Auf der Suche. Walther von Hollander

Auf der Suche - Walther von Hollander


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ihn aus der Fassung. Er wagt keine Bewegung zu machen, aus Angst, die Schwester könne sie ihm irgendwann nachmachen. Oft taucht nach Wochen noch eine falsche Geste, ein zu großes Pathos wieder bei ihr auf. Es wird ihm nichts geschenkt.

      Er beendet seine Ausführungen, die eigentlich schon lange zu Ende sind, und steht auf. „Wirklich, du wirst über deinen Erfolgen zugrunde gehen“, sagt er noch einmal ganz aufgeregt und packt Leo dringlich bei der Schulter.

      „Am besten ist es immer, man fürchtet sich das ganze Leben lang“, antwortet Leo, und Rebekka Landowski lacht. Erst etwas schüchtern, dann hell und laut. Sie muß sich vor Vergnügen doch setzen, weil es ja „kein Spaß“ mit den Krücken ist, und als Hermann Landowski ärgerlich hinausgegangen ist, streichelt sie vorsichtig Leos Hand und sagt: „Es ist ja wahrscheinlich, daß du mal vor die Hunde gehst. Wenigstens kann ich mir nicht denken, wie das alles gut ausgehen soll. Aber es ist besser, als so bewahrt bleiben wie dein Vater.“

      Leo ist etwas nachdenklich geworden. Daß die Alte ihn auch gefährdet findet! „Was soll denn schlecht gehen, Tante?“ sagt er obenhin. Rebekka Landowski antwortet zuerst nicht, sondern sieht ihn nur an und schüttelt den Kopf.

      „Wir beide können ja nicht drüber sprechen“, sagt sie dann. „Und sollen’s auch nicht. Weil es allein deine Sache ist. Aber daß du nicht Bescheid weißt, kannst du mir nicht vermachen.“

      Leo nickt und verabschiedet sich bald. Aber eigentlich ist ihm das alles doch neu. Er möchte so gern ein Schlafwandler sein.

      Als er gegen Abend zu Hause vorfährt, hört er Windschütz auf dem Klavier rasen. „Herr Windschütz ist da“, meldet Gaspard, „sowie ein Fräulein Christensen.“

      Leo geht leise ins Musikzimmer und bleibt an der Tür stehen. Windschütz nickt zur Begrüßung dreimal mit dem Kopf und lacht. Er ist immer gutgelaunt, wenn er spielt. Sein vergrämter Vogelkopf bekommt dann etwas Kindliches.

      Stefanie sitzt in dem großen Stuhl am Fenster, so weit weg vom Klavier, als es gehen will. Das letzte Licht fällt auf ihr Gesicht und das helle Kleid. Auch sie lächelt Leo zu und wird dann wieder ernst. Diese Musik, die sie eigentlich nicht versteht in ihrem Durcheinander von Dissonanz und plötzlich einbrechender Melodie, wühlt sie auf. Sie muß sich sehr zusammennehmen, um nicht mit Gelächter und Tränen mitzuspielen.

      Mit Leos Eintritt in das Zimmer ist es noch schlimmer geworden. Ein fremder Mensch ist gekommen, denkt sie, und das ist mein Mann. Gleichzeitig fällt ihr ein, was Windschütz als das Wesen seiner Musik bezeichnet, daß sie nämlich das Wahre zutage fördert. Sie ist zuerst erschreckt und ärgert sich dann über seine Anmaßung. Das Wahre, wer kann schon das Wahre zutage fördern, sagt sie sich beruhigend und sieht zu Fräulein Christensen hinüber.

      Gleichzeitig sieht auch Landowski Fräulein Christensen an, die so in einem Kreuzfeuer von Blicken steht. Das also ist die Lösung des Geheimnisses! Ein schlankes, blondes Mädchen, die Zöpfe kindlich um den runden Kopf gelegt. Etwas aus dem vorigen Jahrhundert, stellt Leo fest. Aber hübsch in Ergebenheit und Ergebung. Wie sie die Augen unablässig auf den Händen des Mannes hat — wahren Wunderwerken allerdings von Weichheit und Kraft, Schlankheit undWucht, — wie sie, die Arme untergeschlagen, am Klavier steht, ohne sich anzulehnen, wie sie jetzt, als sie die Blicke der Landowskis spürt, nicht ausweicht, sondern Stefanie zustimmend anlächelt, um dann ruhig dem prüfenden Blick des Mannes zu begegnen — das gefällt ihm.

      Es ist schon fast dunkel geworden, als Windschütz endlich aufhört. Leo macht Licht, und die vier sehen einander blinzelnd an. „Das ist nun meine Braut, Landowski“, sagt Windschütz und will eigentlich gleich ein Urteil haben. Er ist sehr unsicher in allem, was nicht mit seiner Musik zusammenhängt. „Christiane Christensen“, setzt er feierlich hinzu und legt seine eine Hand schwer auf ihre Schulter.

