GUARDIANS - Der Verlust. Caledonia Fan

GUARDIANS - Der Verlust - Caledonia Fan


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bei den Guardians bestanden. Seitdem verstärkten sie das Team mit ihren Gaben und wohnten bis heute im Gesindehaus. Trotz ihrer Gegensätzlichkeit in Charakter und Aussehen hielt ihre Teenager-Freundschaft von damals unerschütterlich.

      Ethan verkörperte alles das, was Bran fehlte. Er war drauf­gängerisch, wortkarg und ein außerordentlich gut­aussehender Mann. Das widerspenstige blonde Haar kämmte er - wenn überhaupt - mit den Fingern. Seine breiten Schultern und die markanten, männlichen Gesichtszüge zogen die Blicke auf sich. Doch das Auffälligste waren die tiefblauen Augen, die stets misstrauisch und sorgenvoll zugleich blickten.

      Tanyel bog hinter dem Ostflügel rechts ab und kam in den Schatten der hohen Bäume. Sein Blick streifte die Hecken an der Osteinfahrt und der Steward in ihm registrierte stirnrunzelnd, dass sie dringend geschnitten werden mussten.

      Wie immer, wenn er zu den etwas abgelegenen Wirtschafts­gebäuden hinüberging, machte er einen kurzen Abstecher zu Tariqs Gedenkstein. Es war dessen Wunsch gewesen, für jeden, der einmal zur großen Familie von Darach Manor gehört hatte, hier auf dem Grundstück einen solchen aufzustellen. Und so befanden sich in dem winzigen Hain unter den hohen Bäumen neben Tariqs Stein auch zwei von ehemaligen Guardians, die im Einsatz umgekommen waren. Einer der beiden war ein Niemand gewesen, der in keinem Melderegister aufgetaucht war. Deshalb hatten sie ihn auf dem Grund des Hauses begraben, direkt am See, einem Platz, den er gemocht hatte. Denn für sie war er jemand gewesen. Ein Kamerad.

      Heute war Tanyel nicht der Einzige, der zu dem stillen Ort hinter dem Gartenhaus gefunden hatte. Penelope, die Schul- und Internatsleiterin, ordnete Blumen in einer Vase und zupfte zwei welke Blüten heraus. Beim Knirschen seiner Schritte auf dem Kies richtete sie sich auf und drehte sich um.

      "Es sind immer dieselben, die sich hier treffen", lachte sie und strich sich das schick frisierte graue Haar aus der Stirn, bevor sie sich wieder dem Strauß widmete, der auf dem kniehohen schwarzen Marmorwürfel stand. "Ich kann mich mit diesem Klotz nicht anfreunden", brummte sie mit abgewandtem Gesicht. "So schlicht und völlig schmucklos, einfach nur ein Block."

      "Er wollte ihn so", gab Tanyel zurück, "und er ist genau so, wie Tariq es bestimmt hatte und wie er selbst gewesen war. Er hat nie viel Wert auf seinen gesellschaftlichen Stand und seinen angeborenen Adel gelegt. Nicht der Name adelt den Menschen, das war seine Devise."

      "Ja", seufzte Penelope und ließ ihre Hände einen Moment lang sinken. "Du hast ja recht."

      Der Steward war neben ihr stehen geblieben und schaute auf sie hinab. Die rundliche Frau reichte ihm kaum bis zu den Achseln. Doch die schicke Mittfünfzigerin mit dem immer gepflegten Make-up besaß eine enorme innere Kraft, die sie für ihre Aufgabe hier bestens geeignet machte. Die Teenager hatten gehörigen Respekt vor ihr.

      Sie hob den Kopf und sah mit blitzenden, blauen Augen zu ihm hinauf. "Wir haben gestern echt Nerven gebraucht mit der Heizung im Büro", meinte sie, richtete sich auf und wischte die feuchten Hände an der Jeans ab. "Unsere Sekretärin hat die ganze Zeit wenig freundliche Dinge vor sich hingemurmelt und ich glaube, sie galten dir." Übertrieben vorwurfsvoll sah sie zu dem über zwei Meter großen Mann neben sich auf und runzelte vielsagend die Stirn.

      Tanyel hob bedauernd die Hände. "Warum habt ihr … ach richtig, ich war nicht da", fiel ihm ein. "Ich schau es mir heute noch an, damit ihr beiden Ladys am Montag nicht frieren müsst." Er grinste ebenfalls.

      "Frieren? Im Juni? Nein, es war dieses Klopfen, was einen wahnsinnig gemacht hat."

      "Ich kümmere mich, versprochen." Er nickte Penelope zu und setzte seinen Weg fort.

      Am Gesindehaus angekommen richtete er prüfend den Blick auf den Fortschritt der Baumaßnahmen. Es mussten weitere Zimmer geschaffen werden, denn der Raum für die Jungen hatte sich nach und nach gefüllt, als neue Internatszöglinge dazugekommen waren.

