Jakobs Weg. Jörg H. Trauboth

Jakobs Weg - Jörg H. Trauboth


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rel="nofollow" href="#u4d8e4e2a-0fe3-5a4e-957e-015323c3b5ae">Etappe 4 - Puente la Reina – Die Beichte

       Etappe 5 - Estella – Die Schicksalsbrücke

       Etappe 6 - Los Arcos – Der Sohn

       Etappe 7 - Logroño – Die Schuld

       Etappe 8 - Nájera – Die Rose

       Etappe 9 - Santo Domingo de la Calzada – Venusfalle

       Etappe 10 - Belorado – Sternschnuppen

       Etappe 11- Burgos – Offenbarung

       Santiago de Compostela – Sühne

       Kap Finisterre – Versöhnung

       11. Warum dieses Buch?

       12. Erste Hilfe (Kontakte)

       1.

       SÜDLICHES SAUERLAND

       – Jakob

      »Sind wir endlich soweit?«, drang von oben aus dem Fenster die messerscharfe Stimme des Internatsleiters Pater Dr. phil. Johannes Hartmann herab.

      Sergey Michailow fuhr herum. Der Pater, ein schlanker, hochgewachsener Mann Mitte vierzig mit schütterem Haar und, wie man im Kollegium munkelte, ein Kandidat für ein hohes Amt im Vatikan, zeigte dem Hausmeister unmissverständlich an, dass er verschwinden solle, bevor wieder einmal die mysteriösen Besucher in ihren schwarzen Limousinen eintrafen. Sergey legte hastig seine Gartengeräte in die Schubkarre und sah noch prüfend über die nun makellos gereinigte Auffahrt zum Internat. Die mit Pappeln gesäumte Allee endete an einer zwanzigstufigen, breiten Treppe, auf der der Pater jetzt kein einziges Blatt sehen wollte. Sie führte zu der hohen, halbrunden Pforte mit zwei mächtigen Flügeltüren aus schwerem Holz, über denen in großen, goldenen Lettern schon von Weitem Collegium Maria Hilf zu lesen war.

      Maria Hilf.

      Sergey schauderte es jedes Mal, wenn er diese Inschrift las, die jetzt im Abendlicht so warm und einladend leuchtete. Anfangs war er stolz gewesen, Hausmeister an Deutschlands bester Internatsadresse sein zu dürfen und für einen Prachtbau hier im südlichen Sauerland zuständig zu sein, dessen Erbauer offensichtlich auf alles verzichtet hatte, was klein war. Sergey kannte jede Fläche und hielt sie sauber, als wäre das Gebäude seins. Inzwischen aber hasste er jede Ecke, besonders heute. Denn es war wieder das erste Wochenende im Monat, der Jour fixe, zu dem der Doktor, wie das Personal den Internatsleiter Pater Dr. phil. Johannes Hartmann unter der Hand nannte, seine ganz persönlichen Gäste geladen hatte. Nach jedem Jour fixe schwor Sergey sich aufs Neue, die Polizei zu informieren. Aber der Doktor hatte ihn in der Hand. Er umklammerte ihn wie mit einem eisernen Band, aus dem es kein Entrinnen mehr gab. Sergey schaute hasserfüllt zu dem Mann hinauf, der sein Leben zur Hölle gemacht hatte. Dabei hatte damals alles so gut begonnen.

      Zwei Jahre zuvor war er als Russlanddeutscher nach Deutschland gekommen. Er hatte sich die kleine sauerländische Stadt Olpe ausgesucht, weil hier bereits einige andere Deutschrussen aus seiner Heimat wohnten. Über das Arbeitsamt wurde er dem Internat vermittelt. Der Internatsleiter, der sympathische Herr Doktor Hartmann, hatte ihm gesagt, dass er auf so einen wie ihn gewartet habe. Schon nach drei Monaten war die Probezeit bestanden. Sergey erinnerte sich, wie glücklich er gewesen war, obwohl das Gehalt trotz freier Kost und Logis gerade ausreichte, um über die Runden zu kommen und den Eltern im fernen Russland eine kleine monatliche Summe zu schicken. Sergeys großer Traum war es, ein Wochenendhäuschen in der Nähe der Bigge-Talsperre zu besitzen, mit einem kleinen Garten, in dem er Obstbäume und Gemüse anpflanzen wollte. Er würde seine kleine Datscha für eine Frau vorbereiten, von der er hoffte, sie bald hier in der russischen Gemeinde in Olpe zu finden.

