Der Wald der verlorenen Schatten. Danbi Eo
hatte. Beide hatten mich wegen meines krankhaften Liebesbedürfnisses verlassen. Aber Dongwoo war für mich ein ganz besonderer Mensch. Mit ihm hatte ich mir zum ersten Mal im Leben eine Zukunft ausgemalt, die zwar noch vage war, aber schon bald hätte Realität werden können. Die Zeit, in der mir eine wunderschöne Zukunft möglich schien, war jedoch nur kurz und löste sich am Ende auf wie ein Luftschloss; und die Liebe ging zu Ende, als ob in meinem Leben nichts anderes mehr für mich vorgesehen wäre.
Die Zeit direkt nach der Trennung war entsetzlich. Mir war heiß, als ob ich in Brand gesteckt worden wäre. Endlose Gedanken kamen hoch, quälten mich und raubten mir vollkommen den Schlaf. Die emotionalen Höhen und Tiefen ließen mich sogar ernsthaft befürchten, dass ich allmählich verrückt würde, wenn das so weitergehen sollte. Den ganzen Tag hämmerte mein so Herz heftig, dass ich nicht normal atmen konnte. Unter diesen Umständen war es nur eine Frage der Zeit, bis ich auch in der Arbeit kleinere und größere Fehler machte, und ich musste dafür böse Blicke meiner Vorgesetzten, Frau Cha, ertragen. Jene Tage dauerten an, und schließlich passierte es: Ein Fahrgast, der sich in der Fahrtroute geirrt hatte und mit dem falschen Bus gefahren war, veranstaltete einen Tumult. Er fluchte lauthals über mich, gebrauchte entsetzliche Worte, die ich selbst niemals in den Mund genommen hätte. Wie ein Nashorn drückte er seinen Kopf gegen die Acrylscheibe des Schalters, schob eine Hand durch die Schalteröffnung und packte mich am Kragen. Ich wurde von ihm hin und her geschüttelt, und seine endlosen Flüche prasselten ohne Unterlass auf mich nieder. Um uns herum bildete sich eine Traube aus Schaulustigen; sie standen da wie Mannequins, den Blick auf uns gerichtet, raunten und flüsterten sich Worte zu. Mein Herz schlug so erbarmungslos, als ob es gleich ausbrennen würde. Die Umgebungsgeräusche verschwanden, in meinem Kopf verspürte ich nur noch ein scharfes Ohrensausen. In dem Moment, als mein Bewusstsein langsam schwand, befreite ich mich, trat ein paar Schritte zurück, streckte meine Hand nach dem Mülleimer aus, der neben mir stand, hob ihn hoch und schleuderte ihn mit aller Kraft gegen den Mann. Mit einem lauten Krachen fiel der Mülleimer auf meinen Schreibtisch. Ich hatte den Mülleimer exakt dorthin geschleudert, wo der Mann stand, aber ich verletzte ihn nicht, sondern zerstörte nur die gläserne Auflage meines Schreibtisches, auf die der Mülleimer fiel, nachdem er von der Acrylscheibe abgeprallt war.
Ich hatte doch mit dem Mülleimer den Mann getroffen! Auch wenn zwischen ihm und mir die Acrylscheibe war, musste ich den Mann doch genau getroffen haben! Doch er war unverletzt und starrte mich bloß mit offenem Mund an. Im Warteraum des Busbahnhofs hallte mein heftiges Keuchen wider. Immer wenn sich meine Brust mit heißem Atem füllte, nahm das scharfe Ohrensausen zu, wurde lauter und brachte meinen Kopf zum Dröhnen. Ich hörte das Raunen der Menschen, die mich beobachteten, nicht mehr. In diesem Augenblick traf mein Blick den von Dongwoo, der hinter dem Mann stand und mich fixierte. Sein erstarrter Blick, in dem weder Mitgefühl noch Bedauern und auch kein Erstaunen zu erkennen war, war einzig und allein auf mich gerichtet. In diesem Moment wurde vor mir alles schwarz, und Sekunden später begann meine Nase, heftig zu bluten. Wie ein Wasserfall strömte das Blut heraus; als ich das wahrnahm, verlor ich sogleich das Bewusstsein.
Nach diesem Vorfall wurde ich gefeuert. Wegen Unhöflichkeit. Allerdings wusste ich bis heute nicht, wer wem gegenüber unhöflich gewesen sein sollte.
Ich zog meine Schuhe, die ich ausgezogen hatte, wieder an. Dann leerte ich den Pappbecher mit dem Rest Soju und erhob mich aus dem Plastikstuhl. All die Menschen, die noch zahlreicher geworden waren, und die Tauben, die sich um den Riesensonnenschirm versammelten, brachten mich in Verlegenheit. Ich konnte nicht länger hier sitzen bleiben. Der Boden bewegte sich unter meinen Füßen. Vielleicht hatte ich das lauwarme Soju zu hastig getrunken. Das metallische Klacken bei meinen torkelnden Schritten nervte mich. Die Platanen im Park wiegten sich langsam im schwülen hochsommerlichen Wind. Ich bildete mir ein, dass alle Menschen, die hier auf Bänken saßen und gelassen eine Tasse Kaffee genossen, nur auf meine Schuhe schauten, die das metallische Geräusch verursachten. Bei jedem Klicken wurde ich rot, dennoch senkte ich nicht meinen Kopf. Ich verließ den Park. Die starke Hitze brachte die Luft über der vierspurigen Fahrbahn zum Flimmern. Autos, die auf Grün warteten, bewegten sich langsam und mit gedämpftem Motorengeräusch voran. Ich begann, ohne Ziel loszulaufen.