      Jais war der Erste gewesen. Der stille Blondschopf aus Dänemark hatte sich schwergetan, Anschluss zu finden an das unzertrennliche Bran-Ethan-Duo. Die beiden waren sehr verschlossen gewesen. Sie hatten Mirek vermisst, den Jüngsten der Kinder aus dem Labor, der ihnen während ihrer Gefangenschaft ans Herz gewachsen und wie ein kleiner Bruder geworden war. Und sie waren nicht bereit gewesen, Jais bei seinen Sprachproblemen zu helfen. Eine Weile hatte es ausgesehen, als würde der schmächtige Junge wegen Heimweh wieder abreisen. Er war sich verloren vorgekommen. Tanyels ernstes Gespräch mit Bran und Ethan hatte nichts daran geändert. Die beiden waren damals kurz vor ihrer Guardian-Prüfung gewesen und hatten sich dem Neuzugang turmhoch überlegen gefühlt.

      Hilfe kam von unerwarteter Seite. La'ith, der stellvertretende Teamchef, erkannte die Not des damals erst Vierzehn­jährigen und holte ihn diskret unter seine Fittiche.

      Ein Brummen, das sich von der Osteinfahrt näherte, ließ Tanyel den Kopf wenden. Als wären seine Gedanken das Stichwort für La'ith gewesen, sah er dessen unauffälligen Kleinwagen in den Garagenhof einbiegen.

      Nachdem er das Auto geparkt hatte, kam der wortkarge und verschlossen wirkende Guardian langsam zu dem Steward herüber.

      "Ist etwas nicht in Ordnung?", fragte er und ließ seinen Blick prüfend über das neue Dach des Gesindehauses wandern.

      Tanyel lachte leise. "Doch, doch, alles bestens. Nein, ich habe grad ein bisschen in Erinnerungen gekramt und dran gedacht, wie du Jais vor Ethan und Bran gerettet hast."

      La'ith antwortete nicht gleich darauf. Er war kein gefühl­voller Mensch und mit Lob umzugehen fiel ihm schwer.

      "Er hat sich gut gemacht", erwiderte er ein wenig steif.

      Jetzt lachte Tanyel laut. "Gut gemacht?", wiederholte er. "Sicher, da hast du recht. Und er ist dir auch dankbar. Aber mich wundert manchmal, dass du noch atmen kannst, so, wie er dich vereinnahmt hat. Wo du doch so gern in Gesellschaft bist."

      Das Grinsen, das den Schlag begleitete, mit dem seine Pranke auf La'iths Schulter herabsauste, blieb unerwidert und das Gesicht mit den silbergrauen Augen zeigte keine Spur von Erheiterung. La'ith lachte nicht. Niemals. Tanyel wusste das und konnte damit umgehen.

      Im Stillen bewunderte er den schlanken, schwarzhaarigen Guardian. La'ith hatte sich nie über Jais' Anhänglichkeit beklagt.

      "Es hat funktioniert", gab der unfreiwillige Mentor zurück. "Er hat sich gefangen und seine ganze Kraft in die Ausbildung zum Guardian gesteckt. Dass es sich gelohnt hat, konnte er bei seiner fehlerfreien Aufnahmeprüfung zeigen."

      Tanyel nickte versonnen. Er musste La'ith recht geben, es hatte funktioniert. Inzwischen wohnte Jais im Ostflügel von Darach Manor. Er hatte nie wieder davon gesprochen, nach Hause zurückkehren zu wollen.

      La'ith nickte ihm knapp zu und wandte sich ab, um in Richtung Haupthaus zu verschwinden. Der Steward sah ihm eine Weile hinterher, bevor er seinen Rundgang um das Gesindehaus fortsetzte.

      Wieder vor dessen Haustür angekommen, stellte er zufrieden fest, dass es keinen Grund zur Klage gab. Die Internatsschüler hatten bei der Renovierung alle kräftig mit angepackt, so dass die Arbeiten im Frühling abgeschlossen werden konnten. Im Haus war nun Platz für acht Schüler.

      Sein Blick wanderte über die großen Fenster in der Dachschräge. Noch gab es da oben keine Zimmer, doch wenn die Schule weiterhin so ausgezeichnet lief, konnte es nötig werden, das Dachgeschoss auszubauen.

      Aber nicht nur am Gesindehaus, auch am Haupthaus des alten Landsitzes war an- und umgebaut worden. Der Platz hatte hinten und vorne nicht mehr gereicht. Auf den Ostflügel war ein zweites Stockwerk gesetzt worden und der Hof mit dem Ausgang zum Garten wurde überdacht und zu einem geräumigen, neuen Speisesaal umfunktioniert. Die Regelung, dass wegen des zu geringen Platzes im bisherigen Speisezimmer in zwei Durchgängen gegessen werden musste, war damit Geschichte. Kareem, der Küchenchef, hatte seine Erleichterung darüber mit einem Festessen zur Einweihung des Speisesaals kundgetan.

      Tanyel schmunzelte, als er sich erinnerte, wie dieser koch­begeisterte Junge vor acht Jahren ans Internat gekommen war. Still und gänzlich unbeabsichtigt hatte er nach einer Woche begonnen sich die Küche zu erobern, die bis dahin Tanyels Reich gewesen war. Und der damals erst fünfzehnjährige Kareem hatte sich nicht nur aufs Kochen


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