Auf der Suche. Walther von Hollander

Auf der Suche - Walther von Hollander


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Arme, die ihr schon weh taten. Sie bettet den Mann vorsichtig. Sie löst sich von ihm und richtet sich ein wenig auf. Das Blatt im Hof tanzt noch immer, es kann aus seinem winzigen Wirbel nicht herausfinden, scharrt, kratzt, tanzt und ruht und muß gleich wieder von vorn beginnen. Stefanie hört zu, wartet, zählt die Sekunden der Ruhe. Wartet — jetzt muß es kommen. Nein, es kommt nicht. Da — jetzt erst setzt der Wind ein, kommt am Fenster vorbeigeflogen, schüttelt die Gardine, jetzt weht er durch die Birken, fällt ins Gebüsch, jetzt endlich findet er das Blatt, und das Blatt tanzt über die Fliesen, kratzt und scharrt.

      Stefanie fürchtet sich. Am liebsten würde sie Licht machen, wenn das nicht den Mann wecken würde. Wovor fürchtet sie sich? Ach, sie kann es nicht sagen und weiß es doch genau. Vor dem Leben? Vor dem Tode? Vielleicht am ehesten vor beidem. Und das ist natürlich ein Unsinn. Die ganze Luft rings ist mit Furcht angefüllt.

      Sie muß Leo doch wecken, sie kann die Angst nicht ertragen. Sie hebt die Hand, um den Mann bei der Schulter zu packen. Aber sie hält erschrocken inne. Sie sieht in seinem Gesicht die gleiche Angst, die sie spürt. Die Stirn, die er sonst immer ganz glatt trägt, ist zusammengezogen, der Mund nach unten, das Kinn nach oben gezogen, die Augenhöhlen tief, als wären die Augen in den Kopf gedrückt. Das Unheimlichste aber ist: sein Atem geht gleichmäßig und ruhig, die Brust hebt und senkt sich leicht und freudig. Die Hände liegen lose und gelöst neben dem Körper.

      Stefanie schließt die Augen, zieht die Knie an und legt den Kopf darauf. So sitzt sie eine ganze Weile und versucht nachzudenken. Aber sie kann keinen Gedanken zu Ende bekommen. Vielleicht liegt es daran, daß sie Dinge bedenkt, die sie nichts angehen. Ist sie nicht eigentlich — schreckliche Möglichkeit der Ehe! — hinter ein Geheimnis gekommen, das nicht für sie ist? Nein, sie will das nicht auch noch in Worte fassen. Sie zieht sich ganz zusammen und erstarrt.

      Draußen tanzt das Blatt, kratzt, scharrt. Stefanie steigt endlich leise aus dem Bett und geht ans Fenster. Es ist klarer Mondscheinhimmel, so daß kaum Sterne zu sehen sind. Die Birke schwingt silbern im Winde hin und her. Stefanie atmet tief auf. Dann beugt sie sich weit hinaus: Richtig, sie kann das trockene Blatt sehen, wie es aufsteht und sich schwerfällig im Kreise zu bewegen beginnt.

      Stefanie bekommt einen großen Zorn, greift nach ihrem Toilettetisch, packt ihre Bürste und wirft sie mit aller Gewalt nach dem Blatt. Sie sieht ernst hinterher. Beinahe hätte sie getroffen.

      Dann zieht sie sich ein Hauskleid über, schlüpft zur Tür hinaus, läuft die Treppen hinunter, indem sie beim Vorbeikommen alle Lampen anzündet, deren Schalter sie in der Eile finden kann, schließt die Tür auf und steht im Freien. Richtig, da ist das Blatt! Es will ihr auch noch davonlaufen. Da hat sie es schon gepackt und zerkrümelt es mit beiden Händen zu Staub. „Warte nur,“ sagt sie ganz erbittert, „ich will dich lehren, als Gespenst in anständigen Bürgergärten spazierenzugehen.“

      Der Krampf hat sich gelöst. Eine leichte, leere Erschütterung will sie noch schütteln. Aber sie wehrt sich tapfer, geht ins Haus zurück und steigt langsam die Treppen hinauf, indem sie Licht um Licht wieder die Lampen hinter sich auslöscht.

      Leo Landowski ist aufgewacht und sieht ihr erstaunt entgegen, wie sie frisch und lachend, mit einer Bürste in der Hand, das Zimmer betritt. „Ein Blatt…“, sagt sie und weiß nicht, wie sie ihre Dummheit erklären soll.

      „Gott sei Dank,“ antwortete Leo ernst, „ich hatte vorhin nur nicht den Mut.“ Es ist wirklich, als sei nun alles gut. Sie strecken sich beide lang im Bett aus, fassen sich bei der Hand und sind gleich darauf eingeschlafen. Ihre Atemzüge gehen ruhig. Ab und zu zieht noch ein Schatten über das Gesicht Stefanies, will ein Traum sich in Landowskis Schlaf drängen.

      Aber sie spüren es nicht. Sie ruhen tief in dem gemeinsamen Schlaf und werden jetzt eher als Schatten und Traum den Wind hören, der sich dem Morgen zu verstärkt, pfeifend durch die Birke fegt und den Fenstervorhang weit ins Zimmer drückt, so daß er flattert, sich faltet und schüttelt in allerlei komischen Verrenkungen.