Vor den Hochhäusern auf beiden Seiten der Straße herrschte reger Verkehr. Menschen gingen hinein, andere kamen her aus. Menschen, die ein Getränk in der Hand hielten, betraten ein Gebäude; Menschen, die einen großen Briefumschlag in der Hand hielten, kamen aus einem Hochhaus heraus. Durch die Fenster eines Gebäudes sah ich Computer auf den Schreibtischen. Weiße Hemden, helle Anzüge. Alle sahen blendend aus, nur ich hatte Schuhe an, die Metallgeräusche von sich gaben, und lief so durch die Straßen.
Ich fuhr mit dem Bus und stieg in der Nähe meiner Wohnung aus. Die Sonne, die gerade noch erbarmungslos geschienen hatte, versank allmählich hinter dem Horizont. Ich stand auf dem Asphalt, der die Hitze des Tages in sich gespeichert hatte, und schaute zum violetten Himmel hinauf. Dabei kam ich mir wie eine Spielzeugfigur in einer Schneekugel vor. Eine Spielzeugfigur, die stets auf ihrem Platz bleibt, wie sehr sie sich auch bewegen mag.
Ich überquerte den kurzen Zebrastreifen. »Ich muss nur bis zur Ecke laufen, dann bin ich praktisch zu Hause«, dachte ich und mit diesem Gedanken zog ich meine unbequemen Schuhe aus und trug sie in der Hand. Meine Zehen, die fest zusammengedrückt worden waren, genossen die plötzliche Freiheit und fühlten sich wesentlich wohler. Ich hatte nur noch ein paar Schritte bis zur Wohnung, da stach mir der Briefkasten ins Auge, der zum Platzen mit Postsendungen gefüllt war. Es schien mehr geworden zu sein, seitdem ich am Morgen aus dem Haus gegangen war. Ich nahm die gesamten Postsendungen heraus, die kurz davor waren, aus dem Schlitz zu quellen. »Was bringt es, diese Rechnungen in die Wohnung mitzunehmen, wenn ich sie ohnehin nicht bezahlen kann«, dachte ich zwar, aber der Briefträger würde sonst weitere Rechnungen schlichtweg auf den Briefkasten legen, wenn ich ihn nicht endlich leeren würde. Obwohl ich in den Händen bloß Rechnungen und ein Paar Schuhe trug, aus deren Absätzen die Nagelköpfe herausschauten, fühlten sich meine Arme immer schwerer an, während ich langsam die Treppen zur Wohnung hochstieg.
In der Wohnung brannte kein Licht. Es war auch keine Wärme vorhanden. Obwohl sich die Wohnung noch nicht von der tagsüber eingedrungenen Hitze abgekühlt hatte, herrschte in allen Ecken des Raums eine unverkennbare Kühle, die typisch für eine Wohnung war, in der jemand allein lebte. Ich legte die Post auf den Esstisch, zog den verschwitzten Hosenanzug aus und ging unter die Dusche. Als ich aus dem Bad kam, drang ein Windstoß durch das halb geöffnete Fenster herein. Auch heute würde todsicher der Abend eintreten. Das nasse Haar mit der Hand rubbelnd, setzte ich mich auf den Stuhl am Esstisch. Mein Blick fiel auf die ungeöffneten Rechnungen, gleichzeitig hatte machte sich ein drückendes Gefühl im Brustbereich breit. Wenn ich die Rechnungen bis zum nächsten Monat nicht begleichen konnte, würde ich die letzte Mahnung erhalten und in fettgedruckter roter Schrift lesen: Ab sofort stellen wir die Lieferung von Strom, Gas und Wasser ein.
Aus dem Kühlschrank holte ich eine Flasche Soju und füllte damit ein Wasserglas voll. Es war so groß, dass genau die Hälfte der Flasche hineinpasste. Davon nahm ich einen großen Schluck, und bevor der Alkoholgeschmack vollständig aus dem Mund verschwunden war, gönnte ich mir einen weiteren Schluck Soju. In der Magengrube fühlte ich deshalb stechende Schmerzen, aber das kümmerte mich kaum. Nachdem ich den letzten großen Schluck genommen und damit das Glas vollständig geleert hatte, begann mein Kopf dumpf zu kreisen, und das Ohrensausen begann.
Die Decke fing an, sich langsam zu bewegen. Ich stand vom Stuhl auf und fiel kraftlos ins Bett. Mit trockenen Augen schaute ich zu der sich drehenden Decke hinauf. Ich horchte auf meinen lauten Herzschlag, der nicht von meinem Herzen zu stammen schien. Ich war betrunken. Dennoch konnte ich nicht einschlafen. Meine Finger suchten mein Handy und drückten wie selbstverständlich Dongwoos Nummer.
Tatsächlich hatte ich ihn nach der Trennung ein paar Mal angerufen. Einmal als der Morgen dämmerte, ich völlig betrunken war und einfach nicht einschlafen konnte; ein anderes Mal vor seiner Wohnung; und noch einmal, woran ich mich allerdings nicht erinnern konnte, zumindest tauchte seine Telefonnummer in der Liste der ausgehenden Anrufe auf. Nie wieder, nie wieder. Nach dem Anruf bereute ich es jedes Mal zutiefst und schwor, ihn nie wieder anzurufen. Aber diesen Schwur brach ich stets aufs Neue. Es klingelte sieben Mal, bis Dongwoo sich meldete. Hatte er es sich siebenmal