Auf der Suche. Walther von Hollander

Auf der Suche - Walther von Hollander


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Höger will durchaus unter seiner Regie filmen, der Lyriker Teufelmann will ein Manuskript an ihn loswerden, und Milly Pabst will von ihm entdecken lassen, daß sie ein fabelhaftes Filmgesicht hat. Also in Gottes Namen: Lutz Teller. Aber dann möchte Stefanie noch irgendwas Anständiges einladen, für Leo jemanden und auch jemanden für sich selbst. Sie versinkt in Nachdenken, sie läßt alle Freunde und Bekannten vorbeispazieren. Schließlich Windschütz, der Musiker, ist ja Leos Freund und der Kunsthändler Mewes auch. Aber nein, außer Clara, die ja Inventar ist und die sie feierlich übernommen hat, soll niemand vom Fünferklub kommen. „Bist du doch eifersüchtig auf den Fünferklub?“ fragt sie sich erstaunt. Man kann es eifersüchtig nennen. Sie findet es jedenfalls dumm, wenn man einen solchen Bierulk jahrelang fortsetzt.

      Also es ist niemand da, den man von Herzen einladen kann, und so schließt sie die Liste ab und schickt sie zur Erledigung ins Büro.

      Damit beginnt das gewöhnliche Leben wieder, die Reihe der Tage, von denen man nichts Besonderes erwartet, die kommen und gehen können, ohne daß man sie zählt und wertet und zwischen denen doch immer das heimliche Herzklopfen auftaucht, die Angst, es könnte, der Wunsch, es möchte alles schnell vorbei sein oder doch wenigstens sich endlich ändern, damit man mit allen Kräften beginnen kann.

      In den ersten Tagen ist Stefanie noch erstaunt, versucht mit all den Kleinigkeiten mitzulaufen, die ihr Leben ausfüllen, steht dann mit einem Ruck still und läßt die Menschen und Dinge vorbeilaufen. Leo hilft ihr sehr schön dabei, wenn er es auch auf seine Weise ausdrückt. „Nichts ernst nehmen,“ sagt er oft in diesen Tagen, „nichts ernst nehmen. Es kommt bestimmt mal wieder — und dann kann man es immer noch ernst nehmen.“

      Mit dem Wiederkommen scheint er ja wirklich recht zu haben: Die Gesellschaft findet am Montag in den gleichen Räumen wie immer statt. Man muß sich Mühe geben, eine andere Speisenfolge auszudenken, und wenn man dieselbe machte, würde es auch niemand merken.

      Wie immer, kommt Geheimrat Lerchenstätt, einer der Botaniker der Universität, als erster. Er schwingt einen Strauß von verschiedenen Feldblumen vor sich her, deren lateinische Namen er an Stelle einer Begrüßung und eines Witzes deklamiert. Es folgen Direktor Knesebeck und Frau, dann Amélie Stern in einem bezaubernden Kinderkleidchen aus fliederfarbenem Chiffon, das weit über die Grenzen des Möglichen lichtdurchlässig ist. Sie bringt diesmal ihren Mann gleich mit, einen kleinen, dicken Herrn, dessen joviale Fröhlichkeit durch die stete Sorge um den Besitz seiner Frau gedämpft ist und nur noch selten in einem krampfhaften Lächeln durchbricht. Es erscheint, unscheinbar um sich lächelnd, der Filmregisseur Lutz Teller, ein noch junger Mann mit Birnenkopf und den melancholischen Augen des Erfolgreichen. Er beschäftigt sich ausschließlich mit Leo, der ihm imponiert und dessen Millionen vielleicht noch einmal zu brauchen sind.

      Nach ein paar kleinen Leuten, von denen höchstens die Bühnenschönheit Milly Pabst erwähnenswert ist, deren nicht ganz einwandfreie Oberschenkel durch einen Kulturfilm der Öffentlichkeit übergeben wurden, und Frau Leonie Weiland, die sich selbst eine Kurtisane nennt, kommt Clara Höger, zur größten Überraschung aller Anwesenden im hochgeschlossenen schwarzen Seidenkleid, bei dem allerdings unten abgenommen zu sein scheint, was oben dazugekommen ist.

      Sie ist sicherlich die auffälligste Erscheinung. Bei sehr fraulichen Formen hat sie einen hageren Körper, dünne Arme und Beine, ein überstrenges Gesicht mit hervortretenden Backenknochen und einem sehr großen schmallippigen Mund. Ihr außerordentlich dickes und festes braunes Haar trägt sie als eine Krone. Diese Frisur stimmt nur schwer zum Ausdruck des Gesichts, der lasterhaft zu nennen wäre, wenn man nicht unter Laster jetzt die Spielereien kleiner Mädchen verstünde. So wird man das Gesicht eher verbissen finden, erstarrt jedenfalls von einer Ruhe oder Kälte, die nahe am Herzen sitzt, während die Nerven der Haut sehr empfindlich sind und gern und heftig reagieren.

      Clara Höger ist eine Frau, an die man sich scheinbar nicht gewöhnt. Denn wie im vorigen Jahr, verstummen alle Gespräche bei ihrem Eintritt und setzen nur mühsam wieder ein, weil alle aufpassen müssen, wie Stefanie auf die Höger zugeht, sie herzlich umarmt und auf beide Wangen küßt, um sie dann Leo zuzuführen, der ihr die Hände entgegenstreckt und sie gar nicht wieder losläßt.

