Lange Schatten. Louise Penny
putzte, waren freundlicher zu ihr. Zu meiner eigenen Beschämung muss ich sagen, dass ich auch das erst lernen musste. Es fiel mir fast so schwer wie der Subjonctif.«
»Es war eine interessante Zeit«, sagte Gamache. »Die meisten Frankokanadier waren begeistert, aber ich bin mir bewusst, dass die Anglokanadier einen schrecklichen Preis zu zahlen hatten.«
»Wir haben unsere Kinder verloren«, sagte Mrs. Finney und nahm ihre Umrundung des Tischs wieder auf. »Sie gingen fort, um irgendwo eine Stelle zu finden, wo man ihre Sprache sprach. Sie mögen Herren im eigenen Haus geworden sein, aber wir wurden zu Fremden, in der eigenen Heimat nicht mehr willkommen. Sie haben recht. Es war schrecklich.«
Sie tippte auf die Kreuz zehn in seiner Hand, die höchste Karte. In ihrer Stimme schwangen weder Wehmut noch Selbstmitleid mit. Nur ein gewisser Tadel vielleicht.
»Passe«, sagte Gamache. Er spielte mit Sandra zusammen und Reine-Marie mit Thomas.
»Ich verlasse Québec«, sagte Thomas, der Französisch besser zu verstehen als zu sprechen schien, was allerdings besser war als andersherum. »Ich ging weit weg zur Universität und siedle nach Toronto. Québec ist schwer.«
Erstaunlich, dachte Gamache, während er Thomas zuhörte. Wenn er des Französischen nicht mächtig gewesen wäre, hätte er geschworen, dass der Mann zweisprachig war, da er fast akzentfrei sprach. Aber inhaltlich und grammatikalisch, da fehlte ihm ein gewisses je ne sais quoi.
»Drei ohne«, sagte Thomas.
Seine Mutter schüttelte den Kopf und sagte: »Tststs.«
Thomas lachte. »Oh, die scharfe mütterliche Zunge.« Gamache lächelte. Er mochte den Mann, wie wahrscheinlich jeder, dachte er.
»Ist eines Ihrer Kinder in Québec geblieben?«, fragte Reine-Marie Mrs. Finney. Die Gamaches hatten wenigstens ihre Tochter Annie, die nach wie vor in Montréal lebte, aber sie vermisste Daniel tagtäglich und fragte sich, wie diese Frau und so viele andere mit dem Weggehen ihrer Kinder fertig geworden waren. Kein Wunder, dass sie nicht immer gut auf die Québecer zu sprechen waren. Weil sie das Gefühl hatten, einer Sprache wegen ihre Kinder verloren zu haben. Ohne dass es ihnen gedankt worden war. Oft genug war sogar das Gegenteil der Fall. Unter den Québecern blieb der leise Verdacht bestehen, dass die Engländer nur darauf warteten, dass ihre Zeit kam, um sie wieder unters Joch zu zwingen.
»Eines. Mein anderer Sohn.«
»Spot. Er und seine Frau Claire kommen morgen«, sagte Thomas auf Englisch. Gamache blickte von seinen Karten auf, die ohnehin nicht besonders vielversprechend aussahen, und musterte seinen Sitznachbarn.
Thomas hatte wie vorhin seine Schwester Julia ganz heiter geklungen, als er auf seinen Bruder zu sprechen kam. Aber da war irgendein merkwürdiger Unterton.
Er spürte, wie sich in dem Teil seines Hirns etwas zu regen begann, den er im Manoir eigentlich überhaupt nicht hatte benutzen wollen.
Jetzt war Sandra mit dem Bieten an der Reihe. Gamache warf seiner Partnerin einen eindringlichen Blick zu.
Passen, passen, dachte er verzweifelt. Ich kann nicht. Sie werden uns fertigmachen.
Er wusste, dass Bridge sowohl ein Kartenspiel als auch eine Übung in Telepathie war.
»Spot«, schnaubte Sandra. »Typisch. Kommt wieder mal in letzter Minute. Wie immer nur zum absolut Nötigsten bereit. Vier, ohne.«
Reine-Marie rekontrierte.
»Sandra«, sagte Thomas mit einem Lachen, das den Tadel in seiner Stimme kaum überdeckte.
»Stimmt doch. Alle anderen kommen schon Tage vorher, um deinen Vater zu ehren, und er trudelt in allerletzter Minute ein. Furchtbarer Mann.«
Schweigen. Sandras Blick wanderte von ihrer Hand zu dem Konfektteller, den der Kellner auf den Tisch gestellt hatte.
