Elfenzeit 8: Lyonesse. Uschi Zietsch
»Es ist nicht uninteressant«, gab sie zu. »Mal was Neues.« Dann grinste sie.
Er lächelte erleichtert zurück. Als er das Regal zu seiner Zufriedenheit sortiert hatte, setzten sie sich gemeinsam aufs Sofa und sahen dem Schneetreiben vor dem Fenster zu.
»Ob Nadja unsere Nachricht bekommen hat?«, äußerte Robert, was ihn bewegte. Er hatte einen Beleg seines Buches mit einer Widmung zum Baumschloss der Crain geschickt, Anne hatte den Transport übernommen.
»Ganz sicher. Sie weiß jetzt, dass wir noch leben.«
»Und … wie stehst du zu ihr?«
»Ich respektiere sie. Sie ist sehr mutig und eine echte Kämpferin. Ich stehe nicht mehr zwischen dir und ihr, falls du das wissen willst.« Anne setzte sich auf. »Aber wir beide werden uns nicht mehr einmischen. Nadja kann auf sich selbst aufpassen, und ebenso auf ihren Sohn. Außerdem sind da noch David und Rian und der ganze Rest der Bande. Sie braucht uns nicht. Ich bin schon weit genug gegangen. Keinesfalls werde ich mich in die Dienste Fanmórs stellen.«
»Das verlange ich ja gar nicht«, beschwichtigte er. »Ich habe nur das Gefühl, als ob sie schon wieder in Schwierigkeiten steckt …«
Sie blickte finster. »Und du möchtest, dass ich das via Elfenkanal herausfinde.«
»Ähm … ja.«
»Vergiss es. Ende der Diskussion.«
Notgedrungen gab er nach. Dann musste er eben einen anderen Weg finden.
Es kam in den Abendnachrichten. Nachdem einige Penner in den vergangenen Nächten erfroren waren, war nun etwas Neues an die Presse durchgesickert – hervorgerufen durch die nächste aufgefundene Leiche. Einer undichten Polizeistelle zufolge war keiner der Obdachlosen eines natürlichen Todes gestorben, wobei die genaue Todesursache noch nicht feststand. Aber alle waren grausam entstellt, teilweise habe sogar die Haut gefehlt, oder sie wären wie eingetrocknet gewesen …
Robert war hellwach. »Das geht nicht mit rechten Dingen zu! Komm, das müssen wir uns ansehen, und zwar sofort!« Er sprang auf und lief zur Garderobe. Nicht, dass er einen Mantel brauchte, aber es würde doch zu sehr auffallen, wenn er bei mehreren Minusgraden im Hemd spazierenging.
Nach kurzem Zögern folgte Anne ihm. Robert war auf Fragen, Vorhaltungen gefasst gewesen, doch sie zog schweigend ihre weiche Samtjacke an, und er fühlte sich auf einmal beschwingt, als wäre etwas von ihr auf ihn übergesprungen.
Sollte etwa … Er dachte nicht zu Ende, das war unwichtig und lenkte nur ab. Jetzt wartete eine Reportage auf ihn!
Um schneller dort zu sein, fuhren sie eine Station mit der U-Bahn zum Karlsplatz und kamen in der Nähe des Mathäser Filmpalastes heraus, wobei es nicht einfach war, nach oben zu gelangen. Unten herrschte dichtes Gedränge, einige Ausgänge waren gesperrt worden, und überall war Polizei. Sie brauchten fast zehn Minuten, bis sie endlich die Station verlassen hatten. Eine Menge Schaulustige waren vor Ort, sowie Übertragungswagen diverser TV-Sender. Scheinwerfer schnitten grelle Lichtbahnen in die Dunkelheit und schufen in unmittelbarer Nähe harte Schlagschatten, die in unregelmäßigen Abständen dick eingemummte Gestalten gebaren, beschäftigt mit irgendwelchen wichtigen Dingen.
Robert sah sich aufmerksam um, und dann hoben sich seine Brauen. Hastig ergriff er Annes Hand und zog sie mit sich, auf die Absperrung zu. Als ein Polizist ihn aufhalten wollte, zeigte er seinen Presseausweis und deutete auf einen Mann Ende fünfzig, dessen Halbglatze dem erneut einsetzenden Schneefall schutzlos ausgeliefert war. Er trug einen billigen Mantel, einen dampfenden Kaffeebecher in der linken Hand und eine Brille auf der Nase, die sein halbes Gesicht bedeckte.
