Auf der Suche. Walther von Hollander

Auf der Suche - Walther von Hollander


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nicht doch ein bißchen gewagt sei. Aber während sie antwortet, daß ja immer entscheidend sei, wer so etwas trage, wendet sie sich schnell nach der Höger um. Sie hat sich sicher nicht getäuscht. Aber die Schauspielerin hat ihr Gesicht so sehr in der Gewalt, daß Stefanie höchstens noch die Schatten des Hasses sehen kann und sogar mit einem leichten Nicken für den bezaubernd werbenden Blick der Freundin danken muß.

      Sie wendet sich schnell um und geht hinaus. Sie sieht einmal in der Küche nach dem Rechten, obwohl da natürlich unter Frau Schreiers bewährter Leitung alles in Ordnung ist. Beim Zurückgehen bleibt sie auf der Treppe stehen. Warum schmerzt sie diese Sache mit Clara, die sie schon lange weiß? Ach — sie ist hier so ohnmächtig. Kaum daß sie sich selber glaubt. Wie soll ihr Leo da glauben? Und doch, er müßte ihr glauben, ja, er müßte ihr glauben.

      Als sie sich wieder unter ihre Gäste mischt, ist sie noch ruhiger als zuvor. Höchstens, daß Leo Landowski erkennen könnte, daß sie bleicher geworden ist, mit kleinen Ängsten um die Augen und einer Strenge um die Mundwinkel, die zu ihr nicht paßt und die ihr selbst wehtut. Jetzt will sie es auch ruhig zugeben, daß diese Gesellschaft weder für sie die richtige ist noch für Leo. Aber wenn Leo lächelnd und im Gefühl, allen zu gefallen, durch die Zimmer gehen kann (und ihr jetzt gerade zunickt und das Zeichen macht, daß er es „immerhin ganz nett“ findet), so ist eben nicht zu leugnen, daß ihn die Eitelkeit immer wieder blind macht. Er braucht im Grunde diese Leute, die ihn nichts angehen, nur, um sich beweisen zu können, daß er kein Vorurteil hat. Stefanie ist den Rest des Abends wirklich unbrauchbar.

      Sie verkriecht sich bei General Schilling, der im Juli bei ihrem Vater war, und läßt sich von Schloß Wangen erzählen. Mit einem gewissen Trotz möchte sie, daß sie von Heimweh geplagt würde, und sie verweilt mit ihren Fragen besonders lange an allen Lieblingsorten, dem Pferdestall, worin noch immer Mustapha und King stehen, dem Buchenwald, dem Streitweg, dem Gestüt Gollern, der Trauereschenlaube und dem Damensalon, in dem man von weit her die alten Tanten Tee trinken sah.

      Aber es will sich keine Sehnsucht einstellen, denn Schilling spricht viel vom alten Grafen Wangen, der mit seinen siebzig Jahren noch beneidenswert rüstig sei, und Stefanie weiß, daß diese Rüstigkeit sich noch immer an Küchen- und Zimmermädchen beweist und das berühmte Wangensche Blut, das doch bekanntlich so hoch zu halten ist, in vielen Dorfkindern rollt. Sie muß an die verstorbene Mutter denken und schüttelt abwehrend die Hände. „Ganz schön,“ sagt sie und lacht Schilling an, „ganz schön… aber…“

      Sie fühlt sich jetzt wirklich sehr einsam und muß sich zusammennehmen. Die Tränen sitzen dicht hinter den Augen. Die Menschen fühlen sich immer gemütlicher, lärmen und erzählen Witze. Amélie Stern hat im Kampf um Bleichert gesiegt, während Maimann strahlend seine Frau einherführt. Clara Höger kommt schnell für zwei Minuten angelaufen, um Stefanie zu fragen, was für ein Talent Teufelmann sei, ob es sich lohne, ihn zu rezitieren, und Teller hat in Fräulein Stübbecke ein Filmgesicht entdeckt. Leo verspricht Dr. Ahrberg eine namhafte Summe für Parteizwecke, kurzum, es ist rings freundliches Entgegenkommen, Händereichen, Versprechen, und außer den alten Schillings gehen nur Stefanie und der Getreidehändler Stern leer aus.

      Stern prüft immer wieder die Wirkung des neuen Kokoschka, den Landowskis erworben haben, einer spanischen Landschaft von ungewöhnlicher Trübe. Er unterhält sich mit Stefanie eine ganze Zeit über die Maltechnik, und es scheint Stefanie, als wolle er sich in die Fachausdrücke einarbeiten, da wohl Amélie jetzt Interesse für Malerei bekommen wird.

      Endlich gehen aber die Gäste doch, und es gelingt Stefanie sogar sehr geschickt, einer Verlängerung der Gesellschaft durch die Intimen vorzubeugen, indem sie Claras schlechtes Gewissen ausnutzt und sich so herzlich von ihr verabschiedet, daß sie nicht bleiben kann.

      Leo steht noch eine Weile mit ihr im leeren Ablageraum. „Nun?“ sagt er und sieht sie prüfend an.

      „Die Saison hat also begonnen“, antwortet Stefanie und seufzt.

