PREDATOR X. C.J. Waller
chemotrophen Bakterien oder etwas Ähnliches in Anbetracht des ausbleibenden Sonnenlichts hier unten, denn sie leuchten, so wie man es sich in einer unheimlichen Grotte vorstellen würde. Es handelt sich um eine bläulich grüne Helligkeit, die ich noch nie gesehen habe, höchstens auf Raves, und sie dient überhaupt keinem biologischen Zweck in Anbetracht des Umstands, dass sich hier alles in absoluter Finsternis entwickelt hat. Mir kommt es so vor, als wünsche sich die Höhle beinahe, dass wir hier sind.
Wir kommen jetzt relativ gut voran, ein paar dicke Brocken, über die wir klettern müssen, und ein teils versperrtes Schlupfloch sind keine wirklichen Hindernisse. Da Einiges darauf hindeutet, dass die Felsen bewegt worden sind, fällt mir Team Alpha wieder ein. Keine Hinweise dafür vorzufinden, dass sie vorbeigekommen sind, wundert mich nicht, denn das Motto jedes Höhlenforschers, der etwas auf sich hält, lautet: Nimm nichts mit außer Erfahrung und lass nichts zurück als Erinnerungen. Außerdem hat man uns, weil die Entdeckung voraussichtlich bahnbrechend sein wird, sogar dazu angehalten, unser Geschäft in spezielle Plastiktüten zu verrichten, die alles zu fast nichts austrocknen, sodass wir jegliche Abfälle mit zurück nach oben nehmen können. Dennoch kann ich mich leiser Bedenken nicht erwehren, die schon fast an Beklommenheit grenzen. Denn nichts verweist darauf, dass sie hier gewesen sind, was wiederum ausschließt, etwas über ihr Schicksal erfahren zu können, und dieser Gedanke lässt mich nicht los. Werden wir in die gleiche Falle tappen wie sie?
»Ich werd verrückt …«, ruft Nik vor mir leise. Fi, die hinter ihm ist, schüttelt nur ungläubig den Kopf. Ich besteige den niedrigen Geröllhaufen, auf dem sie stehen.
In der Tat, man glaubt seinen Augen, nicht zu trauen.
Wir wussten gleich, dass Team Alpha etwas Umwerfendes entdeckt hatte, als uns ihre Aufzeichnungen in die Hände gefallen sind. Ihre Reaktionen zeugten von Ehrfurcht vor ihrem Fund, aber wie es sich nun einmal mit den meisten Wundern auf der Welt gestaltet, ist hautnahes Erleben trotzdem durch nichts zu ersetzen.
Der Vorsprung, auf dem wir gerade stehen, fällt ungefähr fünfzehn Fuß tief bis auf einen Strand aus glitzernd schwarzem Sand hinunter – treffender kann ich es einfach nicht beschreiben. Die Felswände an den Seiten sind alle mit jenen eigenartig glimmenden chemotrophen Bakterien bedeckt, sodass der Eindruck entsteht, man schaue in eine märchenhafte Unterwelt wie aus einer alten Legende. Daran liegt unser unglaubliches Staunen aber nicht.
Der See ist der Grund dafür.
Als ich zum ersten Mal nach Amerika gereist bin, erblickte ich den Lake Champlain in seiner ganzen Pracht. Als Britin hatte ich zu wissen geglaubt, wie ein See aussieht (wie Windermere, falls es Sie interessiert), aber beim ersten Anblick des Lake Champlain wurde mir bewusst, dass ich bis dato anscheinend bloß Tümpel gekannt hatte.
Dieses Gewässer allerdings übertrifft ihn um Längen.
»Wie weit, schätzt du, reicht er?«, fragt Marcus.
Brendan neben mir zieht die Schultern hoch.
»Es könnte nur eine optische Täuschung sein, aber wir haben die Theorie aufgestellt, das Becken hier unten ist eventuell größer als das Schwarze Meer, und das trifft anscheinend zu.«
Das Schwarze Meer. Genau, dieser Vergleich erscheint mir stimmig. Das Wasser erstreckt sich weiter, als jemand von uns sehen kann. Hinter dieser Höhle liegt nichts, nur ein umfangreiches, undurchschaubares Gewässer. Es ist gruselig, denn an der Erdoberfläche kann man Entfernungen anhand des Horizonts abschätzen, doch hier gibt es nichts, sodass man sich von der Weite zugleich eingeschüchtert und beengt fühlt. Mir fällt nur eine Analogie ein, die dem Eindruck wohl am nächsten kommt: ein Blick in die unendlichen Tiefen des Alls. Eine unerklärliche Gleichgewichtsstörung überkommt mich plötzlich, sodass ich vorübergehend glaube, ich treibe nur so dahin. Ich strecke mich aus, um irgendetwas zu packen, und zufälligerweise ist es Janos.
