Auf der Suche. Walther von Hollander

Auf der Suche - Walther von Hollander


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halsbrecherischen Geschäften abzubringen. „Schon beim Zuschauen kriegt man Nervenzustände. Hat er das nötig? Habt ihr nicht genug?“

      Nein, sie haben nicht genug, gibt Stefanie für sich zu. Ihr Jahresetat hat eine lächerliche Höhe erreicht, und da Leo ihn durchaus nur von Überschüssen gedeckt haben will, muß er vielleicht seine Art von Geschäften machen. Sie wird nachdenklich, schüttelt das aber schnell wieder ab. Wie oft hat Ole ihr auseinandergesetzt, daß Hermann Landowskis Haupteigenschaft die Eifersucht ist. Eifersucht bei Geschäften, Eifersucht bei Menschen. Immer fühlt er sich im Schatten, nicht beachtet, nicht anerkannt.

      Der Geheimrat hat sich eine schwere Zigarre ausgebeten und hüllt sich in dicke Rauchwolken. Stefanie ist also mit Leos Aussehen zufrieden? Sie findet keinen bemerkenswerten Unterschied zwischen Juli und jetzt? Er lacht erbittert, schlägt sich aufs rechte Knie und verreibt den Schlag. „Ganz verhärmt sieht der Junge aus“, schließt er und lehnt sich befriedigt in seinen Sessel zurück. Stefanie bleibt noch eine Weile sitzen. Dann läßt sie erst ein Bein zur Erde gleiten, hierauf das andere, steht langsam auf und holt sich eine Zigarette. Sie muß eine Weile mit dem Rücken zu ihrem Schwiegervater zwischen den Sorten kramen. Denn er darf die Dunkelheit nicht sehen, die auf ihrem Gesicht nistet, und den Schrecken, der in ihren Augen sitzt.

      Natürlich sieht Ole verhärmt aus! Es ist ihr gleich bei der Begrüßung aufgefallen, aber sie weiß es erst seit dem Gang durch die Friedrichstraße. Wozu muß der alte Mann dahinten es ihr sagen? Was weiß der überhaupt? Er meint ja seinen Kummer und sein verpfuschtes Dasein, wenn er sich Sorgen über den Sohn macht.

      Sie kann sich nun zusammennehmen, sie kommt, die Zigarette in einer sehr langen Bernsteinspitze, wieder an den Teetisch zurück, steht eine Weile neben Hermann Landowski, und sie hätte eigentlich Lust, ihn für seine Einmischung am Ohr zu ziehen oder ihn wie einen kleinen Jungen in die Ecke zu stellen, damit er sich ausbrummt. Sie bekommt dann doch einen Zorn — mein Gott, sobald man schwach wird, stoßen die Menschen nach einem! — und sie legt dem Geheimrat die kleine Hand schwer auf die Schulter und sagt schärfer, als es eigentlich ihre Absicht ist: „Laß man, Papa, laß man. Wir machen es schon.“

      Hermann Landowski schielt unter seiner Brille in das Gesicht der Schwiegertochter. Er findet, daß sie den Leo nachmacht, mit der scheinbaren Ruhe, hinter der eine große Unsicherheit sitzt. „Ihr müßt es ja machen“, sagt er achselzuckend, springt auf, küßt Stefanie schnell und flüchtig auf die Stirn und humpelt eilig aus dem Zimmer.

      Stefanie geht ans Fenster, und da gerade noch ein bißchen Sonne im Garten ist, bekommt sie Lust auf frische Luft und geht hinaus. Sie geht gebeugt und sieht sich ihre Schuhe an, rote Wildlederschuhe, von denen bei jedem der langsamen Schritte einer unter ihre Augen gelaufen kommt. So geht sie ganz langsam, Schritt für Schritt, bis die Sonne ihr aufs Haar fällt. Da richtet sie sich vorsichtig auf.

      Sie ist bis zum Springbrunnen gekommen. Immer noch weht kein Wind, immer noch geht der Strahl der Fontäne kerzengerade in die Höhe. Sie tritt nahe heran und sieht, daß oben, dort, wo das Wasser sich zum Herabfallen biegt, der Strahl durch Tausende von Sprühtropfen ein wenig verbreitert wird und daß die Sonne dahin einen kleinen Regenbogen gelegt hat. Sie betrachtet das genau. Ihr wird endlich leichter, und es erschreckt sie auch nicht mehr, daß gleich darauf die Sonne wegrückt und das Wasser sich verdunkelt.

      Sie geht Leo schnell entgegen, der rufend in den Garten gekommen ist, gibt ihm die Hand und sagt: „Gott sei Dank, daß dieser Tag vorbei ist.“ Leo Landowski nimmt den Hut ab, fährt über sein Haar und nickt. „Wirklich, treffender kann man nicht die Lage umschreiben“, antwortet er ernst.

      Sie gehen Arm in Arm ins Haus. Die Zofe, die sie hat kommen hören, macht Licht und muß gerade noch sehen, wie Leo Landowski seine Frau mitten auf den Mund küßt. Sie will mit dem Rufe „Ach, Verzeihung“ wieder auslöschen und flüchtet hochrot unter dem Gelächter der beiden Ehegatten.

