Die geprellten Verschwörer. W. E. Norris
„Natürlich würde es sich nicht lohnen,“ sagte ihre Gefährtin lebhaft. „Ich begreife überhaupt nicht, dass du es überhaupt der Mühe wert findest, Männer zu erobern, die dir gleichgültig sind. Die Aufgabe kann doch für dich keine angenehme sein, und von deiner Fähigkeit dazu brauchst du die Leute ja nicht erst zu überzeugen.“
„Ach, die Aufgabe ist gar nicht so unangenehm als du meinst,“ erwiderte Lady Belvoir lachend, „und was Lord Guise betrifft, so traut er nur eben nicht zu, dass ich ihn erobern könnte, wenn ich wollte. Das ist’s ja gerade!“
„Und willst du dir wirklich die Mühe geben, ihn eines Besseren zu belehren?“ fragte Fräulein Leslie mit einem wegwerfenden Blick.
Dorothea Leslie war achtzehn Jahre alt und nach London gekommen, um an einem der ersten Empfangstage des Jahres der Königin vorgestellt und in die Gesellschaft eingeführt zu werden, soweit diese sich willig zeigen würde, ihre Pforten einem Mädchen zu öffnen, das nicht eben viele einflussreiche Bekanntschaften besass. Ob Lady Belvoir zu diesen gezählt werden sollte oder nicht, darüber war Frau Leslie einigermassen im Zweifel, und die grosse Vertraulichkeit, die zwischen ihrem Töchterchen und der gefeierten Weltdame, deren Witwensitz in der Nähe ihres nordischen Heims lag, entstanden war, erfreute sich nicht ihrer vollen Billigung. Dorothea aber war sehr geneigt, sich ihr Urteil selbst zu bilden und ihre Freunde allein zu wählen, und sie hatte Lady Belvoir lieb, obwohl äusserst wenig innere Verwandtschaft zwischen ihnen bestand. Wichtiger für ihren Verkehr war vielleicht, dass Lady Belvoir Dorothea gern hatte. Die schöne Frau mag ja auch ihre guten Eigenschaften gehabt haben — wenn sie auch für den beschränkten männlichen Unterthanenverstand nicht zu entdecken waren, können sie dennoch vorhanden gewesen sein, wie sie bei den meisten Leuten vorhanden sind — und man kann gestehen, dass Frische, Ehrlichkeit, unverbrüchlicher Glaube an die Lehren der Kirche ihr anziehend waren, weil sie dadurch an die Zeiten erinnert wurde, da sie selbst noch so unverdorben und schlichten Sinnes gewesen war. Wie dem auch sein mochte, sie hatte sich das junge Mädchen zur Freundin erlesen, und es wäre unschön und unritterlich, dabei hervorzuheben, dass Dorothea nicht hübsch genug war, um ihr gefährlich zu werden.
Der Massstab für Frauenschönheit scheint so veränderlich zu sein, wie der Geschmack in Hunderassen, so dass es von einem Jahr zum andern unmöglich zu sagen ist, was den Preis gewinnen wird; aber selbst gerade jetzt, wo man Unregelmässigkeit der Züge als Reiz ansieht, würden nur wenige uneingeschränkt versichern, dass Dorothea Leslie ein hübsches Mädchen sei. Andrerseits gab es aber eine Menge Leute, die sie sehr bewunderten, und jedenfalls waren ihre stahlgrauen Augen solcher Anerkennung würdig und ihr dunkles Haar reich und schön. Ausserdem besass sie eine hübsche, zierliche Gestalt und eine auffallend angenehme Stimme.
„Ach, ich weiss nicht,“ erwiderte Lady Belvoir auf ihre Frage, „wahrscheinlich thue ich es nicht. Ich kenne ihn jetzt schon geraume Zeit und habe mir nie die Mühe genommen, nur bin ich im Augenblick etwas gereizt gegen ihn, weil er sich einbildet, an der Lösung meiner Brautschaft mit Percy Thorold schuld zu sein, und ganz gewiss jedem, der ihn danach fragt, solche Andeutungen macht.“
„Hatte er denn wirklich etwas damit zu schaffen?“ fragte Fräulein Leslie nach einer Weile.
