Die geprellten Verschwörer. W. E. Norris
politischen Leben verfolgte und nicht im geringsten an der künftigen Grösse und Herrlichkeit des Vaterlandes verzweifelte.
„Ich finde, dass Sie ganz unrecht thun, so höhnisch und wegwerfend von der Politik zu reden,“ bemerkte sie, nachdem sie ihn veranlasst hatte, ihr ein Stück seiner Lebensauffassung anzuvertrauen, „und ich glaube auch gar nicht, dass es Ihnen ernst damit sei. Wenn Sie wirklich überzeugt wären, dass es Ihrer ganzen Partei und jeder politischen Partei nur um Aemter zu thun sei, und wenn Ihnen selbst wirklich nichts an solchen läge, weshalb würden Sie denn Ihre Zeit im Parlament vergeuden, während Sie sich mit Schiessen, Jagen, Rosenpfropfen oder sonst einem Sport angenehmer und heilsamer beschäftigen könnten?“
„Wahrscheinlich, weil ich Thor genug bin, Ehrgeiz zu haben,“ versetzte er, die Achseln zuckend, „und weil es mir so gut wie andern Narren wohlthut, wenn ich denke, die Leute reden von mir und gaffen mich an.“
„Nein, nicht deshalb, sondern weil Sie hoffen, die Welt ein wenig besser zu hinterlassen, als Sie sie gefunden haben.“
„Ach, so ehrgeizig und so sanguinisch bin ich nicht,“ sagte Thorold lachend. Wie die meisten Engländer schreckte er davor zurück, seinen Handlungen hohe Beweggründe zuzuschreiben oder sogar zuschreiben zu hören, und doch wusste er, dass dieses Mädchens Urteil über ihn wahr und richtig war, und er konnte nicht umhin, das Ahnungsvermögen zu bewundern, womit sie sein mühsam verhülltes Geheimnis erraten hatte. Er fand, dass ihre Ansichten und Neigungen über verschiedene Dinge mit den seinigen zusammentrafen; sie liebte die Musik und das Landleben; was sie von der Londoner Gesellschaft bisher gesehen hatte, machte ihr keinen besondern Eindruck, und sie legte auf das Tanzen nicht mehr Wert, als für ein Mädchen ihres Alters nötig ist. Aus dem allem ergab sich, dass man sich trotz ihres Geschlechts angenehm mit ihr unterhalten konnte, und schliesslich konnte das arme Ding ja gar nichts dafür, dass es nicht als Knabe zur Welt gekommen war. Die übrigen anwesenden Frauen waren Weltdamen und schon als solche zur Zeit für Thorold unleidlich, deshalb sprach er kaum ein Wort mit ihnen und den ganzen Abend fast nur mit Fräulein Leslie, so dass ihn Lady Belvoir, als er sich verabschiedete, mit einem ganz absonderlichen Lächeln und in die Höhe gezogenen Augenbrauen ansah.
„Schon!“ sagte sie.
„Was denn schon?“ fragte er.
„Schon getröstet. Nimm, bitte, keine Rücksicht auf mich, meine Eitelkeit ist gegen Wunden dieser Art gefeit; denn, mein lieber Percy, ich habe nicht den Schatten eines Zweifels, dass ich dich zurückpfeifen könnte, wenn ich nur wollte — was der Himmel verhüte!“
Thorold verbarg seinen Aerger unter einem Lachen, das nicht sehr natürlich klang und seinen Zweck schlecht erfüllte.
„Ich räume dir mit Vergnügen das Recht ein, den Versuch zu machen,“ konnte er sich nicht enthalten zu sagen.
„Danke, ich werde aber keinen Gebrauch von deiner Grossmut machen; denn die Erinnerung an gewisse Moralpredigten ist noch zu frisch in mir. Dorothea Leslie brauchst du nie zu ermahnen; sie ist ein durchaus nettes Mädchen und passt in jeder Hinsicht trefflich zu dir. Es wird mir ein Vergnügen sein, dich nächster Tage, wenn es dir passt, der Mutter vorzustellen, und ich werde von Stunde an mein Taschengeld zusammensparen, damit ich euch ein hübsches Hochzeitsgeschenk machen kann. Gute Nacht.“
Thorold fand es nicht lohnend, ihr zu widersprechen, und ging mit dem behaglichen Bewusstsein weg, jetzt vollständig herzheil zu sein und es auch in Zukunft zu bleiben. Da er Fräulein Leslie folglich ganz leidenschaftslos und gewissermassen väterlich beurteilen konnte, stimmte er mit Lady Belvoir dahin überein, dass sie ein sehr nettes Mädchen sei, und es that ihm wirklich leid, dass er sie wahrscheinlich nie wieder treffen würde.
Drittes Kapitel.