      „Das ist nun mein Bräutigam“, sagt Christiane lachend, und man ist überrascht, daß sie eine dunkle, ganz tonlose Stimme hat. Wie Watte, denkt Landowski, weich, nicht unangenehm, aber ohne jede Substanz. Später erfährt er, daß sie schon sehr jung eine bekannte Sängerin war, einem schlechten Lehrer in die Hände fiel und ihre Stimme verlor. Wenn sie erschrickt, ist sie noch heute nahezu stumm.

      Man trinkt nun zusammen einen späten Tee. „Eine Sonate C-Moll war das letzte“, sagt Windschütz und erklärt ein paar Themen. „Eine Verbindung raffinierter Erfindung und reiner Erklügelung. Jedenfalls durchaus gemacht…“

      „Und klingt, als wärest du ein großer Musiker,“ schließt Christiane die Prahlerei, „der du freilich bist, obwohl du außen so viel Humbug machst.“

      Die drei anderen sehen sie ganz erstaunt an. Das trifft den Nagel auf den Kopf. Christiane ist ganz rot geworden. Sie legt ihre Hand ängstlich auf Stefanies Hand.

      „Entschuldigen Sie,“ flüstert sie und ist den Tränen nahe, „es klang so frech. Aber ich kann diese Redensarten nicht vertragen.“

      „Also, bitte, was daran ist eine Redensart?“ schreit Windschütz scharf. Er reckt sein Köpfchen, so hoch er kann, und schüttelt es hin und her. Christiane und Stefanie sehen ihn mit dem gleichen Blick an. Er murmelt noch ein paar beschämte Rückzugsworte und geht mit Leo ins Nebenzimmer.

      Die Frauen bleiben zurück. Sie sitzen und sehen vor sich hin. Mit einemmal entdecken sie, daß ihre Hände noch übereinander liegen. Eine Freundschaft ist geschlossen.

      IX

      Gram ohne Namen

      Während der ganzen langweiligen Gesellschaft am Abend muß Stefanie an Christiane denken. Unerklärlich, daß das so wärmt. Denn was die Männer an Erklärungen anbringen — Fähigkeit, im anderen aufzugehen, Wunschlosigkeit für sich selbst, Duldsamkeit und Humor, hat Windschütz an ihr gerühmt — davon mag manches wahr sein. Aber alle diese Eigenschaften zusammen ergeben zwar das synthetische Männerideal einer Gattin, aber noch keinen Menschen.

      Sie denkt während des zweistündigen Abendessens immerzu darüber nach und kann zu keinem Ergebnis kommen. Dahinter, fühlt sie, liegt auch ein Teil ihres Geheimnisses.

      Ihr Tischherr ist der Redakteur Fromme von der Abendpost, ehemaliger Literat, künftiger Politiker und im Augenblick ein schwätzendes, alles wissendes, alles an sich raffendes Neutrum. Stefanie hat an sich die Fähigkeit, ihrem Partner mit weit aufgerissenen Augen, voll zugewandtem Gesicht und geschickt eingestreutem „Ja, ja“ zu genügen, aber Fromme will von ihr durchaus Einzelheiten aus Leos Werdegang und Arbeitsweise haben, die er für eine Artikelserie „Finanzmatadore“ braucht.

      Er läßt nicht locker, denn es ist sehr wichtig für ihn. Bringt er über Landowski den ersten wirklich informierenden Artikel, so ist das ein weiterer Schritt von der unfruchtbaren Kunst weg in das fruchtbare Gebiet von Handel und Politik, als welche nach Frommes geistreicher Abwandlung der Clausewitzschen Formel „das gleiche sind, insofern, als Politik nur die Fortsetzung des Handels mit anderen Mitteln ist“. Man sieht, daß Fromme seine literarische Vergangenheit nicht verleugnet.

      Stefanie ist zunächst noch ganz amüsiert über seine Frechheit und studiert aufmerksam das Gesicht des Journalisten. Es war sicher mal ein hübsches Jünglingsgesicht und ist nun Zug um Zug von einem Fett überdeckt, das sich nur noch in schematische Ausdrucksformen legen kann. Dieses Gesicht kann also noch beschäftigt, bedeutend, skeptisch, witzig, eifrig, kühl und nachdenklich aussehen. Alles andere vermag der Journalist nicht auszudrücken. Er wird es darum gar nicht heranlassen. „Sehen Sie doch, bitte, mal erstaunt aus“, sagt Stefanie mitten in eine besonders listige Frage hinein. „Sehen Sie doch, bitte, mal erstaunt aus“, wiederholt sie und sieht ihren Tischherrn mit einem ihrer berühmten kalten Blicke an. Fromme hat auch beim zweiten Male nicht gut verstanden, um was es sich handelt, er biegt sein rechtes Ohr mit der Hand etwas nach vorn und nimmt für alle Fälle das witzige Gesicht an.

      Stefanie sagt nichts mehr. Sie wird zum Glück gerade vom Hausherrn angeprostet, von Geheimrat Lerchenstätt über zwei Tische weg angerufen. Gleich danach ist die Tafel zu Ende, und sie kann sich in einen Kreis von Bekannten hineinretten. „Ich soll über dich Auskunft geben, Leo“, lacht sie und zündet sich eine Zigarette an, indem sie sich über die rechte Kerze


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