Auf der Spur der Sklavenjäger. Alexander Röder

Auf der Spur der Sklavenjäger - Alexander Röder


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Geschäftsleute“, spann ich den Gedanken fort. „Ihnen ist ‚Ware‘ abhandengekommen. Die haben sie abgeschrieben, und – so schlimm es klingt – sie haben sich woanders ‚frische‘ Ware geholt und sich nicht auf die Suche nach den von uns befreiten Frauen begeben.“

      Jetzt räusperte sich Haschim vorsichtig. „Ich verfüge über eine Möglichkeit herauszufinden, ob die Frauen in Sicherheit sind.“ Nach einer kleinen Pause ergänzte er: „Meinem Freund Kara wird diese Methode allerdings nicht gefallen.“

      Halef, Sir David und ich sahen uns fragend an.

      Haschim erhob sich. „Kommt einfach mit.“

      Bevor wir lange herumrätseln und fragen konnten, standen wir ebenfalls auf und folgten ihm. An der Rückwand des großen Raums, in dem wir gesessen und gespeist hatten, strich er mit der Hand über einen Wandbehang, den wir lediglich als Dekoration wahrgenommen hatten, und eine Öffnung hin zu einem schmalen Flur erschien. Dieser führte uns in einen zweiten und um eine Biegung zu einem dritten Flur, und plötzlich standen wir in einer Art Studierzimmer, das an allen vier Wänden raumhohe Regale mit Büchern hatte, in der Mitte zwei gegenübergestellte Stehpulte sowie eine Reihe von niedrigen Regalen als Abstellfläche für Papiere, allerlei Schreibund Zeichenutensilien. Auf vielen, eher wahllos herumliegenden Papieren sah ich seltsame Maschinen und Fabelwesen skizzenhaft dargestellt oder eigentümliche Ornamente aufgezeichnet. Nichts, was ich auf den Papieren sah, ergab für mich irgendeinen Sinn, manches schien mich auf den ersten Blick an etwas zu erinnern, doch sobald ich genauer hinsah, verwischte sich die Assoziation wieder.

      Haschim stand geduldig mitten im Raum, da er wusste, er könne uns nicht einfach hindurchlotsen, ohne dass wir neugierige Blicke auf das eine oder andere geworfen hätten. „Ihr wisst“, erläuterte er, „dass ich meine Rechte als erstgeborener Prinz der Haschemiten aufgegeben habe, um mich ganz meinen magischen Studien widmen zu können.“ Er breitete die Arme aus. „Einen Teil dieser Studien verrichte ich hier, und bislang hat – außer einigen ausgewählten Dienern natürlich – noch kein Nicht-Magier diesen Raum betreten. Dennoch ist alles hier mit einem Verwirrzauber versehen. Nicht weil ich etwas vor euch verbergen möchte, sondern weil manche Magien ihr Eigenleben besitzen und den Betrachter vereinnahmen könnten, wenn er denn etwas erkennen würde.“

      Ich ging an den Regalen vorbei, die bis unter die Decke angefüllt waren mit edlen Büchern. Doch das konnte ich nur an der Ausstattung, am Schnitt des Leders und der Prägung der Buchstaben feststellen, denn ich vermochte keine Schrift auf nur einem einzigen Rücken zu lesen. Die Lettern sahen wie Buchstaben aus, sie waren lateinischen, griechischen, kyrillischen, hebräischen, arabischen, indischen, ja auch georgischen Schriften ähnlich oder wirkten wie nordische Runen, dennoch konnte ich keinen Buchstaben identifizieren. Sie verschwammen vor meinen Augen, sobald ich sie fixierte, verschleierten sich, änderten beim Versuch, sie zu lesen, ihre Form. Und anfassen konnte ich auch kein Buch: Wenn meine Hand sich einem näherte, griff ich in der Luft in eine unsichtbare, zähe Masse, die immer dichter wurde, je mehr ich dagegendrückte, und schließlich zu einer Glaswand erstarrte.

      Ich fühlte mich fremd in diesem Raum, fühlte mich von ihm ausgestoßen. Er strömte Kälte aus, schien mich abzulehnen – und mit einer schmerzhaften Plötzlichkeit besaß mein Freund Haschim wieder einen Wesenszug, der mich ausschloss.

      „Kommt schnell weiter, das Zimmer ist nicht freundlich zu Besuchern“, sagte er da, weil ihm offenbar wurde, wie befremdlich wir uns auf einmal benahmen.

      Er wischte mit einer großen Geste über ein Regal, das daraufhin zur Seite rollte und einen gemauerten Durchgang öffnete. Der Fußboden bildete ein milchiges Lichtband und erhellte unseren Weg.

