PREDATOR X. C.J. Waller
sie bringt arrogante Studenten stets zum Schweigen, warum also nicht auch ihn?
»Am klügsten ist es«, beginnt Fi und versucht dabei, sowohl zuversichtlich als auch bestimmt zu klingen, »wenn wir uns erst einmal weiter hier umsehen. Wenn wir herausgefunden haben, wo wir sind, vergewissern wir uns, welche Rücklagen wir haben, und bemühen uns dann um so etwas wie eine Strategie. Vergesst außerdem nicht, dass sie, sobald ihnen klar wird, dass auch der Kontakt zu uns abgebrochen ist, begreifen werden, dass wir in Schwierigkeiten stecken und Hilfe brauchen.«
»Oder sie sehen ein, dass dieses ganze Unterfangen lächerliche Zeitverschwendung war, und lassen uns daraufhin im Stich«, mault Marcus leise.
Dieses Mal werfen sowohl Janos als auch ich ihm einen bösen Blick zu. Fi fährt fort: »Sie haben dem Alpha-Team Hilfe geschickt, also werden sie auch nach uns suchen. Niemand bleibt auf der Strecke!«
Niemand bleibt auf der Strecke, ha. Mich wundert, dass Marcus nicht darauf anspringt. Es ist militärische Phrasendrescherei, die Fi während ihrer Dienstzeit bei den US-Marines aufgeschnappt hat. Sie ist eine gute Frau mit Herz – ich kann sie im Grunde genommen nicht Mädchen nennen, weil ich ahne, dass sie mir dafür vermutlich den Allerwertesten bis ins Genick aufreißen würde – neigt aber aufgrund ihrer soldatischen Ausbildung oft dazu, die Dinge zu einfach zu betrachten. Was sie sehr oft vergisst, ist der Umstand, dass es sich hierbei nicht um einen Militäreinsatz handelt. Ich weiß, und die anderen auch, wie ich anhand der Blicke zu erkennen glaube, die sie untereinander wechseln, dass man uns, sollte sich eine Rettungsmission in den Augen der Leute oben als zu riskant, oder Gott bewahre, zu teuer herausstellen, hier unten verkümmern lassen wird, bis wir schwarz werden.
»Wartet … was ist das?«, fragt Brendan und unterbricht damit meine abgründigen Gedanken. Ich hebe den Kopf und folge seinem Blick.
Im Wasser vor dem Ufer wird gerade etwas Helles angeschwemmt.
Wir alle stehen langsam auf. Es geht in der schwachen Strömung auf und nieder, eine unförmige Masse. Mir wird übel; ich laufe nicht hinüber und bin, wie es aussieht, nicht die Einzige mit Vorbehalten. Denn mir ist bewusst, was es sein könnte, und ich weiß nicht, ob ich gerade jetzt bereit bin, die Konsequenzen dessen zu tragen. Wir saßen da und stritten uns seit wann – einer halben, einer ganzen Stunde? Keine Chance, dass er so lange unter Wasser überlebt hat.
»Um Himmels willen, dann gehe ich eben alleine«, stöhnt Fi. In einem Anflug von Übermut stapft sie ins seichte Wasser, wobei sie mit jedem Schritt gleichmäßige Wirbel aufwühlt. Mein Herz klopft wieder bis zum Hals. Aus irgendeinem Grund, auf tiefer, instinktiver Ebene weiß ich, dass es eine schlechte Idee ist.
Fi nähert sich dem Körper und beugt sich nach vorne, um ihn zu untersuchen. Ich schlage unwillkürlich eine Hand vor den Mund, als ich gegen den Drang ankämpfe, nach ihr zu rufen, um sie dazu anzuhalten, schnellstmöglich wieder aus dem Wasser zu kommen. Ich schaffe es, halte die Luft an und wage es nicht, mich zu bewegen.
»Verdammte Scheiße …« Sie hievt das blasse Etwas aus dem Wasser. »Würdet ihr mal bitte herkommen und euch das ansehen?«
Nach stummem Übereinkommen durch Blicke und unterschwelliges Zucken geht Janos zu ihr. Sie reden kurz miteinander, wovon ich aber nicht viel mitbekomme, dann legt er Hand an einen Teil von dem, was Fi herausgezogen hat, und gemeinsam schleifen sie es an den Strand.
Ich weiß nicht, ob ich froh oder enttäuscht darüber bin, dass es nicht Nik ist. Wäre er ertrunken, hätten wir uns weiter einreden können, was geschehen war, sei nur auf Turbulenzen zurückzuführen gewesen und ein tragischer Unfall.
Was Fi und Janos allerdings herbringen, ist viel entsetzlicher.
Es sind die Reste des Schlauchbootes und sind völlig zerfetzt; zerfledderte Gummilappen treiben wie Eingeweide in der leichten Strömung. Fi hebt einen Teil davon an und betrachtet ihn eingehend.
