Der Wald der verlorenen Schatten. Danbi Eo

Der Wald der verlorenen Schatten - Danbi Eo


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      Danbi Eo

      Der Wald der verlorenen Schatten

      Roman

      Aus dem Koreanischen von

      Hyuk-Sook Kim und Manfred Selzer

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      Originalausgabe image ECLIPSE By DanbiEo Copyright © Danbi Eo & Allthatstory Co., Ltd, 2018 All Rights Reserved.

      First published in Korea by CABINET, an imprint of Allthatstory Co., Ltd.,

      Seoul, Korea

      This German edition is published by arrangement with by CABINET, an imprint of Allthatstory Co., Ltd. through KL Management, Seoul Korea

      Das eBook einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Der Nutzer verpflichtet sich, die Urheberrechte anzuerkennen und einzuhalten.

      1. eBook-Ausgabe 2020

      Copyright der deutschen Ausgabe

      © 2020 Golkonda in der Europa Verlage GmbH München

      Umschlaggestaltung: Hauptmann & Kompanie Werbeagentur, Zürich

      Übersetzung: Hyuk-Sook Kim und Manfred Selzer

      Redaktion: Franz Leipold

      Layout & Satz: Danai Afrati, München

      Konvertierung: Bookwire

      ePub-ISBN: 978-3-96509-040-8

      Alle Rechte vorbehalten.

       www.golkonda-verlag.de

      INHALT

       1. Hyoju

       2. Das Dorf Dogi

       3. Der silberne Schatten

       4. Kun

       5. Geisterflammen

       6. Die Yashi feiert ihre Hochzeit

       7. Mondfinsternis

       8. Todsicher trat der Morgen ein

       9. Muyeong

       Die Autorin

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      1. KAPITEL

      HYOJU

      Es lag wohl am schwülwarmen Wetter dieses Frühsommertages, jedenfalls bildete sich sofort Kondenswasser an der Soju-Flasche, die frisch aus dem Kühlschrank kam. Ich saß unter dem großen Sonnenschirm eines 24-Stunden-Ladens und betrachtete gedankenverloren die winzigen Wassertröpfchen, die von der Flasche auf den Tisch perlten. Langsam schenkte ich den koreanischen Schnaps in einen Pappbecher ein, den ich gratis zur Flasche Soju erhalten hatte. Er verlor bereits seine Form und erfüllte seine Funktion nur noch halbwegs, obwohl ich ihn erst zum dritten Mal füllte. Ich trank den Becher in einem Zug leer. Lauwarm schmeckte der Alkohol besonders süß. Ich biss in das dreieckige Gimbap, getrockneter Purpurtang mit einer Reisfüllung, aber das stellte sich als nicht so einfach heraus, weil der Reis zu einer festen Masse zusammengeklebt war. Ich kaute geräuschvoll. Auf der Packung stand »Gimbap mit mariniertem Rindfleisch«, aber es war mehr Rettich drin als Fleisch. Ich fühlte mich über den Tisch gezogen und dachte, dass mir dieses Gefühl erspart geblieben wäre, wenn auf der Packung »Gimbap mit Rettich« gestanden hätte.

      Ich wedelte mit einer Hand in der Luft herum, um die Tauben zu verscheuchen, die sich um den riesigen Sonnenschirm versammelten, und füllte den Pappbecher mit dem Rest der Flasche. Dann lehnte ich mich in dem Plastikstuhl zurück, schlug die Beine übereinander und schaute mich um. Im Park waren viele Berufstätige, die sich nach dem Mittagessen einen kleinen Spaziergang gönnten. Zu dieser Zeit war der 24-Stunden-Laden nicht unbedingt ein geeigneter Ort, an dem eine junge Frau bereits am Mittag allein Soju trinken sollte, aber darauf Rücksicht zu nehmen konnte ich mir in meiner jetzigen Situation und in meinem momentanen mentalen und körperlichen Zustand nicht leisten. Mir fiel ein dunkelroter Fleck auf meiner Anzughose auf; gleichzeitig nahm ich wieder den Geruch von Blut wahr, den ich dank des Alkoholaromas wie auf magische Weise kurz vergessen hatte. Der Blutgeruch stieg aus dem Inneren meiner Nase auf, und mir wurde übel. Ich schob das Stück Taschentuch, das ich mir in die Nase gesteckt hatte, noch etwas tiefer hinein.

      Ausgerechnet in dem Moment, als der Job-Interviewer meinte, ich könne zum Schluss ergänzend noch etwas sagen, wenn ich möchte, kam Blut aus meiner Nase geschossen, und ich blieb stumm. Das Blut floss, als hätte man einen Wasserhahn aufgedreht. Der Interviewer erschrak heftiger als ich selbst und erhob sich. Eilig kam er mit ein paar Taschentüchern zurück, überreichte sie mir und vermied sogar Blickkontakt aus Rücksicht auf meine Verlegenheit. Doch das Blut aus meiner Nase, so undankbar war ich, spritzte sogar auf sein weißes Hemd. Fast wie Ketchup, der unerwartet mit einem Plopp aus der fast leeren Plastikflasche herausschießt, wenn man sie schüttelte und drückte. Der Interviewer sagte zwar, es sei kein Problem, aber seinem Gesichtsausdruck nach stimmte es sicher nicht. Schließlich verließ ich fluchtartig den Raum, in dem das Bewerbungsgespräch stattgefunden hatte, und hinterließ dort als einzigen bleibenden Eindruck Blutflecken auf dem Teppichboden.

      Bei jedem Schritt gaben die Absätze meiner alten Schuhe ein metallisches Klacken von sich, das absolut nervtötend war. Also zog ich die Schuhe aus. Die Absätze waren abgetragen, und die Nägel schauten heraus. Hätte ich gewusst, was für eine Blamage mich heute beim Bewerbungsgespräch erwartete, hätte ich mit dem Fahrgeld hierher lieber die Absätze meiner Schuhe erneuern lassen.

      Nasenbluten, mein Gott, sozusagen kurz vor dem erfolgreichen Abschluss eines Bewerbungsgesprächs … dabei hatte ich diesmal so ein gutes Gefühl gehabt!

      In den letzten zwei Monaten blutete ich öfter aus der Nase, völlig unabhängig von Ort und Zeit und mitunter so heftig, dass mir schwindlig wurde. Es geschah meist wie bei einem Dammbruch ohne Vorwarnung. Wenn die Blutung einmal angefangen hatte, konnte sie eine oder zwei Stunden lang andauern, und danach waren ich und meine Umgebung wie in Blut getaucht. Ich war deswegen auch zum Arzt gegangen und hatte mich untersuchen lassen, aber er konnte keine Anomalie feststellen. Er sagte nur, dass mein Nasenbluten mit einem geschwächten Immunsystem zusammenhängen könne; deshalb solle ich darauf achten, keinen Stress zu haben. Außerdem solle ich mich um die Nasenschleimhaut kümmern, damit sie nicht zu trocken werde. Wie es der Arzt empfohlen hatte, schlief ich eine Weile mit einer feuchten Mundmaske und hing ein nasses Handtuch im Zimmer auf, doch die Besserung blieb aus. Eigentlich war auch nichts anderes zu erwarten gewesen.


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