PREDATOR X. C.J. Waller

PREDATOR X - C.J. Waller


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      »Du redest also von einem abgefuckt riesigen Monster, das längst ausgestorben sein sollte, und das seit wann? Siebzig Millionen Jahren? Trotzdem schwimmt es anscheinend dort herum und hat möglicherweise gerade Nik gefressen?« Marcus' direkte Worte lassen mich zusammenzucken. Gerade Nik gefressen … kein Versuch, es zu beschönigen, sondern nur die knallharte Wirklichkeit – oder Surrealismus beziehungsweise was auch immer hier unten als Wirklichkeit durchgeht. Ich weiß es nicht mehr.

       »Völliger Quatsch«, fügt Marcus hinzu, »das ist doch alles total hirnrissig.«

      »Dieses System ist seit der Jura-Zeit von der Oberfläche abgeschnitten«, wirft Brendan ein. Er sieht grüblerisch aus und nickt mir mit ausgestreckter Hand zu. Ich gebe ihm den Zahn, wobei ich darauf achte, nicht das Fleisch zu berühren, das noch daran haftet. Aus irgendeinem Grund ekle ich mich davor. Wäre es nur der Zahn, könnte ich so tun, als sei er nichts weiter als ein Fossil, ein Relikt aus grauer Vorzeit, aber das Fleisch … Das erzählt eine ganz andere Geschichte. Es ist frisch, es ist real, und es ist hier.

      »Und weiter?«, drängt Marcus nun.

      »Es könnte sich um einen Fall von Parallelevolution handeln«, führt Brendan weiter aus. »Etwas, das innerhalb einer bestimmten Umwelt in eine Nische passt und somit eine bekannte Form annimmt. Es gibt Tiere, die wir Spinnen nennen und die in Höhlen leben, die aber nichts mit der Klasse der Arachnoidea zu tun haben, sondern einfach nur ein solches Aussehen angenommen haben, weil sie so am besten in ihrem Lebensraum bestehen können.«

      Ich komme nicht umhin, wieder zu nicken. »Richtig, so wie Ichthyosaurier und Delfine«, sage ich. »Sie sehen sich frappierend ähnlich und schöpfen vergleichbare Möglichkeiten ihres Umfelds aus, sind oder besser gesagt waren aber völlig gegensätzliche Spezies – ein Reptil und ein Säuger.«

      »Ja und?«, fragt Fi. »Du meinst, was auch immer dort unten schwimmt, ist vielleicht gar kein Überbleibsel aus prähistorischer Zeit?«

      »Nein«, erwidert Brendan und wirkt dabei verlegen. »Ich bin zwar kein Fachmann, aber das wäre zumindest eine plausible Erklärung. Die andere lautet: Dieser Lebensraum war irgendwie geschützt, und während andere Spezies ausstarben, überlebte diese eine und entwickelte sich hier unten weiter, abgeschieden vom Rest der natürlichen Welt. So etwas kommt vor, man denke nur an den Quastenflosser: Es hieß, er sei seit fünfundsechzig Millionen Jahren ausgestorben, bis 1938 einer auf einem Fischmarkt in Afrika auftauchte.«

      »Schön und gut, aber das ist bloß ein Fisch.«

      »Ein ziemlich dicker Fisch. Ich meine, immerhin hat er auf der ganzen Welt Aufsehen erregt.«

      »Richtig, doch war es ein Ungeheuer von sage und schreibe fünfzig Fuß Länge? Nein!«, platzt Marcus heraus. »Hört euch doch einmal selbst reden. Ihr klingt alle, als hättet ihr komplett den Verstand verloren! Meeresräuber aus der Jura-Zeit, die bis in die Moderne fortbestehen … das hört sich an wie aus einem billigen Science-Fiction-Film, den sie um drei Uhr morgens zeigen, weil dann die meisten Zuschauer zu besoffen sind, um sich Gedanken über die Logik zu machen!«

      »Also gut, dann sag du uns doch, was das Boot deiner Meinung nach angegriffen hat, Marcus«, kontert Brendan. »Und wie erklärst du dir das?« Er hält ihm den Zahn hin, als sei dieser das Schwert der Wahrheit.

      »Ach scheiß drauf!« Bevor jemand von uns ihn aufhalten kann, stürzt Marcus vorwärts und reißt Brendan den Fund aus der Hand, holt mit dem Arm aus und wirft ihn weg. Der Zahn trudelt fort, bis er ins Wasser des uralten Sees klatscht.

      »Was … Warum hast du das getan?« Ich spüre, wie Wut – unfassbare, rot glühende Wut – in mir aufwallt. Im Allgemeinen bin ich ein recht entspannter Mensch, wenn ich das so sagen darf, aber zu sehen, wie dieser ignorante Schnösel etwas so Bedeutsames, so … so etwas … Einzigartiges versenkt, nur weil er nicht bereit ist, sich der Tatsache unserer Situation zu stellen, bringt mein Blut förmlich zum Kochen. Ich balle eine Hand zur Faust und muss stark an mich halten, ihn nicht zu schlagen. »Das war der einzige eindeutige Beweis dafür, das dort draußen etwas lebt!«

      »Oh, wie bedauerlich«, spottet Marcus.