»Sieht so aus, als sei es von irgendetwas zerrissen worden.«
Weil in das Boot bequem vier Leute hineinpassten, braucht niemand auszusprechen, was wir alle denken, kurze Blicke genügen. Was auch immer dieses irgendetwas war, muss ziemlich groß gewesen sein, um einen derart verheerenden Schaden anrichten zu können.
»Also gut …«, sagt Marcus zu Brendan. »Komm schon, du Experte. Wonach sieht das für dich aus?«
Brendan schaut über das nunmehr ruhige Wasser und kneift dabei die Lider zusammen, als versuche er, dort einen Übeltäter auszumachen. »Wie ich schon sagte, ich weiß es nicht.«
»Tja, egal was es war: Es hat etwas zurückgelassen«, erklärt Fi. Wir alle drehen uns zu ihr um. Sie holt gerade mühsam einen Gegenstand aus dem Gummi. Er steckt in einer der Ruderpinnen aus Plastik fest, und mit der Spitze ihres Messers schafft sie es schließlich, ihn auszuhebeln.
»Oh Gott …«, stöhnt sie, während sie ihn in der Hand wiegt. »Seht euch an, wie lang er ist!«
Es ist ein Zahn, aber kein gewöhnlicher. Er misst etwa fünf Zoll, ist konisch geformt und der Länge nach geriffelt. Er sieht spitz und gefährlich aus. Am oberen Ende glänzt noch nasses, rosa Zahnfleisch.
»Von welchem Tier stammt das, Mann?«, fragt Marcus. »Einem Hai?«
Ich schüttele den Kopf. Ich habe im Laufe der Zeit genügend Haizähne gefunden, um zu wissen, wie sie aussehen.
»Nein, Haie haben ausnahmslos dreieckige Zähne mit gezackten Kanten.« Ich schaue Fi flehentlich an, um ihr wortlos zu verstehen zu geben, dass ich ihren Fund gern anfassen würde. Sie reicht ihn mir und wischt sich dann gründlich die Hände an den Oberschenkeln ab, als könne dies jeglichen Kontakt mit dem ungeschehen machen, was Nik zum Verhängnis geworden ist.
»Er ist schwer. Dieses Tier ist es gewohnt, kräftig zu beißen … in andere, die sich dagegen sträuben.«
So wie ich.
Ich sträube mich gegen den Gedanken, dass ich einen solchen Zahn schon einmal gesehen habe, und zwar vor drei Jahren an der Oxford-Clay-Formation bei Peterborough in England, wo er in einem Kieferfragment steckte. Er war nicht so groß wie dieser, aber morphologisch fast identisch.
»Pliosaurus«, sagt Janos leise.
Ich schaue überrascht auf. Liest er etwa meine Gedanken? Seine dunklen Augen sind weit geöffnet und schweifen keine Sekunde lang von dem Zahn in meiner Hand ab.
Ich nicke. »Das war auch mein Gedanke.«
»Plio-was?«, fragt Marcus.
»Pliosaurus«, wiederhole ich. Mir kommt es seltsamerweise so vor, als stünde ich neben mir, und zwar sogar mehrere Fuß weit, während ich mir selbst beim Sprechen zusehe. »Ein Meeresräuber aus der Jura-Zeit. Neun verschiedene Gattungen, wenn ich mich nicht irre, wobei der Größte auf Spitzbergen gefunden wurde, auch wenn Experten behaupten, jener, den man in Dorset ausgegraben hat, sei noch länger.« Ich schlucke. »Den aus Spitzbergen nennt man ›Predator X‹, und es heißt, das Vieh habe bis zu fünfzig Fuß lang werden können.«
Marcus grunzt abwertend, wohingegen Janos alles abnickt, was ich sage.
»Ein Lauerjäger«, ergänzt er. »Er ist bekannt für seine einzigartige Fortbewegungsart – nur der verwandte Plesiosaurus schwamm auf ähnliche Weise – und er hat einen riesigen Schädel mit sehr vielen Zähnen.«
Ich werfe Janos einen fragenden Blick zu.
»Sie haben recht, aber woher wissen Sie all das?«
Er tut arglos. »Machen nicht alle kleinen Jungen irgendwann eine Phase durch, in der sie einen Narren an Dinosauriern gefressen haben?« Er schenkt mir so kurz ein Lächeln, dass es mir entgangen wäre, hätte ich nur geblinzelt, bevor er mich wieder ernst anschaut. »Sie sind jedoch alle gegen Ende der Kreidezeit ausgestorben. Umwelt im Wandel, Rivalitäten, veränderter Salzgehalt der Meere … Sie verschwanden schon vor dem Massensterben an der KT-Grenze. Das hier ist unmöglich.«
Ich wiege den Zahn in meiner Hand und denke ebenfalls nach. Janos hat recht, natürlich kann es überhaupt nicht sein. Allein die Vorstellung