      Dann passierte es, was sich in seinem Gedächtnis für immer eingebrannt hatte. Es war wieder einmal der erste Samstag im Monat gewesen, so einer wie heute. Die unheilvollen Gäste, die eine Nacht blieben und von denen es hieß, dass sie nicht die Eltern der Schüler waren, parkten ihre Autos unmittelbar vor dem Internatsgebäude. In einem Wagen sah er durch das weit geöffnete Fenster eine Brieftasche auf dem Fahrersitz liegen, aus der ein dickes Bündel Dollar-Geldscheine herauslugten, nein, sie blickten ihn regelrecht an, als wollten sie ihm sagen: Bei dir bin ich besser aufgehoben. Nimm mich!

      Er erinnerte sich, wie er mit sich gekämpft hatte, als wäre es gerade geschehen. Er, der immer ehrlich, hilfsbereit und verlässlich war, der sich nie etwas zuschulden kommen ließ, der seinen Gott fürchtete und liebte, so wie all die Russlanddeutschen in der örtlichen Freikirche, er verdrängte all dieses angesichts der großen Verlockung, die ihn geradezu magisch anzog. Wie auf einer Leinwand sah er sich vor dem geöffneten Autofenster stehen, wie er hastig die Scheine aus der Geldbörse zog, scheinbar unauffällig zum Gebäude zurückschlenderte, wissend, dass er gerade den schlimmsten Fehler seines Lebens begangen hatte, denn er hatte seinen Job aufs Spiel gesetzt. Er erinnerte sich, wie er nach wenigen Metern wieder reumütig zum Wagen eilen wollte, doch oben auf der Treppe plötzlich zwei ihm unbekannte Männer standen, wie er sein Vorhaben verwarf und in seine Dienstwohnung schlich. Er sah sich verzweifelt durch seine Wohnung laufen, ohne eine Idee, wie er den Fehler korrigieren sollte. Würde er später an den Ort des Verbrechens zurückgehen, würden ihn sofort die Bewegungsmelder und das gleißende Licht der Außenstrahler erfassen. Sergey erinnerte sich, wie verzweifelt er war, wie er zitternd die Geldscheine zählte. Fünftausend US-Dollar! Den Verlust würde der Besitzer mit Sicherheit bemerken. Wie ein Zuschauer im Kino sah er sich als Dieb auf der Leinwand auf die Knie sinken und zu seinem Christus am Kreuz beten. Er sah sich die Flasche Wodka greifen, um zu vergessen und auf ein Wunder zu warten.

      Doch das Wunder verkehrte sich ins Gegenteil, als es laut und energisch an der Tür klopfte. Einmal, zweimal. Dann stand er vor ihm, der Doktor, ein Teufel in Mönchskutte. Als der das vom Besitzer gesuchte Geld auf der Vitrine erblickte, schlug er ihm mit der Faust ins Gesicht. Funkelnde Sterne, Blut, grelles Pfeifen im Ohr. Sergey wehrte sich nicht. Unvermittelt ließ der Doktor ihn los. Er blickte ihn kalt an, seine Augen verengten sich zu Schlitzen. Er zwang ihn, auf einem Blatt Papier zu schreiben, dass er, Sergey Michailow, sich des Diebstahls schuldig bekenne. Willenlos und mit kritzliger Schrift entstand das Protokoll seiner eigenen Vernichtung. Sergeys Tränen liefen auf das Papier. Der Doktor sah den winselnden Sergey vor sich und sagte nur diese wenigen Worte: »Du hast gesündigt! Du hast mich hintergangen!«

      »Ich weiß es, Pater Direktor … ich bereue es.«

      »Das reicht nicht. Aber der Herr wird dir eine Chance geben, zu sühnen. Deinen schweren Diebstahl werde ich mit dem Eigentümer regeln. Doch von nun an erwarte ich bedingungslose Treue. Du weißt, was das heißt?«

      »Ja, Pater Direktor. Ich weiß es. Danke! Danke! Sie können sich auf mich hundertprozentig verlassen!«

      Dieser Film war zu Ende, doch ein noch schlimmerer begann. Sergey erlebte von da an einen Vorgesetzten, der bei ihm offensichtlich dieselbe perverse Macht verspürte wie bei den Jungen, die ihm anvertraut waren. Er fühlte, dass er einen Pakt mit dem Teufel geschlossen hatte. Der Internatsleiter machte ihm gegenüber nun keinen Hehl mehr daraus, was im Collegium Maria Hilf


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