Elfenzeit 8: Lyonesse. Uschi Zietsch

Elfenzeit 8: Lyonesse - Uschi Zietsch


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auch schon gewaltig eins über den Schädel gebraten.

      4.

       Der Zorn des Windes

      Die Sonne brannte auf ihn herab. Kein Schatten, der ihm vorauslief, während er Richtung Norden ging. Seine Stiefel hinterließen keine Spuren, nur kurze Eindrücke, die sofort verwehten. Der Umhang, nicht viel mehr als grobes, an den Rändern ausgefasertes Gewebe, flatterte im heißen Wüstenwind.

      Zug um Zug kehrten die Erinnerungen wieder, doch noch immer gab es große Lücken. Nur sein dunkler Turm in der Geistersphäre könnte sie ihm zurückgeben, aber trotz der Stärkung durch die Panzerechse war er nach wie vor zu schwach, dorthin zu gelangen. Also Ayoubs Rat folgen und gen Norden gehen, zum Meer, »wo alles begann«, was auch immer das bedeuten mochte. Doch der Nomade war nicht ohne Grund bei ihm gewesen.

      Er wusste wieder, wer er war.

      Er wusste wieder, was er war.

      Aber er erinnerte sich nicht, was ihn hierher verschlagen hatte.

      Da war Island gewesen … eine große Schlacht … aber warum? Was war seine Beteiligung daran gewesen? Was hatte ihn besiegen können?

      Der Getreue blieb stehen und richtete den Blick zum wolkenlosen Himmel. »Bruder …«, flüsterte er. Hatte er schon jemals um Hilfe gebeten? Er konnte sich nicht entsinnen. Sie wäre allerdings sehr willkommen. Er erhielt keine Antwort.

      Warum nur war er nach Island gegangen? Verschwommen tauchten Gesichter in seiner Erinnerung auf, doch er wusste nicht, wer sie waren. Ich habe meine Aufgabe und mich selbst vergessen. Ich werde verschwinden, wenn ich nicht schnell genug bin, um …

      Ja, was zu finden? Was genau war der »Anfang«? Wodurch konnte der Getreue gerettet werden?

      Er hob den Arm und betrachtete die Faust, öffnete sie, ballte sie wieder. Er spürte die Bewegung der Muskeln und erkannte, dass er vorher nicht nur sehr schnell, sondern auch unermesslich stark gewesen war. Die Erinnerung an diese Kraft war in ihm und trieb seinen Körper voran … oder vielmehr das, was von ihm übrig war. Er war nicht so recht stofflich, aber keinesfalls sphärisch.

      Ein Schrei schallte durch die Wüste und wehte den Sand von der Düne. Der Getreue schrie Wut und Frustration hinaus. Der Wunsch zu töten kam in ihm auf, die Finger in zuckendes Fleisch zu tauchen, um seiner Existenz eine Basis zu geben, sie besser zu fühlen, sich zu verankern. Hatte er sich je zuvor in einer ähnlichen Situation befunden? Wenn ja, wie hatte er herausgefunden?

       Ich bin abgeschnitten von etwas, das sterben muss, wenn ich nicht rechtzeitig zurückfinde. Ich weiß nicht, was es ist, nur, dass es Bestandteil meiner Aufgabe ist. Oder die Aufgabe selbst? Was kann ich tun? Wie kann ich verhindern, dass ich schwinde? Ich muss meinen Turm erreichen …

      Der Boden schwankte unter seinen Füßen, die Sicht verschwamm. Die Grenzen zwischen den Welten waren hier fließend und nicht mehr undurchlässig. Der Getreue bewegte sich vermutlich gleichzeitig in der Menschen- und der Anderswelt. Nur die Geistersphäre konnte er nicht erreichen, obwohl unter ihm die mächtige Ley-Linie pochte, deren Verlauf er folgte. Sie gab ihm die Kraft, durch die Wüste zu wandern, aber sie verweigerte die Energie zum Wechsel in den dunklen Turm. Warum nur?

      »Vielleicht Rache?«

      Eine hohe Stimme kicherte hinter dem Getreuen und fuhr über ihn hinweg. Er sah sich um, da kam es schon von rechts: »Ist doch kein Wunder, nach allem, was du ihr angetan hast, oder?«, und von links: »Sie zu besetzen, zu missbrauchen, ihr die Freiheit zu nehmen …«

      »Schweig still!«, fauchte der Getreue. »Ich weiß nicht, wovon du redest.«

      Ein heißer Windstoß raubte ihm fast den Atem, brauste über ihn hinweg und zerrte an seinem Gewand. »Spiel nicht den Unschuldigen, Kapuzenmann! Du bist hier, um zu sühnen, und wir alle sehen dabei zu!«

      »Dann zeig dich doch«, forderte der Getreue. »Wie sonst sollte ich wissen, ob du auch wirklich lachst?«

      Das hohe Pfeifen erklang wieder, blies heiß und trocken um ihn herum, brauste dann davon. Auf einem Dünenkamm vor ihm bildete sich ein Wirbel, der die leicht verschwommene Gestalt eines schmalen Jünglings mit langen Locken und einem kecken kleinen Fez auf dem Kopf annahm. Seine tanzenden, von Schnabelschuhen bedeckten Füße wirbelten den Sand auf und verfestigten seine Konturen.