»Das ist Hans-Peter Dauß, wir sind schon sehr lange befreundet«, erklärte er dem Polizisten. »Er erwartet mich!«
»Tut mir leid«, erwiderte der Uniformierte. »Ich habe strikte Anweisung, niemanden durchzulassen, und das gilt besonders für die Presse.«
»Aber …«, setzte Robert an, und Anne schob sich neben ihn.
»Haben Sie nicht gehört, dass wir erwartet werden?«
Der Polizist schluckte trocken und wirkte eingeschüchtert, wich trotzdem keinen Millimeter. »Ich habe die Anweisung, meine Dame, wenn ich die nicht befolge, bin ich meinen Job los.«
»Lass nur«, winkte Robert ab. Er sprang vor dem Absperrband auf und ab, wedelte heftig mit den Armen und rief: »Jim! He, Jim Gordon!«
Der Mann mit dem Kaffeebecher fuhr herum, und feiner Sprühregen verteilte sich rings um seinen Kopf im Scheinwerferlicht. Als er Robert entdeckte, war sein Seufzen bis hierher zu vernehmen. Langsam kam er näher und nickte dem Polizisten zu. »Lassen Sie ihn und seine Begleiterin durch, das geht in Ordnung.«
Der Polizist verzog keine Miene, als er das Absperrband hob und das Paar hindurchschlüpfte.
»Musstest du das über die ganze Stadt brüllen?«, empfing Hans-Peter Dauß den Autor. »Ist ja peinlich.«
Robert grinste breit und schlug dem älteren Mann auf die Schulter. »Ach was, es erinnert sich doch niemand mehr daran.«
»Dann bist du … Batman?«, fragte Anne stirnrunzelnd ihren Gefährten.
»Der? Nein, das ist Jimmy Olsen, als er noch Praktikant war«, versetzte der Mann.
Robert grinste fröhlich.
»Muss ich das verstehen?«
»Nicht unbedingt. Ich bin nicht mal sicher, ob ich es je verstanden habe.« Er hielt Anne die Hand hin. »Hans-Peter Dauß, Pressereferent des Hauptkommissariats. Sehr erfreut.«
»Das wird sich noch herausstellen«, erwiderte sie augenzwinkernd. »Anne Lanschie. Ich bin Roberts Frau.«
Robert platzte fast vor Stolz. So hatte sie sich anderen nie vorgestellt. Das war doch all die Strapazen und Kämpfe im Reich des Priesterkönigs wert. Seine Frau. Genau!
Dauß blickte Robert verblüfft an, dann nickte er anerkennend. »Alle Achtung«, sagte er. »Ich wähnte dich längst im Rinnstein.«
»Da hat sie mich auch rausgezogen«, bekannte Robert vergnügt.
Anne hüstelte. »Ihr seid Freunde.« Sie ordnete den Sitz ihrer Jacke. »Dann will ich euch zur Wiedersehensfreude allein lassen. Darf ich mich ein wenig umsehen, Herr Dauß? Selbstverständlich, ohne irgendetwas anzurühren.«
»Sie sammelt Informationen für mich, aber sie ist sehr diskret«, erklärte Robert schnell. »Komm schon, Comissioner Gordon, in Erinnerung an alte Zeiten, und weil du wirklich so klischeebehaftet dastehst wie in einem amerikanischen Krimi, selbst der Coffee-to-go …«
»Schlimme Unsitte, ich weiß, aber er hält warm. Immerhin rauche ich nicht mehr.«
»Und ich wollte dir gerade eine anbieten.«
»Gehen Sie nur, Frau Lanschie«, sagte Dauß zu der Muse. »Ich vertraue auf Roberts Wort.«
Sie lächelte ihn an, woraufhin er verwirrt blinzelte und verlegen grinste, und machte sich mit schwingenden Hüften davon.
Dauß schüttelte den Kopf. »Das wirst du mir eines Tages erklären müssen, Olsen.«
»Das werde ich, versprochen. Aber jetzt interessiert mich, was hier vor sich geht.«
»Stehst du denn in Diensten?«
»Derzeit nicht, aber ich bin trotzdem noch Journalist. Und vielleicht sind es Recherchen für mein nä… für mein Buch.«
»Also willst du deinen Traum endlich wahrmachen?«
»Ja, stell dir vor, und Anne hilft mir dabei.«
Dauß trank den Kaffee aus. »Ich bin mir allerdings nicht sicher, ob ich dir helfen kann. Und es muss alles unter uns bleiben.«
»Das weißt du.« Robert fühlte sich genau wie damals, während seiner Tätigkeit als Enthüllungsreporter. Durch die Arbeit hatte er Dauß kennengelernt,