Auf der Spur der Sklavenjäger. Alexander Röder

Auf der Spur der Sklavenjäger - Alexander Röder


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wohl die Haddedihn überfallen hatten. Halef zürnte still, und ich muss gestehen, dass ich nicht in der Lage war, zu ermessen, welche Qual und welche Wut in ihm tobten, denn ich habe nun einmal keine Gattin und keine Kinder oder Anverwandte. Ob dies in diesen Stunden meinem Seelenzustand zuträglich oder abträglich war, vermochte ich nicht zu sagen.

      Ich ahnte aber, wie sehr ein weiterer Schmerz in ihm aufzusteigen begann, denn mein Halef ist klug – aus sich selbst heraus und weil er von seinem Sidhi das klare Denken gelernt hat, selbst wenn Zorn und Sorge das Gemüt verdüstern. In kühlen Gedanken, so mir die Hitze der Wüste und die Anstrengung des Ritts und die brennende Sorge und Ungewissheit diese zuließen, überlegte ich, was wohl geschehen sein mochte. Wer konnte die Haddedihn überfallen haben? Gewiss, es gab stets Zwist unter den Beduinenstämmen der arabischen Länder, doch seit dem Frieden zwischen den Ateibeh und Haddedihn – und ihrer herzlichen Allianz – wagten es andere kaum, sich jenen außergewöhnlich stolzen und mutigen Kämpfern entgegenzustellen. Es mussten besonders ruchlose Menschen gewesen sein, die die Weidegründe und den Duar, die Heimstatt, genauer das Zeltdorf, welches man auch Madrib heißt, heimgesucht und verheert hatten, um Herden und Habseligkeiten zu rauben.

      Mich beschlich ein Gefühl, dass es hier nicht um Vieh oder Güter ging, wie etwa die herrliche Kamelwolle, mit welchen die Haddedihn handelten, indem sie diese mit Kellek-Flößen zu den Städten verbrachten. Eine Ahnung kam in mir auf, und meine Ahnungen hatten mich selten getäuscht. Bei diesem Schlag des Schicksals gegen den Stamm und die Familie meines Freundes, so war ich sicher, musste die schreckliche Vorsehung ihr Ziel ganz bewusst gewählt haben. Nicht allein, weil die gütige Vorbestimmung uns mit Haschims Spiegelstein versehen hatte, auf dass wir rascher – wenngleich auch harscher – von den niederschmetternden Ereignissen weit im Norden, im Zweistromland, erfuhren, als wenn diese Kunde durch Boten zu uns gekommen wäre, wann und wenn überhaupt! So konnten wir nun zur Hilfe und Rache eilen.

      Aber ich bin auch davon überzeugt, dass alles seinen Grund und seine Zwangsläufigkeit besitzt. Warum also traf der Überfall die Haddedihn – und warum zu dieser Zeit?

      Was war jüngst geschehen? Wir hatten ein gutes Werk getan und in Dauha einige Sklavinnen befreit und somit einer Gruppe schurkischer Sklavenhändler empfindlich geschadet, ihnen gar den Tod als Strafe für ihre schändlichen Taten gebracht. Doch das Schicksal und die Vorsehung wägen nicht ab und balancieren nicht die Waagschalen nach menschlichem Ermessen und kaufmännischer Aufrechnung. Nur weil wir Gutes getan hatten, waren wir nicht von Bösem verschont. Stattdessen gebiert jede Tat eine Gegentat. Waren wir nicht auch gerade auf Rache aus? Wer wollte sich vielleicht an uns rächen? Und in schrecklicher Weise statt an uns – an den Unsrigen?

      Ich will meine Gedankengänge nicht weiter beschreiben. Das Ergebnis, zu dem ich kam, wurde ja bald durch die Ereignisse bestätigt.

      Es war in einem kleinen Ort, an dem wir Rast machten – widerwillig, aber notwendig. Selbst wenn wir es vorgeblich nur der edlen Meharis wegen taten, so wussten wir doch, dass wir auch unsere eigenen Leiber und Gemüte nicht zu sehr schinden durften, der kommenden Taten wegen, für die wir kräftig und frisch sein mussten.

      Der Name des Orts, seine Lage und Besonderheiten sind mir nicht mehr gewahr. Man verzeihe es mir, dem sonst so akkuraten Reiseschriftsteller, dass mir auf diesem langen, eiligen Weg die Details verschwammen, weil sie mir doch recht gleichgültig waren.

      Wir kamen also aus Hitze und Sand zu den staubigen Hütten aus bleichem Lehm, schwach beschattet von dürren Palmen. In den ferneren Gassen blökte ein Esel, ein Hund schien kläffend zu antworten, ein wenig menschlicher Streit war zu hören, aber auch Kinderlachen, welches Halef nicht wie sonst versonnen lächeln, sondern ihn die Lippen fest zusammen pressen ließ, ebenso wie die Augenlider. Der Staub der Reise sog gierig das feuchte Schimmern auf. Wir saßen ab und gaben in stumpfer Gewohnheit die Meharis in Obhut, welche wir dennoch mit scharfem Blick gewählt hatten. Das wohlwollende Misstrauen, welches jeder Reisende mit wertvollen Reittieren an den Tag legen sollte, war bei uns mehr denn je ausgeprägt. Wir durften die schnellen Dromedare nicht verlieren, konnten uns keine Verzögerung durch eine Diebesjagd leisten – und selbst die prallgefüllte Börse Sir Davids würde uns in diesen Gegenden keinen Ersatz erkaufen können. Doch immerhin bot sie den Knechten der Karawansereien reichliches und leicht verdientes Geld, sodass diese gar nicht wagten, Träume von noch reichlicherem, aber mit Aufwand und möglicher Gefahr verbundenem Geld zu hegen. Der Anblick der vier Männer, von welchen sie die Meharis und das Kostgeld erhielten, mochte nicht unerheblich dazu beigetragen haben.