      »Erkennst du mich nun, Schattenloser?« Er lachte herunter.

      »Ghibli«, brummte der Getreue. »Ich gehe nach Norden, also pack dich und verschwinde nach Süden, wo du hingehörst!«

      »Ha! Ich puste, wo und wie ich will, und blase dich um!«

      Da musste der Verhüllte lachen, wenngleich krächzend. »Das hat schon der Sohn des Nordwinds vergeblich versucht.«

      »Reize mich nicht!« Ghibli stürmte heran, doch der Getreue hielt ihm unbeeindruckt stand. Menschen und Elfen mochten in dieser trockenen Hitze halb verdorren, ihm machte das nichts aus. Er hatte sich an dem Krokodil gestärkt und er stand auf der Ley-Linie.

      »Was willst du?«, fragte er ungehalten. »Wenn du nutzbringend sein willst, so blase mich über den Gebirgskamm da vor mir, das erspart mir viel Mühe.«

      Am Horizont waren hoch aufgetürmte Felsengrate zu erkennen, soweit das Auge reichte. Unmöglich, sie zu umgehen. Steine und absolute Trockenheit lauerten dort, gnadenlose Hitze und steile Pfade. Die Grenze zu Ägypten verlief mitten hindurch. Doch dorthin durfte er nicht gehen, nicht jetzt.

      »Du hast mir nichts zu befehlen, und ich habe keine Angst vor dir!«, pfiff der Südwind. »Diese Zeiten sind vorbei!«

      »Sie fangen erst an«, knurrte der Getreue. Es würde ihn Kraft kosten, aber das konnte er nicht auf sich sitzen lassen. Er bückte sich, tauchte die Hand in den Sand und rührte darin wie in einer Teigschüssel. Er rührte und rührte, und nach einer Weile wurde der Sand schwerelos und stieg auf, bildete eine Spirale, die um sich selbst tanzte.

      »Was machst du da?«, rief Ghibli und kam auf leichter Brise näher. Er nahm wieder die Konturen des Jünglings an und sah neugierig zu.

      »Ich erschaffe eine Dünentänzerin«, antwortete der Getreue.

      »Was? Was? Lass mich sehen, ich kann nichts erkennen!« Ghibli wehte aufgeregt noch näher heran und jauchzte wie ein Kind, als sich weibliche Rundungen und Formen aus der Spirale bildeten, und Haare wie Schleier, die um die zierliche Gestalt wehten. Die Dünentänzerin hob die Arme und tanzte anmutig, bevor sie vollendet war.

      »Warum so aufgeregt?«, fragte der Getreue und unterdrückte den Spott in seiner Stimme. »Du selbst erschaffst sie doch!«

      »Ach nein«, sagte Ghibli traurig, »das macht mein Bruder, Chamsin. Er erschafft sie vor dem Sturm und zeigt sie Karawanen, bevor er sie unter Sand begräbt.«

      »Dann bitte ihn doch, dir eine zu schenken!«

      »Kann ich nicht diese haben? Bitte, bitte?«

      Unter seiner Kapuze lächelte der Getreue finster. Er würde den jungen Wind Respekt lehren. Seine Hände vollführten ein paar Gesten, mit denen er die Dünentänzerin aufzunehmen schien und dann zu einer Düne schickte, auf deren Kamm sie zierlich landete und sofort weitertanzte.

      »Du hattest wohl noch keine?«, fragte der Getreue scheinbar leutselig.

      Ghibli schüttelte das windumtoste Haupt. »Chamsin hat es nie zugelassen, dabei bin ich längst alt genug! Er ist immer so streng und sagt, ich bin für den Süden zuständig, während er überall ist. Was für ein Unsinn!« Seine Gestalt schwankte unruhig hin und her, wie eine dünne Palme im Sturm. Seine Augen waren so begierig auf die Dünentänzerin gerichtet, dass er nicht einmal wissen wollte, wie der Getreue etwas zustandebrachte, das sein Bruder sonst als alleinige Fähigkeit zur Schöpfung beanspruchte.

      Der Getreue bewegte die Finger, als wäre die Dünentänzerin seine Marionette, und ließ sie tanzen, tanzen …

      Ghibli vergaß alle Vorsicht und brauste zu ihr. Er wehte um sie herum,


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