Der Wald der verlorenen Schatten. Danbi Eo
wurde kräftig an der Tür geklopft, und die Stimme meldete sich erneut: »Frau Seo.« Das wiederholte sich mehrmals, aber ich erwiderte nichts. Die Person, die mich um diese Zeit aufsuchen wollte, konnte nur die Vermieterin sein. Endlich wurde es still vor der Tür, und ich hörte, dass jemand die Treppen hochstieg. Erst danach atmete ich wieder aus, nachdem ich lange die Luft angehalten hatte.
Ich konnte die Miete für diesen Monat nicht bezahlen. Eine glaubwürdige Ausrede hatte ich mir noch nicht einfallen lassen. Wenigstens hätte ich den Mülleimer nicht geworfen, wenn ich gewusst hätte, dass ich mich dann in dieser Lage befinden würde. Dann wäre es auch nicht nötig gewesen, mich wie eine Maus zu verhalten, die sich in einem Loch versteckt, um sich vor der Katze zu retten. Ich lief auf Zehenspitzen, weil die Vermieterin möglicherweise noch vor der Tür stand und horchte, ob ich nicht doch zu Hause sei. Ich setzte mich auf den Bettrand und schaute zum Fenster hinaus.
Als ich gekündigt worden war, hatte ich gedacht, dass es so besser sei. Denn ich war nicht stark genug, Dongwoo jeden Tag zu begegnen, der immer um dieselbe Zeit im Warteraum des Busbahnhofs auftauchte; außerdem konnte ich auch keine Sekunde mehr ertragen, wie meine Vorgesetzte mich hemmungslos kritisierte, wenn ich irgendeinen Fehler gemacht hatte. Ich war der Meinung, dass ich Dongwoo vergessen könnte, wenn ich ihn nicht mehr jeden Tag sah, und ich hoffte auch, schnell wieder eine neue Arbeitsstelle zu finden. Ich könnte mit dem Arbeitslosengeld ein paar Monate mehr oder weniger problemlos überbrücken, bis ich einen neuen Job antreten würde. Alles ließe sich ohne große Schwierigkeiten lösen, dachte ich. Aber die Realität belehrte mich eines Besseren. Da ich Dongwoo nicht mehr sehen konnte, verlangte mein Herz umso mehr nach ihm, und ich machte mich endlos lächerlich vor ihm. Und das Arbeitslosengeld durfte ich nicht einmal beantragen, weil die Kündigung eigenverschuldet war. Was eine neue Arbeitsstelle betraf, so musste ich leidvoll feststellen, dass es ganz und gar keine so leichte Angelegenheit war, wie ich es mir vorgestellte hatte. Es war fast unmöglich, denn ich wurde äußerst selten zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen. Und wenn ich endlich mal eine Einladung bekam, wurde sie durch Nasenbluten vermasselt, gegen das ich zwei- bis dreimal pro Woche zu kämpfen hatte. Ein Monat verging und dann noch ein Monat, und ich wurde immer weiter in die Ecke getrieben. Ich musste mir eingestehen, dass ich zu nichts in der Lage war, und die Enttäuschung über meine Unfähigkeit und die damit einhergehende Selbstverachtung wuchsen immer weiter an.
Auf einmal wurde mir ein bisschen schwindlig, und fast gleichzeitig fiel ein blutiger Klumpen auf das Bett. Ein glitschiges Stück Blut. Rasch richtete ich den Kopf nach unten, hielt mir mit einer Hand die Nase zu und stand vom Bett auf. Dann drückte ich mir das weiße Handtuch, das über dem Stuhl am Esstisch hing, gegen die Nase. Es wurde schnell rot. Wegen des starken Nasenblutens wurde mir noch schwindliger, und der Kater rief Schüttelfrost hervor. Als das Bluten nachließ, stopfte ich den Fetzen eines Papiertaschentuchs in die Nase und legte mich zusammengerollt ins Bett. Erschöpft schloss ich die Augen, atmete durch den Mund tief ein und aus. Das Zimmer drehte sich.
Als ich wieder aufwachte, bildete das Licht der orangefarbenen Straßenlaterne einen länglichen Streifen in meinem Zimmer. Das bedeutete, dass ich einen halben Tag lang ohnmächtig gewesen war. Das Kopfkissen hatte durch das getrocknete Blut dunkelrote Flecken. Ich zog den Kopfkissenbezug ab, warf ihn in den Wäschekorb, ging zum Kühlschrank und öffnete ihn. Entgegen meiner Überzeugung, dass noch Mineralwasser vorrätig sein müsste, war im Kühlschrank weder Wasser noch irgendetwas Essbares zu finden. Mein Magen knurrte laut, und bei jedem Knurren spürte ich einen stechenden Schmerz im Bauch. Mein Geldbeutel war diesen Monat längst leer. Ich öffnete mein Sparschwein. In seinem Bauch fanden sich 84.680 Won, gerade genug, um sich ein bis zwei Wochen mit Lebensmitteln zu versorgen. Ich nahm nur die Tausender heraus, steckte sie in meine Hosentasche, schlich ganz leise aus der Wohnung und ging zum 24-Stunden-Laden in der Nähe meiner Wohnung. Ich kaufte eine 1,5-Liter-Flasche Mineralwasser und ein dreieckiges Gimbap und verließ den Laden wieder. Die Plastiktüte, in der sich mein Einkauf befand, hörte sich genauso leer an wie mein Magen. Die Gasse war erfüllt von allerlei Gerüchen, die von der Zubereitung des Abendessens in den verschiedenen Häusern herrührten. Aus einer Tüte mit frittierten Hähnchen, die ein neben mir laufender Mann trug, stieg der Duft von Pfeffer auf, und aus dem Fenster eines Einfamilienhauses wehte mir der Geruch von Fisch entgegen, der in einer Pfanne gebraten wurde. Länger als zehn Jahre wohnte ich hier, aber mein Herz litt immer noch, wenn ich um diese Zeit, zu der man normalerweise das Abendessen zubereitete, durch die Gasse lief und Essen roch.