      Amélie Stern findet das großzügig, während Milly Pabst es einfach nicht glaubt. Frau Wedderstedt, die gerade mit ihrem Mann gekommen ist, dem jungen Besitzer der Wedderstedt A.-G. für Kornbranntwein („Ist dein Mann zu dir nicht nett, gib ihm einen Wedderstedt!“), Frau Wedderstedt verliert den langen Hals fast aus den Schultern, um die Gesichter aller Beteiligten in Ruhe zu betrachten.

      Das bleibt die Sensation des Abends, und danach tauchen nur noch einige solide Ehepaare auf, die liberal genug sind, an dem seltsam gemischten Verkehrskreis der Landowskis keinen Anstoß zu nehmen, oder die einen von den beiden gern mögen. Darunter der alte Generalleutnant von Schilling mit Frau, Freunde eigentlich von Stefanies Vater, dem Grafen Wangen, die zuerst nur Stefanies wegen zu Landowski gekommen sind und nun den Leo fast noch lieber haben, oder die Brettschneiders, von denen die schlaksige und hakennasige Frau sich an diesem Abend als ein freundlicher Beobachter erweist und ein weiträumiger Mensch mit leisem, stechendem Witz.

      Zum Schluß, als man schon mitten im Essen ist, erscheint das merkwürdigste Paar. Der Lyriker Alex Teufelmann, ein kleiner, breiter Kerl mit dickem Hals und dickem Kopf, im Smoking zwar, aber mit einem Kragen, der nur vorn befestigt ist, hat noch einen ungeladenen Gast im Schlepptau, einen Jüngling in kurzhosigem Samtanzug, hohem Blondhaar, das er wie Kopfschmuck trägt, und schönen Händen, die jetzt abwehrend und erschreckt in der Luft rumfahren. Teufelmann beteuert zunächst, sich aus Gründen verspätet zu haben, um die sich jede Verspätung lohnt, und stellt dann seinen Freund vor, Willy Bleichert, der auch ohne Smoking ein bedeutender Maler sei.

      Leo Landowski ist verstimmt, weil er findet, daß an anderen Tagen Zeit genug ist zu solchen Mitbringseln, aber weil sich Frau Maimann und Amélie Stern bereits auf Bleichert geworfen haben, um ihn auf Verwendbarkeit abzutasten, so läßt er die Sache laufen und freut sich, als Teufelmann dem Regisseur Teller keine Schmeicheleien sagt, sondern seinen letzten Film für den Dreck erklärt, der er ist.

      „Jeder Mensch macht Dreck, Herr Doktor,“ kräht Teufelmann und schlägt dem entgeisterten Teller fast die Schulter entzwei, „aber Sie haben schon zu viel Dreck gemacht und sollten mal was Gutes machen.“

      Das soll die Einleitung zum Angebot des Teufelmannschen Filmmanuskriptes sein, und so muß Stefanie eine Viertelstunde später mit Hilfe von Clara Höger und der alten Exzellenz Schilling den völlig zerknirschten Dichter darüber aufklären, daß er nicht die richtige Art hat, mit den Mächtigen dieser Welt umzugehen.

      Stefanie ist jetzt ganz geborgen in der kühlen Freundlichkeit, mit der sie ihren Hausfrauenpflichten nachgeht. Sie ist bald im großen Salon, wo Rechtsanwalt Brettschneider mit Hilfe von Schlüsseln und Butterbrotpapier eine Jazzkapelle aus dem Klavier macht, unterstützt von seiner hageren Frau, die mit melancholischem Ernst die verschiedenen Dämpfer und Klappern einlegt und herausnimmt. Bald ist sie in Leos Zimmer, wo eine Schar von Damen dem Regisseur Teller Filmgesichter vorführt. Sie kann hier gerade noch Leos ungezogene Bemerkung unterdrücken, der, mit Beziehung auf Fräulein Pabsts Rolle im Kulturfilm, durchaus sagen möchte, sie habe „eher das Gegenteil eines Filmgesichts“.

      Es genügt ihm nun, das Stefanie zuzuflüstern, und sie sitzt darauf liebenswürdig unter den soliden Ehepaaren, erörtert mit Direktor Knesebeck die Börsenlage, sagt Frau von Schilling ein paar Freundlichkeiten über ihren Sohn, kann Frau Wedderstedt, die schon wieder vor Eifersucht hektischrote Wangen hat, davon überzeugen, daß ihr Mann im Augenblick in ein politisches Gespräch mit dem Abgeordneten Dr. Ahrberg vertieft ist, und geht dann in die Bibliothek.

      Hier geht es schon ein bißchen bunt zu. Teufelmann versucht in einem Hymnus die körperlichen Vorzüge der Höger zu besingen, Amélie Stern bespricht laut mit dem Maler Bleichert die Pflicht der gutgewachsenen Frau, Modell zu stehen, Frau Maimann möchte sich um alles in der Welt an Liberalität nicht schlagen lassen und nickt, während die Kurtisane Weiland die Herren Maimann und Stern zu bezaubern sucht, die indes ihren Angeboten nur halb zuhören, weil sie ihre Frauen bewachen müssen.

      Stefanie hat hier eigentlich nichts zu suchen. Aber sie bleibt doch einen Augenblick stehen, sieht diese


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