Der kleine Herr Schneider war einer von jenen glücklichen Sterblichen, deren Los der übrigen Menschheit beneidenswert erscheint und wohl so erscheinen darf. Sein Vermögen legte ihm in nichts Schranken auf, er hatte keine Ländereien, keine Verwandten, keine Pflichten, keine Verantwortlichkeit oder Widerwärtigkeiten irgend welcher Art, und dass er keine nennenswerten Vorfahren hatte, ist in unsern Tagen doch nur ein unbedeutendes Missgeschick. Nichtsdestoweniger erging es ihm, wie es neunundneunzig Prozent unsres widerspruchsvollen Geschlechts ergeht: er war nicht zufrieden, und zwar deshalb nicht, weil es ihm trotz seines verschwenderischen Aufwands noch nicht gelungen war, die hauptstädtische Gesellschaft im Sturm zu erobern. Diese That zu vollbringen, war sein glühendes, leidenschaftliches Verlangen, und es lässt sich nicht sagen, ob er irgend einen Preis zu hoch gefunden hätte, um den er sich den Zugang zu jenen innern Kreisen, an deren Grenze er sich mit gierigen, sehnsüchtigen Blicken umtrieb, hätte erkaufen können.
Sein Ehrgeiz war weder erhabener noch verständiger Art, aber er war wenigstens harmlos, wie der ganze Herr Schneider in Wahrheit überhaupt ein sehr harmloser kleiner Mann war, wenn es ihm auch nicht das geringste Vergnügen gemacht hätte, so bezeichnet zu werden. Seiner eignen Ansicht nach war er ein Schwerenöter und trieb es so toll, dass den Leuten Hören und Sehen vergehen musste. Das Tempo, in dem er seine Rosse lenkte, brachte jedenfalls bei den hinter ihm Sitzenden diese Wirkung hervor, das kam aber nur davon her, dass er sie ganz und gar nicht in der Gewalt hatte und mit dem erhabenen Mut gesegnet war, den die Unkenntnis der Gefahr verleiht. Wie er seinen Wagen in und aus dem Park und durch die überfüllten Strassen Londons brachte, ohne sich und seiner Ladung die Hälse zu brechen, bleibt ein ungelöstes Rätsel; vielleicht hätte er auf einer einsamen Landstrasse weniger Glück gehabt. Dass er immer eine Menge Leute fand, die mit Vergnügen an diesen lebensgefährlichen Ausflügen Teil nahmen, zeigt nur, was der unbemittelte Brite wagt, ohne mit der Wimper zu zucken. Bei den Rennen war in letzter Zeit Herrn Schneiders rundes, rosiges Gesicht von allen Anwesenden bemerkt worden, nicht so sehr wegen der Pferde, die er besass und von denen er immer einige „im Training“ hatte, als wegen der ungeheuren Wetten, womit er die Bookmaker je nachdem entzückte und zur Verzweiflung brachte.
Lord Guise in seinem gleichgültigen Cynismus liess ihn an sich kommen, weil er sich einiges Vergnügen davon versprach. Lord Guise schätzte die Londoner Gesellschaft nur so hoch, wie ungefähr jeder das schätzt, was er ohne Mühe haben kann. Er wusste, was viele minder hochgestellte Menschen vor ihm schon entdeckt haben, dass diese Gesellschaft nicht aus besonders angenehmen, begabten oder auch nur wohlerzogenen Einheiten zusammengesetzt ist und dass sie sich von der andrer europäischer Hauptstädte dadurch unterscheidet, dass ein goldner Schlüssel all ihre Pforten aufschliesst. Er selbst legte deshalb gar keinen Wert darauf, eine hervorragende Rolle darin zu spielen, aber er verspürte Lust, des kleinen Schneiders goldnen Hauptschlüssel in all ihre verschiedenen Schlüssellöcher einzupassen, denn es gab wenig Dinge, die ihn so reizten, wie hochgeborne Damen in ihrem Verkehr mit reichen Emporkömmlingen zu beobachten.
„Sagten Sie nicht neulich, dass Sie Lady Belvoir nicht kennen?“ fragte er eines Tages seinen Schützling. „Möchten Sie vielleicht ihre Bekanntschaft machen?“
Das war ungefähr, wie wenn man einen aufstrebenden Künstler fragte, ob er den Präsidenten der königlichen Akademie kennen lernen möchte, oder einen Lieutenant, ob er dem Kommandierenden vorgestellt werden wolle; aber Schneider, der seine Manieren den elegantesten jungen Männern der Zeit abgeguckt hatte, fühlte, dass es seiner unwürdig gewesen wäre, seine Freude zu verraten. Er heftete den Blick auf seine Stiefel, seufzte tief und brummte etliche Worte, von denen nur „sehr angenehm“ zu verstehen war.
„Ach, natürlich, nur wenn Sie Lust dazu haben,“ sagte Lord Guise lachend. „Ich dachte mir nur, Sie würden gern bei der Dame verkehren, weil Sie überhaupt Sinn für Gesellschaften haben. Ueberdies hat sie ihre persönlichen Verdienste. Jemand hat einmal von dieser oder jener Dame gesagt, sie zu kennen, sei ein Stück Erziehung, nun, das passt auch auf Sibyl Belvoir, wenn ich auch nicht behaupten will, dass es gerade die Sorte Erziehung ist, die ich für meinen Sohn aussuchen würde, wenn ich nämlich das Missgeschick hätte, einen Sohn zu besitzen.“
„Ich glaube kaum, dass sie mir Dinge offenbaren wird, die ich noch nicht wüsste,“ bemerkte Herr Schneider, mit Selbstgefühl lächelnd.
„Wahrscheinlich nicht,“ pflichtete Lord Guise ernsthaft bei. „Ich reisse mitunter die Augen auf über