      Haschim und ich waren ja durchaus stattlich. Doch wenn Halef und Sir David auch gemeinhin spöttischen Blick ernten mochten, wegen ihrer kleinen, gedrungenen oder hager aufschießenden Gestalt, dem spärlichen Bärtchen oder der karierten Kleidung – niemand Fremdes hatte jüngst darauf geachtet, denn meine sonst so wenig Ehrfurcht einflößenden Freunde strahlten nun eine fürchterliche Entschlossenheit aus, die jede heimliche, freche Bemerkung erstickte. Und auch heimliche, dreiste Taten.

      Ein wenig besorgte mich, wie sehr wir wohl andere erschreckten. Und in einer seltsamen Anwandlung hoffte ich, man würde uns nicht etwa für ruchlose Verbrecher halten, denn dies wäre mir doch gegen die Ehre gegangen.

      Wir betraten den schäbigen Gastraum und die dürftige Kühle des Zwielichts. Es roch nach Rauch und Essensdunst, doch beiderlei lockte uns nicht. Zum Tabakgenuss fehlte uns die Muße, und einen Appetit mochten wir uns nicht leisten, wir wollten uns schlicht nähren, was auch immer die Töpfe und Kessel hergaben und uns erst die Näpfe und dann den Magen füllte. Wenn nur das Wasser in den Bechern kühl und frisch war, wollten wir zufrieden sein.

      Stumm ließen wir uns nieder. Ob wir in den vergangenen Tagen auf hölzernen Bänken, Sitzkissen aus Leinen, Binsenmatten oder gestampftem Boden gesessen hatten, war einerlei gewesen. Zumindest Sir David mochte froh gewesen sein, dass der Untergrund nicht mehr schwankte, denn ihn traf der Wechsel vom gewohnten Pferderücken in den Sattel eines Dromedars wohl am heftigsten. Doch wo er früher wohl das ein oder andere empörte Wort oder gar einen britischen Scherz geäußert hätte …

      Nein, ich will ehrlich sein: Uns allen war nicht nach Reden zumute, noch weniger nach Scherzen. Es soll nun niemand anmerken, ein heiteres Wort hätte vielleicht die Stimmung gelöst – dem müsste ich entgegnen, er verkenne die Situation und Lage, eben weil er sie, der Vorsehung sei gedankt, wohl gar nicht kenne!

      Halef strapazierte den Griff seiner Kurbatsch, der Peitsche aus Nilpferdhaut, und an den knappen, fahrigen Bewegungen erkannte ich, dass er in Gedanken einen heftigen Hieb nach dem anderen ausführte. Doch der vorgestellte Rücken konnte nur einer gesichtslosen Person gehören, die imaginierte Vergeltung also ziellos und ernüchternd sein.

      Sir David klaubte bereits jetzt einige Münzen zum Begleichen der Zeche hervor, wie er es auch zuvor getan hatte, um nach unserem eiligen Mahl keine Zeit zu verschwenden. „Geld ist Zeit“, hatte er bei den ersten Malen gemurmelt, und niemand wagte ihm zu widersprechen, wo wir doch alle den Schlaf verfluchten, der uns so manche Stunde raubte, wenn wir es nicht verantworten konnten, in den Sätteln in unruhigen Schlummer zu verfallen, weil das Gelände unsere Aufmerksamkeit erforderte.

      Dennoch hatte der Lord ein weises Wort geprägt, denn wie ich bereits anhand der Karawansereien erläuterte, so entledigte uns die Reichlichkeit der Reisekasse doch so einiger Hindernisse, die uns andernfalls Zeit und auch Gemütsstärke gekostet hätten, und beides konnten wir uns nicht leisten.

      So stumm und grimmig wir also waren, der Wirt, der herankam und mir so unauffällig und eigenschaftslos erschien wie seine Gaststätte und der Ort ringsum, legte eine heitere Neugierde an den Tag.

      ‚Ist es überhaupt Tag?‘, dachte ich in jenem Moment. Wir hatten unseren Reisetakt auf ungesunde Art vom Lauf der Sonne abgekoppelt, und so wusste ich kaum, welcher Wochentag sein mochte, und angesichts des immer gleichen Zwielichts der Schenken und Gasträume mit den Fensterlöchern, in denen Bretter oder Häute oder Geflecht klemmten, war ich mir manches Mal nicht sicher, ob draußen der Tag oder der Abend dämmerte. Man glaube nun nicht, ich sei vor Zorn und Sorge so blind geworden, dass ich Sonne und Mond, Tageshelle und Nachtschwärze nicht mehr hätte unterscheiden können – doch ich muss gestehen, dass mir alles in einheitlichem Grau erschien, so sehr litt


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