      V

      Nächtliches Gespräch

      Es ist ein Uhr nachts. Die Nachttischlampe in Stefanies Schlafzimmer ist ringsum abgeblendet. Nur ein einziger Lichtstrahl findet durch den Schirm und fällt gerade auf Landowskis linke Hand, die zu einer Faust verkrampft auf der Decke liegt.

      Stefanie sieht im Einschlafen die Faust liegen, möchte noch ihre Hand darauflegen und sie aufzumachen versuchen, aber sie ist zu müde. Der Kopf sinkt immer tiefer in die Kissen, und das Bewußtsein löscht aus, um farblos im Dunkeln sein Spiel zu treiben.

      Leo Landowski will aufstehen und in sein Zimmer hinübergehen. Er freut sich eigentlich auf das kühle Bett, die Eau de Cologne, mit der er sich noch abreiben will, die Zigarette und die Zeitschrift, in der er einen Artikel zu Ende lesen muß, den er auf der Herfahrt angefangen hat.

      Er macht die Augen auf, stützt sich vorsichtig auf die Ellbogen, zieht ein Kopfkissen nach und bleibt so sitzen. Draußen geht ein vertrocknetes Kastanienblatt über die Steinplatten des Vorgartens. Es dreht sich im Bodenwirbel des Windes immer auf der gleichen Stelle, scharrt mit seinen scharfen Kanten immer über den gleichen Stein, ruht ein paar Sekunden und fängt den gleichen Tanz wieder von vorn an. Es zwingt hinzuhören, mit ihm zu ruhen, den Tanz aufzunehmen und wieder auf den neuen Windstoß zu warten.

      Leo Landowski bekommt Angst vor seinem Zimmer. Vorsichtig langt er auf das Rauchtischchen, das neben dem Bett steht, und holt sich eine Zigarette. Sein Gesicht sieht im Aufflammen des Streichholzes trauriger aus als sonst. Das kommt, weil die Augen starr sind.

      Er raucht langsam und mit großem Genuß. Manchmal fächelt er ein bißchen mit der Hand, damit der Rauch nicht über Stefanies Gesicht treibt. Als Stefanie seufzt und eine unmutige Bewegung macht, drückt er die Zigarette aus und beugt sich über ihr Gesicht. Er kommt vorsichtig näher, indem er sich auf der rechten Hüfte langsam umdreht und mit der linken Hand einen Stützpunkt sucht. Stefanie atmet jetzt leicht und ruhig, die Hände hat sie wie immer über Kreuz leicht auf die Brüste gelegt, die, klein und weit auseinanderstehend, fast das Braun der Hände haben.

      Gerade findet ein Windstoß ins Zimmer, läßt die Gardinen aufflattern und streift kühl das Bett. Landowski hebt die Decke vorsichtig hoch und deckt seine Frau zu. Nun ist nur ihr Gesicht zu sehen, ein wenig zurückgeworfen, mit leichtgeöffneten Lippen, mit dunklen Schatten über den geschlossenen Augen und mit den kräftigen Brauen unter der breiten und doch zerbrechlichen Stirn. Auch an den Schläfen stehen tiefe Schattentäler. Das ganze Gesicht ist von dunklen Schatten begrenzt und von helleren Schatten überzogen, einer Wolkenlandschaft ähnlich, einem Herbsthimmel, kurz bevor der Winter kommt.

      Leo Landowski sieht das Gesicht prüfend an. Sein Herz beginnt laut zu klopfen. Er ist sich eigentlich böse, daß er die Schlafende belauscht, aber er beruhigt sich damit, daß sich kein Geheimnis offenbart, sondern nur das, was er von ihr so gut weiß wie von sich selbst: jene schon fast untragbare Trauer, die sie voreinander zu verbergen trachten und die doch aus jedem Geschehnis hervorbricht, aus jeder Gebärde und eigentlich auch aus allen Worten, die sie miteinander sprechen, so lustig sie auch klingen mögen.

      Nein — es ist doch nicht anständig, so zu starren. Stefanie beginnt unruhig zu werden. Träume kommen, Nebelträume zuerst, deren Gestalten man nicht erkennen kann, Ängste dann, die noch kein Gesicht haben, bis es ihr wieder scheint, daß sich wie zu Mittag im Büro Leo über sie beugt, die Hände zu beiden Seiten auf die Stuhllehne gestemmt. Er beugt sich immer weiter vor, will sie ersticken und geht schließlich durch sie hindurch, als wäre er Luft oder Nebel.

      Mit einem tiefen Seufzer wacht sie auf, findet die schwere Decke über sich, schlägt sie etwas zurück und sieht erschrocken in Leos Augen, die gerade noch wegsehen wollen. Sie packt schnell nach seinem Kopf, zieht ihn nahe an sich heran und küßt ihn. Seine Lippen sind ganz kalt.

      „Nein, du darfst nicht weggehen“, sagt sie und zieht ihn nahe zu sich heran. Sie ist bedrückt, weil sie ein quälendes Mitleid mit ihrem Mann empfindet, und möchte das wieder gutmachen. Sie umarmt ihn, liegt still und löscht schließlich das Licht.

      Sie liegt mit offenen Augen und sieht, wie das Dunkel langsam heller wird, weil der abnehmende Mond aufgegangen ist und das Licht durch das offene Fenster eindringt. Landowski zuckt zusammen,


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