Als ich noch im Waisenhaus lebte, tobte ich mit den Nachbarskindern manchmal bis zum frühen Abend auf dem Spielplatz herum. An solchen Tagen kam eine Mutter nach der anderen zum Spielplatz, um ihr Kind abzuholen. Es gab Kinder, die ihren Müttern zuwinkten, wenn sie sie sahen, und zu ihnen rannten, während andere sich weigerten, nach Hause zu gehen, weil sie weiterspielen wollten. Einige bekamen deshalb von ihrer Mutter einen Klaps auf den Po, aber niemand, absolut niemand holte mich ab. Ich blieb immer bis zuletzt auf dem Spielplatz. Und sobald ich dann ganz allein auf der Schaukel saß, wurde der Spielplatz von einem Moment auf den anderen mit dem Duft vieler verschiedener Abendessen überzogen. Auf dem Weg zurück zum Waisenhaus stellte ich mir vor, wie ich in eines der Häuser hineinging, aus dem das warme Licht in die Gasse strahlte und der verführerische Geruch von gebratenem Fisch herausströmte.
Das leise Geräusch der Plastiktüte hallte im Treppenhaus wider. Ich drückte hastig die Geheimnummer meiner Wohnungstür, um meiner Vermieterin nicht zu begegnen, aber sie kam schon die Treppen hinunter.
»Frau Seo.«
»Hallo, wie geht’s Ihnen«, grüßte ich sie möglichst unauffällig und in total unschuldigem Tonfall.
»Die Miete ist noch nicht eingegangen.«
»Oh, das stimmt. Tut mir leid, das habe ich vergessen«, sagte ich frivol und geschickt. Meine Vermieterin schien mir zu glauben.
»Ach ja, dann bitte ich Sie, das bis morgen zu erledigen.«
»Alles klar.«
Ich sah, wie die Vermieterin die Treppe zu ihrer Wohnung hinaufstieg, und betrat meine eigene. Ich trank das Wasser, das ich gekauft hatte, und nahm das Gimbap aus der Plastikverpackung. Seit Kurzem gab es zu meinen Mahlzeiten das Essen, das ich im 24-Stunden-Laden kaufte. Damit hatte ich aus der Idee heraus angefangen, dass ich bei meinem momentanen Lebensunterhalt möglichst sparsam sein sollte. Mit der Zeit stellte ich jedoch fest, dass es aus verschiedenen Gründen sehr bequem war, sich so zu ernähren, da beispielsweise kein Abwasch anfiel. Dennoch hatte ich irgendwie Mitleid mit mir, weil das dreieckige Gimbap, das ich in der Hand hielt, mir meine reale Lage noch deutlicher vor Augen führte, die langsam ins Extreme abdriftete.
Mittlerweile steckte ich vollständig im Schlamassel. Naja, vielleicht hatte ich von Anfang an daringesteckt. Ich holte die Flasche Soju, die von gestern noch übrig geblieben war, und füllte damit ein Glas. Auf dem Esstisch waren eine 1,5-Liter-Flasche Mineralwasser, die Plastikverpackung vom Gimbap sowie die ungeöffneten Rechnungen chaotisch verteilt – ein Bild, symbolisch für meinen ungerechtfertigten Stolz.
Ungerechtfertigter Stolz. Für die Verwendung des Wortes »ungerechtfertigt« war hier genau der richtige Ort. Ich wollte meinen Stolz bewahren, obwohl ich im wahrsten Sinne des Wortes am Boden lag. Ich war sprachlos. Der Stolz war doch von Anfang an das Eigentum reicher Menschen; keine Ahnung, was die alte Frau mir hinterlassen hatte, aber wenn sie mir etwas geben wollte, gab es keinen vernünftigen Grund, dieses Erbe einfach abzulehnen. Und die Rolle der Haupttrauernden konnte ich bestimmt auch spielen. Haupttrauernde, was soll’s. Der Stolz, den man sich im Schlamassel bewahrt, konnte nur weiter von Schlamassel bedeckt bleiben. Wenn es hieß, dass man Stolz nicht habe, wenn man ihn haben will, und dass man ihn habe, wenn man ihn ablege, dann sollte ich ihn ablegen – das wäre das Richtige, dachte ich.
Ich leerte das Glas, in das die halbe Flasche Soju eingeschenkt war, in ein paar Schlucken aus und steckte den Rest des Gimbaps in den Mund. Na gut, dachte ich, dann fahr ich einfach mal hin in das Dorf meiner Großmutter. Eigentlich sprach nichts dagegen.
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