„Keine Rede! Er that, natürlich aus Liebe zu Percy, sein Möglichstes, mich zu überzeugen, dass ich auf einem Irrweg begriffen sei, was ich aber ohne seine Mitwirkung längst entdeckt hatte. Es gab eine Zeit,“ setzte Lady Belvoir mit einem erinnerungsreichen Gähnen hinzu, „da war ich ernstlich in Percy verliebt. Er war um ein gutes jünger damals, und ich war blutjung, eigentlich das halbe Kind. Ich erinnere mich, dass ich ihm einmal so ganz im allgemeinen das Versprechen gab, ihn zu heiraten. Nun, dann kam es anders, ich nahm den armen Belvoir, und Percy war, gleich vielen andern, entsetzt darüber. Erst als ich wieder frei geworden war, sah ich ihn wieder, und er kehrte zu mir zurück; seine Treue rührte mein Herz, und ehe ich recht wusste, wie mir geschah, waren wir verlobt. Es hätte niemals gut ausfallen können; er ist ein guter Kerl, aber er hat altmodische Ideen und steckt bis über die Ohren in der Politik, die mich rasend langweilt. Ueberdies fand meine Art und Weise des Gesprächs keine Gnade vor seinen Ohren, und er ging so weit, mir seine Missbilligung auszusprechen, was unausstehlich war. Als ich ihm dann sagte, dass ich genug an ihm habe, stellte er sich an, als ob es ihm sehr nahe ginge; in Wahrheit war er aber gerade so vergnügt über seine Freilassung wie ich, und wir sind jetzt recht gute Freunde. Ich glaube, er würde dir gefallen, denn er ist furchtbar gescheit und sieht das Leben ernsthaft an wie du, auch wird er jedenfalls noch Minister oder so etwas, ehe er stirbt. Du musst einmal zu Tisch kommen, wenn ich ihn einlade, willst du?“
„Es würde mir sogar grosse Freude machen,“ erwiderte Dorothea. „Aber — verkehrt er denn noch bei dir?“
„Wenn ich ihn einlade, sicher, und weshalb denn nicht? Du weisst ja, er ist mein Vetter, und wie ich dir eben sagte, sind wir die besten Freunde. Uebrigens wäre es auch höchst lächerlich, wenn wir allen Männern, die wir abschütteln mussten, gestatteten, uns zu schneiden.“
Perey Thorold hatte nie die Absicht gehabt, seine Cousine zu „schneiden“, und ihr Ausspruch, dass ihm die wieder gewonnene Freiheit so willkommen gewesen sei, wie ihr, kam der Wahrheit ziemlich nahe, während die andre Versicherung, dass er und sie die besten Freunde seien, minder richtig war. Dafür hatte sie ihn denn doch ein wenig zu schlecht behandelt, und wenn er sie auch jetzt nicht mehr liebte, so hatte er sie doch manch ein Jahr geliebt. Dass er über Bord geworfen worden war, schmerzte ihn zwar nicht mehr; deshalb hegte er aber doch grimmen Groll gegen die Hand, die es gethan hatte, wie überhaupt kein Mann der Frau, die seinen Glauben an das Weib im allgemeinen zerstört hat, leicht vergeben wird. Trotzdem nahm er ihre Einladung zu Tisch für den folgenden Sonntag an, und zwar hauptsächlich deshalb, weil er nicht wollte, dass sie oder irgend jemand sich einbilde, er brüte tiefsinnig über die erlittene Kränkung.
Dorothea Leslie erhielt die mütterliche Erlaubnis, dieser ungewöhnlichen Gesellschaft beizuwohnen, nicht ohne kleine Schwierigkeiten.
„Ein Diner am Sonntag, das will mir nicht recht gefallen,“ sagte Frau Leslie, die vielleicht nicht zu beurteilen wusste, wie schwierig es für moderne Gesetzgeber ist, ihre Freunde an den Wochenabenden zu sehen. „Und ich finde,“ setzte sie mit etwas mehr Berechtigung hinzu, „Lady Belvoir sollte mich hie und da auch einladen; sie scheint mein Vorhandensein gänzlich zu vergessen.“
Lady Belvoir hatte keineswegs vergessen, dass es eine Leslie gab, aber sie fand, dass sie ein lästiger, langweiliger Gast sei, und es wäre ihr ebensowenig in den Sinn gekommen, eine lästige Person zu ihren kleinen Diners zu bitten, als ihren Gästen ungeniessbare Speisen vorzusetzen. Diese kleinen Diners, die sie seit ihrer Verwitwung zu geben pflegte, waren auf dem besten Wege, berühmt zu werden. Sie hatte einen Koch, der ein Meister seiner Kunst war, sie kannte jedermann, „den zu kennen es der Mühe lohnte“ — ein Satz, der vielleicht zu Missverständnissen führen könnte, für den vorliegenden Zweck aber bezeichnend genug ist — und ohne sich besonders den Kopf zu zerbrechen, verstand sie es immer, Leute zusammenzubringen, die gut zusammenpassten. Percy Thorold zum Beispiel kam mit Dorothea Leslie erstaunlich gut zurecht; er führte sie zu Tisch und erkannte mit Entzücken in ihr ein Mädchen, das noch unberührt war von jenem „Etwas, das die Welt vergiftet“. Die Welt, über die wir so gerne lästern, sobald wir den mittleren Jahren nahe kommen, ist ohne Zweifel genau so, wie wir sie uns denken oder machen. Nach Ansicht dieses aufstrebenden Staatsmannes war sie eine traurige, verfehlte Einrichtung, bewohnt von Millionen Mühseliger und Beladener und beherrscht von ein paar Tausenden, die ihre Macht im ganzen selbstsüchtig und thöricht missbrauchen. Er war konservativ, weil er glaubte, dass die Lage der Dinge noch schlimmer würde, als sie schon ist, wenn der mühselige und beladene Teil die Oberhand gewänne, im Herzen und in der Theorie war er vermutlich durchaus radikal. Die oberen Klassen, wozu er selbst zählte, betrachtete es als beinahe, wenn nicht völlig, verkommen, gestand ihnen ausser Keckheit keine Tugend zu und sah, wenn auch ohne Verlangen, ihrem unvermeidlichen Untergang entgegen. Wahrscheinlich hätte er eine bessere Meinung von der Gesellschaft gehabt, wenn Lady Belvoir eine gute Frau gewesen wäre; aber er hatte es in der Selbstkritik nicht weit genug gebracht, um diesen Umstand zu ahnen.
Für einen solchen Schwarzseher war es natürlich sehr erfrischend, einem