»Dr. Stoker.« Er hält mich fest, sodass ich nicht nach vorne kippe. »Ist alles in Ordnung mit Ihnen?«
Ich nicke und schlucke wieder schwer, bringe es aber nicht über mich, zu sprechen, zumindest bis auf Weiteres.
Wir beginnen unseren Abstieg, einer nach dem anderen. Wie gewohnt geht Nik zuerst, allerdings nicht ohne anzumerken, es sei ein Klacks, weil man sich überall an der zerklüfteten Oberfläche festhalten könne. Janos bleibt mit mir hinten, was mich leicht nervt.
War er darauf angesetzt worden, mich im Auge zu behalten? Ich will nicht lügen: Seine verlässliche Gegenwart ist ein Trost für mich, also kein Grund zur Klage.
Nik hat recht, der Abstieg gestaltet sich ziemlich einfach, sodass wir alle binnen kürzester Zeit an dem befremdlichen Strand stehen und auf den See starren. Die Luft riecht ein wenig salzig, und die schwelenden Bakterien bilden dicke Schichten auf den Felsen in Wassernähe, sodass die Umrisse des Ufers phosphoreszieren. Brendan bückt sich und schöpft etwas Wasser mit der hohlen Hand, um davon zu trinken. Ich weiß nicht so recht, wie klug das ist, bin aber auch nicht hier, um ihn daran zu hindern.
»Salz! Das hab ich mir schon gedacht«, sagt er, »und wärmer als erwartet. Vielleicht haben wir es ja dort unten mit hydrothermaler Aktivität zu tun.«
»In einem Höhlensystem aus Sedimentgestein?«, fragt Fi. Sie verhehlt ihre Abneigung so gut wie gar nicht. Ich schätze, sie mag Brendan nicht allzu sehr.
»Durchaus denkbar«, werfe ich ein, weil ich mich berufen fühle, meinen Wissenschaftskollegen verteidigen zu müssen. »Der obere Abschnitt des Systems besteht aus Sedimentgestein, doch sollte dieses Gewässer tief genug sein, könnte es genau über einer geologisch aktiven Zone liegen. So etwas ist bislang ohne Beispiel.«
»Aber das würde gleichzeitig bedeuten, dass es Tausende Fuß tief ist.«
Ich zucke mit den Schultern und erwiderte: »Mag sein.«
»Wie lange ist es Ihrer Einschätzung nach schon von der Oberfläche isoliert?«, möchte Nik wissen.
Ich zucke wieder mit den Schultern. »Das weiß ich nicht. Die anderen haben Schichten aus Jura-Schiefer gefrackt, also sprechen wir theoretisch über hundertsechzig Millionen Jahre.«
Marcus stößt einen leisen Pfiff aus. »Hundertsechzig Millionen, meinst du das ernst?«
»Nun ja, ich bin keine Paläobiologin … aber ja, das ist definitiv möglich.«
»Falls also etwas hier lebt, wäre es vielleicht seit fast zweihundert Millionen Jahren vom Rest der Evolution unbeeinträchtigt?«
»Richtig.«
»Falls etwas hier lebt«, wiederholt Fi.
»Eigentlich stehen die Chancen dafür ziemlich gut«, behauptet Brendan. »Denn sollten die vorhandenen Bakterien darauf hinweisen, dass dieses System noch biologisch aktiv ist, gibt es nichts, was dagegen spricht. Proben aus anderen isolierten Gewässern dieser Art bezeugen, dass sich Leben auch sehr gut unabhängig von der Außenwelt entwickeln kann. Nehmen wir zum Beispiel den Wostoksee, dort suchte man ursprünglich Bakterien und entdeckte Fische.«
»Du glaubst, hier könnte es Fische geben?«, fragt Marcus.
»Ja, das glaube ich.« Brendan grinst und auch ich kann nicht anders, als zu lächeln. Seine Begeisterung steckt an. »Wer weiß?«
Kapitel 2
Es dauert nicht lange, bis wir ein Basislager mit allen grundlegenden Notwendigkeiten errichtet haben. Brendan und ich werden zurückgelassen, um den Forscherquatsch (so nennt Marcus es) vorzubereiten, während sich die anderen paarweise auf den Weg machen, um den Rest des »Strands« auszukundschaften, doch vorgeschützter Gleichmut verbirgt ihre eigentlichen Absichten trotzdem nicht. Ich weiß, was sie in Wirklichkeit im Schilde führen.
Wir haben abgesehen von einem einzigen Stiefelabdruck in der Nähe des Ufers keinerlei Indizien für den Verbleib von Team Alpha gefunden. Außerdem ist die Tatsache, dass der Strand, den wir gerade absuchen, nicht im Geringsten dem Bereich ähnelt, den