      Während wir Haschim ohne zu fragen folgten, hörten wir, wie sich hinter uns die Bücherwand wieder schloss. Jetzt sahen wir Treppenstufen vor uns, die uns abwärts führten, und nach mehreren Dutzend Stufen schien es ein wenig kühler geworden zu sein. Wir waren tief unter der Erde, als sich vor uns der Gang zu einer künstlichen Höhle öffnete. Der Boden war nun mit Sand bedeckt, die seitlichen Wände bestanden aus behauenen und geschichteten Felsbrocken, die mit gemauerten Ziegelsteinen ergänzt und begradigt waren und in die dünne Luftschächte und Dutzende von magischen Leuchten eingelassen waren. Die Decke des Raums war ebenfalls gemauert, doch die Wand gegenüber …

      Die Wand gegenüber bestand aus einem massiven schwarzen Felsen, der aus dem Sand herauswuchs und unter der gemauerten Decke wieder verschwand. Seine Farbe war das schwärzeste Schwarz, das ich je gesehen hatte, und als ich nähertrat, erkannte ich, dass er entweder poliert war oder einen glasartigen Überzug besaß. In dem Schwarz verliefen haarfeine Linien in verschiedenen Grauschattierungen, und die Linien verschoben sich ständig mit- und gegeneinander, als würden sie in dem Stein schwimmen.

      „Ich habe mein Landgut hier errichtet, weil es in der Nähe meiner Heimatstadt Taif liegt, weil hier ein mildes Klima herrscht und weil hier genügend Wasser ist, um nicht nur selbst leben zu können, sondern auch meine Tiere und meine Anpflanzungen erhalten zu können.“ So begann Haschim seine Erläuterungen. „Diesen Stein habe ich erst Jahre später gefunden, als ich den Raum für meine magischen Studien ausgebaut habe. Da ich aber nicht an Zufälle glaube, vermute ich, dass in Wirklichkeit die Magie des Steins mich veranlasst hat, mich hier niederzulassen.“

      Wir standen mit einiger Ehrfurcht vor dieser Wand, und als wir es wagten, den Felsen vorsichtig mit den Fingerspitzen zu berühren, verspürte jeder ein leises, aber nicht unangenehm oder gar gefährlich erscheinendes Kribbeln. Und gleichzeitig verformten sich die grauen Linien um die Stellen herum, wo die Fingerspitzen auf den Stein trafen. Es bildeten sich dort kleine konzentrische Ringe, wie wenn man in eine Wasseroberfläche hineingetippt hätte, sie vergrößerten sich, verblassten dann und liefen aus, und bei einem erneuten Berühren formten sie sich neu.

      Alles in mir sträubte sich dagegen, zu der Einschätzung zu kommen, dass in dem Stein irgendeine Form von Leben war. Aber er reagierte.

      „Mein Augenmerk liegt ja nicht darin, Magie anzuwenden, sondern Magie zu erforschen.“ Haschim war jetzt ungewöhnlich ernst. „Auch wenn ihr mich gelegentlich Magie anwenden seht, so verstehe ich mich doch nicht als Magier. Ich erkunde sie, ich beschreibe sie, ich hinterfrage sie. Ich versuche, sie zu verstehen, und ich versuche, sowohl ihre Funktionsweise als auch ihre Herkunft zu ergründen.“ Als er nun auf den Felsen wies, wirkte er plötzlich etwas hilflos. „Ich führe euch hier eine sehr mächtige Magie vor – aber ich vermag sie bislang weder zu erklären, noch weiß ich, wo sie herstammt. Es mag sein, dass Jahrhunderte vor mir ein Magier oder gar eine Magiergruppe hier ein magisches Zentrum geschaffen hat, das dann vergessen wurde. Es mag aber auch sein, dass die Magie des Steins andere Ursachen hat: dass der Stein aus sich heraus entstanden ist – dass er gar keiner Magier bedurfte …“

      Wir hatten ihn reden lassen, ohne ihn zu unterbrechen. Was hätten wir auch sagen sollen …

      Sowohl Halef als auch Lindsay neigten bei besonders schwierigen Fragen ohnehin zu Pragmatismus. Wenn eine Sache existierte, dann gab es sie einfach. Wenn eine Sache funktionierte, dann nahm man das so hin – und nutzte es aus. Manchmal musste man gar nicht mehr wissen.

      Und der ohnehin sicher geerdete Halef drehte gerne eine Sache von der Theorie in die Praxis, so wie jetzt: „Verehrter Scheik Haschim, Ihr habt uns sicher nicht hier hinabgeführt, um mit uns über Magie zu philosophieren. Deshalb: Was ist mit diesem Felsen?“

      Natürlich war Halefs Ungeduld ein wenig unhöflich – doch seine ungenierte Art sprach uns aus der Seele, und Haschim nahm Halef seine Worte auch nicht übel.

      „Der Felsen“, erklärte Haschim nun, „gewährt demjenigen, der ihn berührt, eine Telesicht: einen Blick auf ein Objekt seiner Wahl, seines augenblicklichen Interesses, und das ganz gleich, wo sich das Objekt derzeit befindet.“

      Er ging auf Lindsay zu, legte eine Hand sanft auf dessen Schulter und dirigierte ihn bis unmittelbar vor den Felsen. „Ihr seid derjenige unter uns, der am meisten von Schiffen versteht, Sir David. Deshalb könnt Ihr uns die Sicht auf Turnersticks Bark The Courser öffnen.“

      Er hob seine rechte Hand, hielt sie etwa in Kopfhöhe, richtete sie senkrecht


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