      So, das reicht. Ich habe genug von ihm. Dieser arrogante Wichser legt es ständig auf Streit an und verschleiert seine Frauenfeindlichkeit als scherzhaftes Geplänkel. Ich mache einen Schritt vorwärts, spürte aber, bevor ich auch nur eine Hand heben kann, einen sanften Druck auf meiner Schulter. Darauf gefasst, jeden anzufahren, der sich erdreistet, mich davon abhalten zu wollen, diesen übermütigen, kleinen Pisser in seine Schranken zu verweisen, schnelle ich herum und schaue Janos ins Gesicht, zwischen dessen Augen sich eine leichte Sorgenfalte abzeichnet, während er den Kopf schüttelt.

      »Was geschehen ist, ist geschehen«, sagt er. »Sparen Sie sich Ihre Energie. Wir müssen uns auf das konzentrieren, was wichtig ist.«

      »Aber er …«

      »Ja, schon klar, aber darum geht es nicht … zumindest jetzt nicht. Wir müssen nun überlegen, wie wir weiter vorgehen … darum geht es.«

      Seine Stimme und ihr fast russisch anmutender Tonfall wirken ziemlich hypnotisch auf mich.

      Ich atme tief ein, um das Feuer in mir zu bändigen. Er hat ja recht. Was bedeutet schon ein Beweisstück, wenn niemand es zu sehen bekommt?

      Marcus grinst ihn höhnisch an, ist aber so vernünftig, nichts mehr zu sagen. Janos mag unser sanfter Riese sein, doch auch sein Geduldsfaden kann einmal reißen, und an diesem Ort ist es ohne Weiteres möglich, dass sich jeder von uns bis an seine Grenzen getrieben sieht.

      »Also … was jetzt?«, fragt Brendan schließlich zaghaft.

      »Ich schätze, wir müssen uns wohl weiter umschauen«, entgegnet Fi. »Wir verschaffen uns erst einmal einen Überblick darüber, was uns hier zur Verfügung steht, und bauen dann so etwas wie ein Lager auf. Vielleicht gibt es ja doch noch einen Weg zurück auf die andere Seite.«

      Wenngleich ich mit allem konform gehe, was sie sagt, komme ich nicht umhin, mich ablenken zu lassen, denn ein seltsames Sirren am Rande meiner Wahrnehmung stört mich. Es gerät stoßweise ins Stottern wie eine Fliege, die gegen eine Fensterscheibe fliegt.

      »Falls es einen Weg gibt, wäre es wohl vernünftig, ihn … Verzeihung, Megan, langweile ich dich irgendwie?« Fi klingt gereizt, also zwinge ich mich, ihr wieder zuzuhören.

      »Nein, tut mir leid, überhaupt nicht, aber … Hörst du das?«

      Auch die anderen werden vorübergehend still, und dann ist es wieder da: Ein sonderbares Summen wie … ein statisches Rauschen?

      »Verdammt, das ist das Funkgerät!«, erkennt Brendan aufgeregt. Er stürzt nach vorne zum Wasser und ruft: »Hey!« HEY! WIR SIND HIER! Wir kommen nicht mehr raus! HILFE!«

      Das Wasser vor ihm schäumt, als habe sich gerade etwas unter der Oberfläche herumgewälzt. Er tritt zurück und nimmt so Abstand vom seichten Rand des Sees.

      »Niemand kann dich hören«, meint Marcus. »Trottel!«

      »Nenn ihn nicht Trottel«, ermahne ich ihn. Marcus geht mir wirklich gegen den Strich. Ich habe überhaupt kein Problem damit, ihm eine zu verpassen, wenn er nicht ganz schnell sein Maul hält.

      »Er hat aber nicht ganz unrecht«, gibt Fi zu bedenken. »Um einen Funkspruch zu beantworten, muss man die Sprechtaste drücken.«

      So nahe dran und doch so weit weg. Das Gegenufer liegt vielleicht – na, sagen wir fünfzig, vielleicht auch fünfundsiebzig Fuß weit entfernt. Stünden wir vor einem Schwimmbecken, würde keiner von uns zögern, aber leider ist dies kein Schwimmbecken, sondern ein schwarzer See, unergründlich tief und voll mit eiskaltem Wasser und etwas … Lebendigem darin.

      Etwas Großem.

      Etwas, das nicht weggeschwommen ist, um anderswo Beute zu suchen, nachdem wir an Land gelangt sind.

      »Scheiße«, flucht Brendan leise, und ich kann nicht anders, als ihm zuzustimmen: Richtig scheiße!

      Конец


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