Meine offizielle Frau. Richard Henry Savage
Nachrichten?“ fragte ich.
„Ja, von Dick,“ stiess sie zwischen ihren klappernden Zähnen hervor. „Bringen Sie mich rasch in den Gasthof — es ist hier aussen so kalt!“
Erstaunt führte ich sie in die Vorhalle, wo ein grosser Kachelofen angenehme Wärme ausstrahlte, und ich war im Begriff, sie in dessen Nähe unterzubringen, aber der Fieberschauer hörte auf sie zu schütteln noch ehe sie ins Bereich der Ofenwärme gekommen war. Plötzlich trat sie von mir weg ins Büreau des Gasthofes und bereitete mir eine neue Ueberraschung dadurch, dass sie nachlässig, aber mit weithin vernehmbarer Stimme fragte, ob keine Briefe für Frau Arthur Lenox da seien. Auf die verneinende Antwort hin sagte sie eilig: „Ein Zimmer oben und Nachtessen für zwei Personen.“
Dann lächelte sie mich an und mit einem: „Ich denke, so wird dir’s auch recht sein, lieber Arthur,“ schwebte sie die Treppe hinauf, und ich folgte ihr rasch, um mir erklären zu lassen, wie Frau Dick Gaines dazu kam, in Wilna Briefe unter dem Namen meiner Frau zu erwarten.
Der aufmerksame Kellner flog an uns vorbei und riss die Thüre zu einem prächtigen Gemach auf. In Russland hält man alle Amerikaner für reich, und deshalb bekamen wir das beste Zimmer im Haus.
„Der gnädige Herr befehlen?“ fragte er und verbeugte sich bis zur Erde.
„Das beste Abendessen, das Sie gleich beschaffen können.“
Sofort reichte er mir die Speise- und die Weinkarte, und während ich bestellte, warf Frau Dick ihre Schuba und ihre Pelzmütze auf einen Stuhl.
Nachdem der Kellner gegangen war, wandte ich mich sofort an das hübsche Rätsel vor mir und fragte etwas streng: „Was veranlasste Sie, hier in diesem Gasthof nach Briefen für meine Frau zu fragen?“
„Habe ich das gethan?“ fragte sie unsicher.
„Haben Sie das schon wieder vergessen?“
„Vielleicht habe ich’s gethan,“ entgegnete sie und streifte erregt ihre Handschuhe ab. „Ich war so überrascht und entsetzt über die Nachricht, die mir der Mann — ein Untergebener von Dick — übermittelte, dass ich im Augenblick gar nicht wusste, was ich that.“
„Schlechte Nachrichten von Ihrem Gatten?“ sagte ich mit gelindem Bedauern, denn trotz der zwanzig Jahre, die darüber hingegangen waren, lebte die Erinnerung an meinen alten Stubenkameraden in meiner Brust weiter.
„Bst! Nicht so laut! Hier bezeichnet man Sie als solchen,“ flüsterte sie, „rücken Sie näher zu mir heran.“ Dann sagte sie plötzlich ganz aufgeregt: „Es ist entsetzlich — entsetzlich — ganz entsetzlich!“
„Was ist entsetzlich?“ forschte ich in leisem Flüstern, während ich dicht neben ihr auf dem Sofa Platz nahm. Die schönen nussbraunen Augen glänzten durch einen Thränenschleier zu mir herüber und ihre volle Brust wogte heftig unter ihrer seidenen Hülle — und Nervenanfälle bei hübschen Damen haben mein Soldatenherz stets gerührt.
„Er — er ist — nach — St. Petersburg gegangen!“ stöhnte sie. „Gestern ist er in Geschäften dorthin abgereist. Nun bin ich hier ganz allein. Was soll ich thun, Arthur? Ach Gott im Himmel droben, was soll ich nun anfangen!“ Und nun tropften die Perlen hernieder aus ihren Augen.
„Gestatten Sie der Erfahrung eines Mannes von Welt, Ihnen zu Hilfe zu kommen,“ flüsterte ich begeistert.
Mit einem atemlosen: „Gott segne Sie, Arthur,“ schlug ihr Herz an dem meinen; ihr duftendes Haar lag auf meiner Schulter und sie brach in Schluchzen aus.
„Nicht weinen, nicht weinen,“ flüsterte ich ganz verzweifelt, „was soll denn der Kellner denken?“ Denn Nervenanfälle bei Damen machen mich verlegen, so reizend sie auch sind.