      VI

      Die Saison beginnt

      Zwei Tage dauert es noch, bis das Leben ganz in seine gewöhnliche Gangart verfällt. Zwei Tage noch, an denen Stefanie die meisten Telephongespräche ablehnt und Besuche höchstens am Nachmittag empfängt. Leo und Stefanie sind in diesen beiden Tagen viel zusammen.

      Manchmal setzt Stefanie an, von ihrer Reise zu erzählen. Himmel, das schien doch noch auf der Heimreise ganz beachtenswert: der Flirt in Baden-Baden mit dem javanischen Prinzen, der einen so unaussprechbaren Namen hatte und den sie Prinz Etepetete taufte, weil er immer so hübsch saubere Bewegungen und hübsch saubere weiße Anzüge besaß.

      „Da war also in Baden-Baden der Prinz Etepetete,“ beginnt sie, „den hatte ich so getauft, weil…“

      Sie stockt. Denn Leo Landowski führt ihre Erzählung zu Ende: „Mit dem also flirtete ich, weil es mir Spaß machte, daß so viele Frauen sich an ihn herandrängten, die er immer gleich wegschob, wenn ich kam.“

      „Ja, genau so war es,“ nickte sie ernst, „kein bißchen anders. Es wurde dann leider langweilig. Denn er saß immer nur und lächelte liebenswürdig, und manchmal gurgelte er etwas, was wohl eine Schmeichelei war, und manchmal sagte er: ‚S—chöne Frau‘, als wenn er aus Westfalen wäre.“

      „Wann kommt er nach Berlin?“ fragt Leo, „oder vielmehr, wann ist er da?“

      „Ja, denke dir, Amélie Stern hat mir gestern schon von ihm erzählt. Er wird der Clou der nächsten Saison, und darum soll er bei Sterns javanische Tänze vorführen. In Garmisch tanzte ich immer mit einem schönen Mann. Der sagte auch nichts, obwohl er ein Deutscher war. Nachher hieß er Schneisecke. Da bin ich denn in die Schmölz hinausgezogen und habe Sonnenbäder genommen, bis ich gemerkt habe, daß hinter den verschlossenen Fensterläden des gegenüberliegenden Hauses ein reger Verkehr von Männern stattfand, die mir heimlich fernglasbewehrte Augen zuwarfen. Außerdem erklärte der Wirt, daß man die Juden ausrotten müsse, so wenig gegen den einzelnen zu sagen sei.“

      „Schließlich in Sils Maria wurde es ernst,“ erzählt sie am zweiten Tag, während sie gerade wieder in dem Restaurant an der Friedrichstraße essen, „da war ein Herr von Pfennig. An dem war nur der Name komisch. Sonst war er ein reizender, hübscher Kerl, amüsant, klug, sehr jung, ich glaube einundzwanzig. Der wäre mir fast gefährlich geworden. Leider war er aus Wien und hatte dadurch veraltete erotische Manieren, die er für reizvoll und originell hielt.“

      Sie hört mit dem Erzählen auf. Es kommt ihr alles unsäglich albern vor. Sie sieht Leo genau an. Er hat sein höfliches und lachendes Zuhörergesicht, und es ist nicht herauszubekommen, was er denkt.

      „Sag’ mal,“ beginnt sie nach einer Weile zögernd, „bin ich eigentlich weggefahren, um zu abenteuern?“

      „Ich glaube es nicht“, sagt er und steht auf. Als sie wieder am Büro angekommen sind, fügt er beim Abschied hinzu: „Weißt du, mit den Gründen deiner Reise, das werden wir zunächst nicht herausbekommen, und ich schlage darum vor, wir stellen alles eine Weile zu dem anderen Ungeklärten in den Kühlschrank.“

      Stefanie meint, es stünde schon ein bißchen viel im Kühlschrank, aber als sie zu Hause die Sache noch einmal überlegt, kann auch sie zu keinem besseren Ergebnis kommen. Ehrlich sein und ehrlich bemüht sein, nützt noch gar nichts, denkt sie und sieht seufzend die Liste der Gäste vom Montag noch einmal durch, um festzustellen, ob nicht vielleicht doch Feinde zusammen eingeladen sind.

      Es ist das einfach die Liste der Gäste vom vorigen Jahr, und man muß nur wenig ändern. Für den verstorbenen Rechtsanwalt Clessing kommt sein Nachfolger Rechtsanwalt Brettschneider. Den Frauenarzt Dr. Steinkopf kann man nicht mehr mit Sterns zusammen einladen, weil der Getreidehändler schließlich doch zur Kenntnis nehmen mußte, von welchem Leiden Amélie sich bei ihm heilen ließ. Es hat im Falle Steinkopf sogar eine wirklich ernsthafte Auseinandersetzung gegeben. Amélie kann das wunderschön nachmachen. „Du wirst mir noch Hörner aufsetzen“, ruft sie hamburgisch und schiebt einen imaginären Bauch vor sich her durchs Zimmer.

      Also mit Steinkopf geht es nicht. Dafür kann


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