Auf der Spur der Sklavenjäger. Alexander Röder

Auf der Spur der Sklavenjäger - Alexander Röder


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um den Eingangsbereich herum die Leinwand grob eingerissen war, es waren Einschusslöcher zu sehen und auch ein großer dunkelgrauer – Brandfleck.

      Plötzlich zeigte das Bild das Innere des Zelts – Halef hatte sich offenbar vorgestellt, das Zelt gedanklich zu betreten. Der Teppich, der den Zeltboden bildete, war aufgeworfen, zeigte ebenfalls Brandflecken und weitere kleinere dunkelbraune Flecken, die aussahen wie – Blut! Im Hintergrund auf einem Lager war Amscha zu sehen, regungslos daliegend, ihre helle Oberbekleidung zeigte ebenfalls dunkelbraune Flecken. Neben ihr saß eine uns unbekannte Frau, die sich offenbar um Amscha kümmerte, die schlief, bewusstlos war, krank …? Oder gar … Ich wollte nicht daran denken.

      Halef stöhnte.

      Warum war an Amschas Lager eine Fremde? Warum saß dort nicht Hanneh oder Djamila, um sich um die Mutter zu kümmern? Das Zeltinnere sah außerdem grob unordentlich aus, zwei kleine Tische waren zerschlagen, die anderen Lager zerwühlt, die Kissen aufgerissen und in einer Ecke achtlos aufgetürmt. Und: Warum war Amscha in Halefs Zelt und nicht in ihrem eigenen?

      Der Blickwinkel auf dem Felsen veränderte sich erneut. Wir schienen wieder vor Halefs Zelt zu stehen, doch jetzt in einigen Schritten Entfernung. Nun wurde sichtbar, dass Amschas Zelt, das sonst neben Halefs stand, komplett niedergerissen war, und auch einige Nachbarzelte waren zerstört. Der trockene Grasboden vor Halefs Zelt war derart aufgewühlt, dass wir den Eindruck bekamen, dort müsse ein Kampf stattgefunden haben.

      Jetzt stöhnte Halef nicht mehr, jetzt schrie er gequält auf!

      Wieder veränderte sich die Szene und das Bild blieb in Bewegung. Wir bekamen weitere Einblicke in das Lager: Die meisten Zelte waren niedergebrannt oder umgestoßen, offenbar hatte nicht bloß ein Kampf, sondern ein richtiger Überfall stattgefunden. Und bis auf ein paar wenige Frauen und zwei Kinder war niemand zu sehen. Vor allem Hanneh, Djamila und Kara waren nirgends zu erblicken, so sehr Halef auch seine Gedanken darauf konzentrierte, alle Winkel des Zeltdorfs abzusuchen.

      Halef nahm mit einem Ruck seine Hand von der Wand weg und das Schreckensbild erlosch sofort.

      „Sihdi“, sagte er nun mit kalter Stimme, und er sah mich mit den dunkelsten Augen an, die ich jemals gesehen hatte. „Wir müssen aufbrechen. Wir müssen erfahren, was mit meiner Familie geschehen ist.“ Und dann sank seine Stimme mehrere Tonlagen tiefer. „Und wir müssen die töten, die ihnen das angetan haben.“

       Alexander Röder

       Erstes Kapitel

       Durch die Wüste

      Die Meharis liefen schnell, sie flogen förmlich über den Sand. Wer je von Dromedaren oder allgemein von Kamelen als den Schiffen der Wüste gesprochen und sich nickend das sanfte Schaukeln auf Wellen oder Dünen vorgestellt hat – der hätte sich nun verwundert über jenen Anblick gezeigt, den unsere eilige Gruppe bot: Dies war keine Karawane von Reisenden, es war eine Kavalkade von Rächern. Selbst wenn wir den Tieren in regelmäßigen Abständen einen gemächlicheren Schritt vergönnten, so war auch dies kein erbaulicher Anblick, trotz der Schönheit der edlen Geschöpfe. Denn ihre Reiter hatten von Grimm und Sorge gefurchte Gesichter, und ihre Haltung war aufs Äußerste angespannt, Nacken und Schultern von der Bürde der Ungewissheit beladen.

      Wir sprachen kaum. Auch wagten wir es nur selten, einen Blick untereinander zu wechseln, aus Furcht vor dem, was wir im Antlitz des Freundes würden lesen können – oder davor, dass wir uns in ihm wiedererkannten.

      Ich habe in meinen Tagen nun oft genug den raschen Ritt nach Vergeltung vollführt, auf der Jagd nach Schurken, in Verfolgung von Bösewichten – doch damals wusste ich zumeist, wem ich da auf der Spur war und was dieser aus welchem Grund getan hatte. Hier strebte ich mit meinen Freunden dem Ungewissen entgegen, getrieben von einer vagen Vorausschau, die uns Haschims magischer Spiegelstein geschenkt hatte. Ein vergiftetes Geschenk, dessen Bitterkeit uns an den Seelen fraß.