„Ich — ich kann nicht anders,“ flüsterte sie, „ich muss — o, Arthur, Sie sind so gut! Wenn Sie gehen — habe ich keinen Pass. Mein Gepäck nach St. Petersburg aufgegeben — man wird mich vernehmen — vielleicht verhaften, und Sie — Sie, sogar Sie könnte man verdächtigen. Sie haben gehört was Petroff über falsche Pässe sagte — ach Gott, in welche Verlegenheit hat meine Thorheit uns beide gebracht! Und die grässlichen Zeitungen — Dick wird es erfahren!“
Das Zittern, von dem sie bei diesem Gedanken befallen wurde, dehnte sich auch auf mich aus — wenn die Sache in die Zeitungen kam, so musste es meine Frau ja auch erfahren.
„Was soll ich nun thun?“ rief sie, vor Angst erbebend.
„Was thun?“ rief ich von einer plötzlichen Eingebung ergriffen: „Was thun? Nun, mit mir nach Petersburg weiter reisen, um Dick zu treffen!“
„Natürlich!“ antwortete sie. „Wie kindisch von mir, dass mir das nicht gleich eingefallen ist! Ich habe ja eine Fahrkarte! O wie selbstlos und klug, wie edel und überlegt Sie sind, Arthur!“ Dann liess sie mit einem Seufzer der Zufriedenheit wie eine müde Taube ihr liebliches Köpfchen an meine Brust sinken, während ich in einem unsinnigen Anfall von Entzücken meinen Arm um sie schlang.
„Fassen Sie sich, kleine Frau,“ rief ich tröstend, „schluchzen Sie nicht so! Gleich kommt der Kellner und bringt den Thee.“
So ermutigt, lebte Frau Dick wieder auf; als sie bemerkte, dass ich sie im Arm hielt, errötete sie, richtete sich auf und rief ganz vergnügt: „Was uns Ihr Plan Spass machen wird! In zwanzig Stunden sind wir in Petersburg; Sie führen mich ins Hotel de l’Europe, treiben dann Dick auf und erzählen ihm unser Abenteuer. Wird das lustig werden! O, Sie sind mein Schutzengel!“ Und damit begann das unschuldige Geschöpf mit der grössten Freude im Zimmer herumzutanzen, bis der Kellner ein lukullisches Abendmahl auftrug, über das sie mit einem wahren Kinderappetit herfiel, der mich entzückte, denn ich schloss daraus, dass sie meiner Welterfahrung vertraute und deshalb an einen guten Ausgang des Abenteuers glaubte.
Aber während sie lachte, plauderte und ass, fing ich an zu überlegen, und als mir die Schwierigkeiten meiner Lage allmählich klar wurden, verging mir der Appetit, ich hörte auf zu essen, fing an zu trinken und wurde einsilbig, finster und trübsinnig.
Sobald der Kellner draussen war, schmollte sie: „Sie sehen nicht aus, als wären Sie sehr entzückt darüber, mich noch ein paar Stunden länger unter Ihrer Obhut zu haben.“
„Das ist es nicht, aber nachher,“ murmelte ich. „Denken Sie, wenn die Weletsky mich an der Bahn abholen und Sie an meinem Arm sehen; ach du grosser Gott, und wenn ich denke, dass man vielleicht meiner Tochter telegraphiert hat, dass ich komme, und sie am Ende auch auf dem Bahnhof steht! Glauben Sie denn, sie werde nicht wissen, dass Sie nicht ihre Mutter sind, auch wenn alle Bahnbeamten darauf schwören, Sie seien mein rechtmässiges Weib.“
„Ihre Tochter befindet sich in Rjäsan?“ fragte sie.
„Gewiss.“
„Und Sie haben heute von Eydtkuhnen aus telegraphiert?“
„Ja.“
„Dann ist es gar nicht menschenmöglich, dass Ihre Tochter, morgen zeitig genug nach Petersburg kommt.“
„Sie sprechen sehr bestimmt für jemand, dem Russland ganz unbekannt ist.“
„Ich weiss genug, um bestimmt sprechen zu können,“ rief sie heftig; dann schlug sie aber plötzlich einen andern Ton an und stammelte: „Ich weiss übrigens ebenso bestimmt, dass Sie bereuen, mir beigestanden zu haben.“
„Durchaus nicht,“ sagte ich, stöhnte aber gleich darauf: „ach Gott, unser falscher Pass!“
Sie wurde sehr bleich und jammerte: „Sie wollen mich hier zurücklassen — hier ganz allein — Arthur, Sie mich — Sie!“ Damit schwankte sie auf mich zu, ergriff meine Hand und streichelte sie wortlos, aber so ausdrucksvoll, dass ich mich so stolz fühlte wie ein Indianer mit einem frischen Skalp.
„Niemals!“ rief ich. „Sie thörichtes Kind, ich erwähnte ja diese Schwierigkeiten nur, um Ihrer Unschuld all die uns umgebenden Fallstricke zu zeigen, die ich aus Erfahrung kenne, und um Sie ein bisschen zur