Gamache sah zu Madame Finney, aber sie schien nicht auf das Gespräch zu achten, auch wenn er überzeugt war, dass ihr kein Wort entging. Dann schaute er zu Monsieur Finney, der auf einem Sofa saß. Finneys krankes Auge irrte durch das Zimmer, und seine Haare standen in alle Richtungen, sodass sein Kopf wie ein kaputter Sputnik aussah, der in einem Affenzahn auf dem Erdboden aufgeschlagen war. Für einen Mann, der gefeiert werden sollte, wirkte er merkwürdig verloren. Finneys Auge blieb an einem riesigen Gemälde von Krieghoff über dem Kamin hängen, einer ländlichen Szene. Québecer Bauern beluden einen Karren, und vor einer Kate stand eine dicke Frau, die einen Korb mit Essen unter dem Arm trug und lachte.
Es war eine anheimelnde und einladende Szene aus dem Dorfleben längst vergangener Zeiten. Finney schien sie der Szene um ihn herum vorzuziehen.
Mariana stand auf und schlenderte zu den Kartenspielern.
Thomas und Sandra pressten ihre Karten an die Brust. Sie nahm eine Ausgabe der Châtelaine. »Laut einer Studie«, las sie vor, »finden die meisten Kanadier, dass sich Banane am besten für Schokoladenfondue eignet.«
Erneutes Schweigen.
Mariana stellte sich vor, wie ihre Mutter an dem Trüffel erstickte, den sie gerade in den Mund gesteckt hatte.
»So ein Quatsch«, sagte Sandra, deren Blick ebenfalls an Madame Finney hängen geblieben war. »Erdbeeren sind doch viel besser.«
»Ich mochte immer Birnen und Schokolade. Ungewöhnlich vielleicht, aber wirklich fein, oder was meinen Sie?«, fragte Thomas Reine-Marie, die nichts darauf erwiderte.
»Ach, hier seid ihr. Keiner hat mir Bescheid gesagt.« Julia schwebte durch die Terrassentür. »Worüber redet ihr?«
Aus irgendeinem Grund sah sie zu Gamache.
»Passe«, sagte er. Er hatte das Gespräch seit einiger Zeit nicht mehr verfolgt.
»Dass Magilla ein echter Fan von Bananen mit geschmolzener Schokolade ist.« Thomas deutete mit dem Kinn zu Mariana. Dafür erntete er wieherndes Gelächter, und die Gamaches sahen sich amüsiert, wenn auch etwas verwirrt an.
»Verkaufen die Mönche hier nicht Blaubeeren in Schokolade?«, fragte Julia. »Ich muss mir unbedingt welche besorgen, bevor wir fahren.«
Für die nächsten paar Minuten war das Spiel vergessen, während sie über das Thema Obst und Schokolade debattierten. Schließlich zogen sich Julia und Mariana in zwei verschiedene Ecken zurück.
»Ich passe«, erklärte Thomas, nachdem er sich erneut in sein Blatt versenkt hatte.
Bitte passen. Gamache starrte Sandra intensiv an, damit sie seine Botschaft auch ja empfing. Bitte, bitte passen.
»Ich rekontriere.« Sandra funkelte Thomas an.
Hier haben wir es ganz eindeutig mit schweren Kommunikationsstörungen zu tun, dachte Gamache.
»Also wirklich, was haben Sie sich eigentlich dabei gedacht?«, fragte Sandra und verzog ihre dicken Lippen zu einem Schmollmund, als sie die Karten sah, die Gamache auf den Tisch legte.
»Ja, wirklich, Armand.« Reine-Marie lächelte. »Sechs ohne mit diesem Blatt? Was hast du dir dabei nur gedacht?«
Gamache erhob sich und verbeugte sich leicht. »Die Schuld liegt ganz bei mir.« Er wechselte einen höchst amüsierten Blick mit seiner Frau.
Das Dummerchen zu sein hatte auch seine Vorteile. Er streckte die Beine, nippte an seinem Cognac und ging ein wenig im Zimmer herum. Es wurde immer heißer. Normalerweise kühlte es hier in der Gegend an den Abenden ab, aber heute nicht. Er spürte regelrecht, wie die schwüle Luft heraufzog, und lockerte Krawatte und Hemdkragen.
»Sehr gewagt«, sagte Julia, die sich neben ihn gestellt hatte, während er erneut den Krieghoff betrachtete. »Legen Sie ab?«
»Ich denke, eine peinliche Vorstellung pro Tag reicht.« Er nickte zu dem Tisch, wo die drei Bridgespieler sich auf ihre Karten konzentrierten.
Er beugte sich vor und roch an den Rosen auf dem Kaminsims.
»Sind