      „Ein bißchen reichlich bunt, nicht?“ tastet Leo sich vor. Stefanie nickt. Nein, sie mag heute nichts sagen. Es käme zu bitter heraus.

      Als sie dann allein auf ihrem Zimmer ist und sich langsam auszieht, fällt ihr erst genau ein, was sie eigentlich hätte sagen müssen. „Ich bin noch nicht so sicher, Leo,“ sagt sie leise, „du sollst nicht glauben, daß Clara Högers Leben oder selbst Amélie Sterns keinen Reiz für mich hat.“

      Und als sie endlich im Bett liegt, setzt sie trotzig hinzu: „Ich habe ganz so gelebt wie die oder beinahe so. Nun sollst du mich behüten, daß es nicht noch einmal kommt.“

      Sie liegt ganz still. Das Herz klopft. „Du sollst mich behüten“, wiederholt sie kleinmädchenhaft. Sie ist allmählich so getröstet, daß sie einschlafen kann.

      VII

      Ein anderes nächtliches Gespräch

      Clara Höger verabschiedet sich vor der Tür von den anderen Gästen. Die meisten sind jetzt verstimmt und eilig. Sie wollen noch versuchen, die letzte Elektrische bei Roseneck zu erreichen. „Hopp, hopp“, ruft Rechtsanwalt Brettschneider und läuft, die Uhr schwingend, hinter seiner langen Frau her. Das Fußvolk schließt sich ihm zögernd an. Es bleiben nur die Autobesitzer zurück und die einen Platz in den Autos erwischt haben. Lutz Teller natürlich, der, wenn er Wert darauf legte, jedes Glied einzeln nach Hause fahren lassen könnte. Er hält es mit dem Reichtum und steigt bei Sterns ein, wo er allerdings den Maler Bleichert zum Nachbarn hat. Er bestätigt sich lächelnd, daß Frauen meist keinen Geschmack haben, und er muß es ja wissen.

      Frau Weiland hat mit Fräulein Stübbecke bei Wedderstedts Platz genommen, und Frau Wedderstedt bekommt infolgedessen furchtbare Migräne. Maimanns sind zu versöhnt, um nicht allein fahren zu müssen. Direktor Knesebeck hat sich die Ehre erbeten, Schillings und Geheimrat Lerchenstätt nach Hause bringen zu dürfen, und so bleibt zum Schluß nur noch Clara Höger mit Teufelmann und ihrem Auto zurück.

      Die Nacht ist warm. Viel zu warm eigentlich für das Fehcape, das die Schauspielerin trägt und aus dem nur unten ein Stückchen der dünnen Beine herausragt, oben die große runde Stirn und die schwere Krone aus rostbraunem Haar. Clara Höger läßt das kleine schwarze Auto in Rufweite vorausfahren, schlägt das Cape um sich und geht langsam die Straße hinunter, ohne Teufelmann zum Mitkommen aufzufordern. Er soll selbst tun, was er für richtig hält, denkt sie. Sie hat keinen Grund, ihm die Sache zu erleichtern.

      Teufelmann trägt den Mantel offen, aber er hat den Mantelkragen hochgeschlagen. Er findet, daß ihm das gut steht. Den zu kleinen schwarzen Hut — Leo Landowski hat ihn schon oft gefragt, ob eine Nummer größer nicht das gleiche kostet — hat er in der Hand. Den kurz geschorenen Dickschädel wendet er eilig hin und her. Er ist begeistert über die Gärten zu beiden Seiten, über die Bäume, und daß man Sternenhimmel durch Blätter ansehen kann. Die Frau, die ein paar Schritt vor ihm geht, langsam und lautlos, auf Gummipfoten wie das Auto, findet er herrlich. Er betrachtet Haar, Pelz, Seidenstrumpf und Schuh mit Rührung.

      Sie gehen eine ganze Weile im Tempo eines Leichenzuges, das Auto voran, Clara dann und Teufelmann am Schluß. Als Clara endlich stehenbleibt, bleibt auch Teufelmann stehen, nickt ihr freundlich zu und weist auf das Auto, das gerade in schönem Bogen um die Ecke rollt.

      Die Höger geht noch ein Stückchen weiter, sie ist erstaunt. Das scheint also anders zu sein als das Übliche. Jeder andere Mann hätte seine Männchen gemacht, mit Geist oder mit Witzen geworfen. Sie hat sich damit abgefunden. Das ist eben so. Ein bißchen langweilig, ein bißchen eklig und die Einleitung zu einem Spiel, das wenigstens manchmal Genuß bringt.

      Sie bleibt jetzt stehen, läßt den Dichter herankommen und mustert ihn mit ihren ruhigen grauen Augen, deren hypnotische Kraft von führenden Kritikern gerühmt wird. Teufelmann kommt bis auf drei Schritt heran, hebt sich auf die Zehen und versucht Gleichgewicht zu halten, indem er mit ausgestreckten Armen — am Ende des einen hängt das Hütchen — in der Luft herumfährt. „Es geht“, sagt er und kippt dabei um. Fast hätte er die Höger umgestoßen, aber sie ist noch ausgewichen, und so fliegt er gegen einen der jungen Ahornstämme, von denen die Straße eingefaßt ist. Danach gehen sie ein Stück zusammen, indem sie einander mit unverfälschter


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