      Unser Anblick musste furchteinflößend sein für die wenigen Menschen, die uns begegneten. Wir schlugen wenig bekannte Routen ein, um rasch und ungestört voranzukommen, aber die eine oder andere friedliche Karawane kreuzte doch unseren Weg, und denen mussten wir wie die vier Reiter der Apokalypse erscheinen – wenn denn die braven orientalischen Kaufleute je von diesen gehört hatten. Die weniger braven Reiter, die uns erblickten, weil jene abseitigen Wege auch von Verbrechern und finsteren Gesellen genutzt wurden, mochten zurückgescheut sein, denn unser wilder Ritt dürfte sie mit Zweifel erfüllt und ihnen geraten haben, uns besser zu meiden.

      Einem Scharmützel mit Banditen hätten wir uns wahrscheinlich kaum freiwillig gestellt, wir hatten keine Augen, keine Sinne für jene, auch nicht für alles andere.

      Heller, heißer Tag und finstere, kalte Nacht wechselten in natürlich vorgegebenem Takt, mir schien es jedoch wie ein scheußliches Wechselbad, wie es den Leibern der bedauernswerten Seelenerkrankten in gewissen Instituten zugemutet wird, zu zweifelhaftem Nutzen. Der gütige und weise Pfarrer Kneipp, der solcherlei Wassergüsse als heilsame Anwendung der unteren Extremitäten ersann, mochte sich darob bitter empört zeigen.

      Wer nun glaubte, ich hätte mich bei jenem harten Wüstenritt, voller Staub und Hitze, nach einem erfrischenden Wassertreten gesehnt, verkennt leider meine Lage: An solcherlei Erquickung dachte ich nicht, was kümmerte mich mein körperliches Wohlergehen in jener quälenden Aufwühlung des Gemüts, angesichts des Leids meines Freundes!

      Und wer nun eine farbenfrohe und eindringliche Beschreibung der Äußerlichkeiten jener so schmerzvoll erlebten Reise erwartet, den werde ich ebenfalls enttäuschen müssen: Ich scherte mich kaum um die Oasen und Siedlungen und Städte, die wir passierten. Gewiss schienen mir die Erinnerungen an frühere Reisen in diesen Gegenden auf, doch weniger im geografischen oder kulturellen Sinne, sondern wegen der Begegnungen und Erlebnisse, die ich dort gehabt hatte.

      Als wir durch den Hedschas nach Norden ritten, konnte ich nicht umhin, an die beiden Städte zu denken, die linker Hand von uns im Westen lagen, nahe der Küsten des Roten Meeres, namentlich Dschidda und Mekka. In Dschidda war ich vor fünf Jahren an Land gegangen, kaum dass ich glücklich aus den Fängen des Piraten Abu Seif hatte fliehen können. Meinen Freund Halef, an dessen Seite ich nun in jenen schweren Stunden ritt, hatte ich damals noch nicht lange gekannt, ja, ihn noch nicht ganz einen Freund nennen können. Doch in jener Zeit wurde die Saat für unsere Verbundenheit gesät – und für die Verbindungen, die sich später ergaben. Denn Abu Seif hatte einst Amscha entführt und ihr jene beiden Kinder Hanneh und Djamila – nein, nicht geschenkt, sondern mit Gewalt gezeugt. Und doch wurden die beiden Mädchen zu Geschenken für Amscha, später auch für Halef, als er Hanneh ehelichte, und für uns alle, als wir Djamila in Basra begegneten. Und diese beiden jungen Frauen hatten nun ein uns unbekanntes Schicksal erlitten – es musste so sein, denn nur so war erklärlich, dass der Spiegelstein sie uns nicht gezeigt hatte! Nur Amscha, die auf ihrem Lager lag, verwundet, verletzt – in unbekanntem Zustand der Gesundheit.

      Auch Amscha hatte ich damals kennengelernt – als mutige, resolute Tochter des Scheiks Malek, die es sich nicht hatte nehmen lassen, mich auf meiner gefährlichen Mission nach Mekka zu begleiten, oder doch zumindest bis kurz vor den Eintritt in die heilige Stadt, die mir als Ungläubigem verboten war. Ich entsinne mich noch ihres klugen Ratschlags, meine prächtigen westlichen Waffen, Henrystutzen und Bärentöter, in ihre Obhut zu geben und stattdessen ihre alte Araberflinte zu führen – denn die modernen Gewehre hätten mich schlicht verraten. Halef hatte zu jener Zeit eine eigene Tarnung für seinen Aufenthalt in Mekka gewählt, nämlich die eines Ehemanns, und seine vorgebliche Braut war Hanneh gewesen, die Enkelin des Scheiks und Tochter von Amscha. Die beiden Frauen hatten uns also jede auf ihre Weise geholfen, dass wir Abu Seif hatten stellen können und dass ihn schließlich sein Schicksal ereilte. Er starb für das, was er uns allen angetan hatte – auch wenn in einer seltsamen Fügung daraus Freundschaft unter uns erwuchs und gar eine wirkliche Ehe zwischen Halef und Hanneh.

      Halef dachte in diesen Stunden wohl an die gleichen Dinge wie ich. Zumindest an jene, die in der Vergangenheit lagen. Was


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