In Fesseln. John Galsworthy

In Fesseln - John Galsworthy


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gehabt hatte, und dann würde er wieder frisch für sie sein, frisch für die Jugend und die Schönheit, wenn sie über den sonnenbeschienenen Rasen zu ihm kam – die Dame in Grau! Und er lehnte sich in seinem Stuhl zurück und schloss die Augen. Etwas Distelflaum kam mit dem wenigen Luftzug herbeigeflogen und landete auf seinem Schnurrbart, weißer als dieser.

      Er wusste das nicht, doch sein Atem ließ es flattern, während es dort festsaß. Ein Sonnenstrahl drang zu ihm durch und leuchtete auf seinen Stiefel. Eine Hummel landete auf seinem Panamahut und krabbelte darauf herum. Und die herrliche Woge des Schlafes erfasste den Kopf unter diesem Hut und der Kopf sank nach vorne und ruhte auf seiner Brust. ›Sommer – Sommer!‹, summte es.

      Die Uhr am Stall schlug viertel nach. Der Hund Balthasar streckte sich und sah zu seinem Herrchen hoch. Der Distelflaum flatterte nicht mehr. Der Hund legte seine Schnauze auf den sonnen­beschienenen Fuß. Er rührte sich nicht. Der Hund zog seine Schnauze schnell wieder zurück, stand auf, sprang auf den Schoß des alten Jolyon, sah ihm ins Gesicht und winselte. Dann sprang er wieder hinunter, setzte sich und starrte nach oben. Und plötzlich stieß er ein langes, langes Heulen aus.

      Doch der Distelflaum blieb still wie der Tod liegen, still wie das Gesicht seines alten Herrchens.

      Sommer – Sommer – Sommer! Die lautlosen Schritte auf dem Gras! 1917

      In Fesseln

      Zwei Häuser, beide gleich an Würdigkeit,

      Reizt alter Hass zu neuem Kampf und Streit.

      Romeo und Julia

      für Jesse und Joseph Conrad

Teil 1

      Der Besitzinstinkt kennt keinen Stillstand. Durch Blütezeit und Fehde, durch Frost und Feuer folgte er selbst in der Familie Forsyte, die gedacht hatte, er wäre für immer festgelegt, den Gesetzen der Veränderung. Er ist zudem untrennbar mit dem Umfeld verbunden, so wie die Kartoffel nicht ohne Erde bestehen kann.

      Der Historiker der 1880er und 1890er Jahre in England wird in seiner Zeit die recht rapide Entwicklung von selbstzufriedenem und beschränktem Provinzialismus zu noch selbstzufriedenerem, wenn auch weniger beschränktem Imperialismus beschreiben – in anderen Worte, den ›Besitzinstinkt‹ einer Nation im Umbruch. Und wie im Einklang damit, war es so auch bei der Familie Forsyte. Sie breiteten sich nicht nur an der Oberfläche aus, sondern auch im Inneren.

      Als Susan Hayman, die Verheiratete der Forsyte-Schwestern, 1895 ihrem Ehemann im lächerlich jungen Alter von vierundsiebzig Jahren folgte und eingeäschert wurde, sorgte das für seltsam wenig Aufsehen unter den sechs noch übrigen alten Forsytes. Für diese Teilnahmslosigkeit gab es drei Gründe. Erstens: das fast schon heimliche Begräbnis des alten Jolyon im Jahr 1892 unten in Robin Hill – er war der Erste der Forsytes, der dem Familiengrab auf dem Highgate Cemetary untreu wurde. Jenes Begräbnis ein Jahr nach Swithins ganz und gar anständiger Beerdigung hatte für jede Menge Gerede an der Forsyte’schen Börse gesorgt, dem Heim von Timothy Forsyte in der Bayswater Road in London, wo noch immer Familientratsch gesammelt und verbreitet wurde.

      Die Meinungen reichten von dem Gejammer von Tante Juley bis zu der unverblümten Aussage Francies, es sei ›verdammt gut, endlich mal mit dem alten Highgate-Zopf Schluss zu machen‹. Onkel Jolyon hatte in seinen späteren Jahren – um genau zu sein, seit der seltsamen und bedauernswerten Affäre zwischen dem Verlobten seiner Enkelin June, dem jungen Bosinney, und Irene, der Frau seines Neffen Soames – der Familie ordentlich Rüffel gegeben. Und langsam hatten sie seine Eigensinnigkeit ein wenig unberechenbar gefunden. Die philosophische Ader in ihm hatte ihn stets dazu neigen lassen, sich über die rein Forsyte’schen Gefilde hinauszuwagen, deshalb hatten sie gewissermaßen damit gerechnet, dass er sich an einem seltsamen Ort begraben lassen wollen würde. Doch das Ganze war eine merkwürdige Angelegenheit, und als der Inhalt seines Testaments an der Forsyte’schen Börse in Umlauf gekommen war, war ein Schaudern durch den Clan gegangen.

