noch wach - Fabian Neidhardt


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und was hat das dann für einen Sinn?“

      Für einen Moment schweigen wir und ich weiß, dass wir alle an meinen Vater denken. Bene greift nach meinem Kopf und küsst meine Schläfe.

      „Wir gehen erstmal alle schlafen. Du musst noch überhaupt nichts entscheiden.“

      Ich nicke. Ich habe mich schon längst entschieden.

      Ich stehe auf dem Platz vor unserem Café, im Schatten eines Baumes. An seinem Schutzgitter hängen immer Fahrräder. Über die Bank hinweg habe ich einen guten Blick in den vorderen Teil und weiß, dass ich von innen nur schwer gesehen werden kann. Lisa und Bene stehen hinter der Theke und reden. Sie sehen auf, als ich die Tür öffne.

      „Du hast dir also Verstärkung geholt.“

      „Alex, das hier ist kein Krieg. Niemand ist gegen dich.“

      Lisa hebt den Kopf und ich küsse sie, flüchtig, mehr aus Gewohnheit und mit leichtem Widerwillen. Bene umarmt mich. Auf der Theke liegt die Broschüre. Doktor Münchenberg hat sie mir mitgegeben. Ein von einem hellen in dunkles Blau übergehender Hintergrund, darauf in weißer Schrift „Magenkrebs“. Flüchtig betrachtet könnte man es für einen Himmel samt weißen Wolken halten. Vielleicht ist die Ähnlichkeit beabsichtigt.

      Avisha tritt aus dem Durchgang, umarmt mich und scheucht uns dann nach hinten.

      „Zeit für euer Krisengespräch. Ich halte die Stellung.“

      Ich zeige mit dem Daumen auf Avisha und sehe Lisa an.

      „Siehst du? Sehr wohl Krieg.“

      Bene schlägt mir auf die Schulter und verschwindet im Gang, Lisa hinter ihm. Ich folge den beiden und reibe die Stelle, die Bene erwischt hat.

      Es ist Vormittag und der hintere Raum fast vollkommen leer. Die Sonne scheint, nur einzelne Wolken am Himmel. Er erinnert mich an die Broschüre. Bene sitzt mir gegenüber, Lisa zwischen uns, wobei sie ein kleines bisschen näher bei Bene sitzt. Er beugt sich nach vorne.

      „Lisa hat mir von deinem Plan erzählt.“

      „Das dachte ich mir.“

      „Und ich finde ihn scheiße.“

      „Welchen Teil?“

      „Alles.“

      Lisa schüttelt den Kopf.

      „Der Arzt hat gesagt …“

      „Der Arzt hat gesagt, dass eine Heilung ausgeschlossen ist. Alles, was sie machen können, ist, die Schmerzen zu lindern und vielleicht den Tod hinauszuzögern.“

      Bene klopft auf das blaue Papier zwischen uns.

      „Ja, aber manchmal um Jahre!“

      „Und was will ich jahrelang im Krankenhaus?“

      Ich bin fünf oder sechs, als mein Vater ins Krankenhaus kommt. Meine Mutter steht plötzlich auf dem Spielplatz und allein das ist merkwürdig, normalerweise ruft sie einfach nach mir. Sie zerrt mich ins Auto, wir rasen in die Stadt und mir wird klar, etwas ist passiert.

      Bis dahin ist Krebs für mich ein Tier, das ich im Fernsehen und auf Bildern, höchstens mal im Zoo gesehen habe. Aber jetzt gibt es eine Krankheit mit dem gleichen Namen. Ein Schatten auf Röntgenbildern, ein dunkles Wesen, das im Magen meines Vaters sitzt, immer größer wird und ihn von innen auffrisst. Sie lassen mich seinen Bauch betasten. Ich spüre den Widerstand, die Zangen des Tiers, das sich durch meinen Vater arbeitet.

      Sie operieren ihn und holen den Teil des Magens heraus, den das Tier angefressen hat. Mein Vater verbringt Wochen im Krankenhaus.

      ~

      Danach geht es ihm etwa ein Dreivierteljahr gut. Dann ist das Tier wieder da. War nie wirklich weg. Und diesmal ist es überall. Mein Vater muss wieder ins Krankenhaus und wir warten zuhause nicht mehr mit dem Essen auf ihn. Aber meine Mutter besteht darauf, dass ich immer auch für Papa einen Teller hinstelle.

      Diesmal darf ich nicht im Krankenhaus übernachten. Sowieso ist diesmal alles anders. Papa liegt in einem Einzelzimmer und keiner sagt mir, wann er endlich wieder nach Hause kommt.

      Eines Abends besuchen wir ihn, die Schwestern kennen uns schon und begrüßen uns auf dem Gang, ich habe mich mit ihren quietschenden Sohlen und der desinfiziert riechenden Luft angefreundet. Aber als wir die Tür zu Papas Zimmer öffnen, schlägt uns der Gestank von Scheiße entgegen. Meine Mutter erstarrt, ich pralle gegen sie und sehe an ihr vorbei.

      Mein Vater liegt in seinem Bett und wendet uns sein ausgemergeltes Gesicht zu, streckt die Hände nach uns aus. Die Hose seines Schlafanzuges ist bis zu seinen Oberschenkeln heruntergezogen und sein Kot überall verteilt. Die Bettdecke und der Überzug, seine Hose und sein Hemd, überall sind braune, schon leicht angetrocknete Flecken, selbst an seinen Händen und im Gesicht, an der Wand unter dem Notrufknopf. Meine Mutter schreit auf und eilt los, eine Schwester suchen. Sie diskutieren eine ganze Weile, auch ein Arzt kommt dazu, und erst Jahre später wird mir klar, dass dieser Anblick meines hilflosen Vaters in seiner eigenen Scheiße nicht die einzige Erinnerung an die Krebserkrankung meines Vaters ist. Aber er ist die prägendste.

      Die, die die komplette Überforderung meiner Familie, aber auch die Unfähigkeit der Ärzte, des Krankenhauses und des Systems generell erfasst. Sie haben alles versucht, meinem Vater zu helfen, aber gegen den Krebs haben sie keine Chance.

      Es ist der Abend, an dem ich meinen Vater zum letzten Mal sehe. Der Abend, an dem mir, ohne dass es mir jemand sagen muss, klar ist, dass er nicht mehr nach Hause kommen wird.

      ~

      Meine Mutter will nicht, dass der Sarg nochmal geöffnet wird. Will meinen Vater nicht in diesem Zustand sehen, will nicht, dass ich ihn so sehe. Es wird fast zehn Jahre dauern, bis ich nicht mehr der einzige Mann in ihrem Leben bin. Zumindest für kurze Zeit.

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