      Von seinem Vermögen (145.304 Pfund brutto mit Verbindlichkeiten in Höhe von 35 Pfund, 7 Shilling und 4 Pence) hatte er doch tatsächlich 15.000 Pfund vermacht an, »Na, rate mal, an wen! An Irene!«, diese davongelaufene Frau seines Neffen Soames. An Irene, eine Frau, die die Familie beinahe in Unehre gebracht hatte, und die – was noch erstaunlicher war – nicht blutsverwandt mit ihm war. Natürlich bekam sie nicht das Geld an sich, nur lebenslangen Nießbrauch dessen – nur die Einkünfte daraus! Trotzdem, sie bekam etwas vermacht, und mit dem Anspruch des alten Jolyon, der perfekte Forsyte zu sein, war es damit ein für alle Mal vorbei. Das also war der erste Grund, weshalb die Beisetzung von Susan Hayman – in Woking – für wenig Aufsehen sorgte.

      Der zweite Grund war viel umfassender und gewichtiger. Neben dem Haus in Campden Hill hatte Susan noch ein Grundstück gleich hinter der Grenze in Hampshire (ihr Ehemann hatte es ihr bei seinem Tod hinterlassen). Dort hatten, so glaubte man, die Hayman-Jungs gelernt, so gut zu schießen und zu reiten, was natürlich schön für sie und ehrenwert für jeden war. Und die Tatsache, dass sie etwas wirklich Ländliches besaß, schien die Verstreuung ihrer Überreste irgendwie zu entschuldigen – auch wenn sie sich nicht erklären konnten, wie sie auf Einäscherung hatte kommen können! Es waren jedoch die üblichen Einladungen versandt worden und Soames war mit dem jungen Nicholas hinuntergefahren, und das Testament war so weit ganz zufriedenstellend gewesen, denn sie hatte nur lebenslanges Nießbrauchrecht gehabt und alles war ohne große Probleme zu gleichen Teilen an die Kinder weitergegeben worden.

      Der dritte Grund, weshalb Susans Beisetzung für wenig Aufsehen gesorgt hatte, war der umfassendste von allen. Euphemia, die ­Blasse, die Dünne, fasste ihn auf folgende provokante Weise zusammen: »Nun, ich denke, jeder hat ein Recht auf seinen eigenen Körper, selbst wenn man tot ist.«

      Aus dem Mund einer Tochter von Nicholas, einem sehr tyrannischen Liberalen der alten Schule, war das eine schockierende Aussage – sie zeigte mit einem Schlag, wie viel Gras seit dem Tod von Tante Ann 1886 gewachsen war, als Soames’ Eigentumsrecht am Körper seiner Frau die Fraglichkeit annahm, die zu einer solchen Katastrophe geführt hatte.

      Natürlich sprach Euphemia wie ein Kind und hatte selbst keine Erfahrung, denn obwohl sie inzwischen weit über dreißig war, trug sie noch immer den Namen Forsyte. Nichtsdestotrotz zeigte ihre Bemerkung zweifelsohne die Ausweitung des Freiheitsprinzips, die Dezentralisation und den Wandel im Zentrum von Besitz von anderen hin zur eigenen Person.

      Als Nicholas über Tante Hester von der Bemerkung seiner Tochter erfuhr, hatte er ausgerufen: »Ehefrauen und Töchter! Heut­zutage lässt sich ihrer Freiheit keine Grenzen mehr setzen. Ich wusste, dass dieser ›Jackson-Fall‹ Folgen nach sich ziehen würde – einfach so das Habeas Corpus da herbeizuziehen!« Er hatte sich natürlich nie wirklich damit abfinden können, dass Frauen mit dem Married Women’s Property Act ein Vermögensrecht bekommen hatten, was für ihn, hätte er nicht glücklicherweise vor der Inkraftsetzung dieses Rechts geheiratet, negative Konsequenzen gehabt hätte.

      Doch die Revolte der jüngeren Forsytes dagegen, anderen zu gehören, ließ sich fürwahr nicht leugnen. Diese quasi kolonialistische Neigung, sein eigener Herr sein zu wollen, die paradoxerweise der Vorläufer des Imperialismus ist, schritt immer weiter fort. Inzwischen waren sie alle verheiratet, abgesehen von George, der sich dem Pferderennsport und dem Iseeum verschrieben hatte, Francie, die in einem Studio in der Nähe der King’s Road in Chelsea an ihrer musikalischen Karriere arbeitete und noch immer in Begleitung diverser ›Verehrer‹ auf Bällen erschien, Euphemia, die noch zu Hause wohnte und sich über Nicholas beschwerte, und diesen beiden Dromios, Giles und Jesse Hayman. Forsytes der dritten Generation gab es nicht viele – der junge Jolyon hatte drei Kinder, Winifred vier, der junge Nicholas bereits sechs, der junge Roger und Marian Tweetyman jeweils eines und St. John Hayman zwei. Doch die Übrigen der sechzehn verheirateten Forsytes – Soames, James’ Töchter Rachel und Cicely, Rogers Söhne Eustace und Thomas, von Nicholas Ernest, Archibald und Florence und von den Haymans Augustus und Annabel Spender – gingen durch die Jahre, ohne sich fortzupflanzen.

      Somit waren also aus den zehn alten Forsytes einundzwanzig junge Forsytes hervorgegangen. Von den einundzwanzig jungen Forsytes


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