Ein Traum von Freiheit. Thomas Flanagan

Ein Traum von Freiheit - Thomas Flanagan


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aus dem spanischen Exil erbaut worden. Um 1750 war er, unterdrückt von den Penal Laws gegen die Katholiken, nach Spanien ausgewandert und hatte geschworen, dort sein Glück zu machen oder zu verderben. Er arbeitete zunächst als Buchhalter und heiratete nach einigen Jahren die Tochter eines anderen irischen Emigranten. Um 1780 war er einer der mächtigen Kaufleute von Alicante, Besitzer von Weinbergen und einer Flotte, die zwischen Spanien und den Küstenstädten Galway, Westport und Killala Handel trieb. Dieselben Schiffe machten auch weniger offene, aber einträglichere Geschäfte. Sie schmuggelten Schnaps und Spitzen, Satin und Seide zu den einsamen Stränden von Connaught. Porträts von Moore und seiner Frau, in spanischer Hofkleidung, hingen in Moore Hall. Aber er war nur halb-hispanisiert gewesen und hatte von Anfang an vorgehabt, nach Mayo zurückzukehren. Er ließ seine beiden Söhne George und John in England von katholischen Hauslehrern erziehen. Und er besuchte 1780 Irland, wo nun durch den Act of Relief Katholiken gestattet wurde, den Gefolgschaftseid für George III abzulegen und Land in langfristiger Pacht zu übernehmen. Wenn er an den Mittelmeerabenden auf der Terrasse seines weißen, flachdachigen Hauses saß und über Mandelbäume und Orangenbäume auf die Bucht von Alicante blickte, dann dachte er an braune Moore und vom Regen durchtränkte Felder in Mayo. Er hatte an Mayo gedacht, als er auf den verwitterten Brettern der spanischen Werften stand und zusah, wie seine Schiffe mit Wein nach Connaught segelten und mit dem grünen und braunen Seetang Connemaras aus Connaught zurückkamen. Und als er sein Vermögen angehäuft hatte, an die 250.000 Pfund, wie in Mayo behauptet wurde, verkaufte er seinen gesamten spanischen Besitz mit Ausnahme der Weinberge und des Hauses im Schatten der Palmen und kehrte heim.

      Er hatte in der Nähe von Ashbrook, seinem Geburtshaus, bauen wollen, war aber bei seiner Inspektionsreise an dem niedrigen, einsamen Hügel von Muckloon vorbeigekommen. Er hielt seine Kutsche an, kletterte auf den Hügel und sah Loch Carra zu seinen Füßen. Hier baute er, nachdem er zuerst den Hügel und achthundert Hektar durch direkten Kauf erworben hatte, was ihm ein neueres Gesetz erlaubte. Ein Architekt namens Aitken wurde aus London geholt und entwarf nach Moores Angaben ein streng symmetrisches, aber elegantes Haus, das mit der exakten Feinheit einer Graviernadel vor seinen Hintergrund aus dichtem Wald gezeichnet war. Drei Kalksteintreppen marschierten wie ein Regiment auf die massive Tür zu, die sich öffnete, um eine Halle unter einer gewölbten Decke zu zeigen, blau wie der Himmel von Mayo, mit ovalen Medaillons aus weißem Stuck. Lange, ehe das Haus vollendet war, hatte er sein Motto über der Tür angebracht: Fortis cedere non potest. Mayo brachte eine freie Übersetzung: »Kratz einen Moore, und du blutest selber.« Über dem Säulengang mit seinen vier Säulen befand sich ein Balkon, hinter dem das Sommerzimmer lag, und hier saß er abends und schaute auf Loch Carra, während die Hämmer der Steinmetze unter ihm widerhallten.

      Er hatte seinen eigenen Krieg geführt und gewonnen. Die Moores waren reicher und mächtiger nach Mayo zurückgekehrt, als sie gewesen waren, ehe das katholische Irland durch James’ Niederlage an der Boyne zerschlagen worden war. Da ihm jegliche Sympathie für tote Ziele fehlte, war er ein treuer, wenn auch zynischer Untertan König Georges und ein gewissenhafter, wenn auch kein frommer Katholik. Er hatte in Moore Hall eine Kapelle gebaut und sie mit einem Altar, Altardecken, die das Weiß ihrer Umgebung mit scharlachroten und goldenen Farbtupfern versahen, und einem massiven goldenen Kreuz aus Spanien ausgestattet. Er hatte die Abschaffung vieler der Penal Laws miterlebt, die ihn in seiner Jugend unterdrückt hatten, und angenommen, daß die übrigen auch abgeschafft werden würden. Er gab den verschiedenen katholischen Organisationen großzügige Spenden, kümmerte sich aber nicht um ihre Unternehmungen. Daß ihm das Gesetz verbot, im Dubliner Parlament zu sitzen, scherte ihn nicht, denn er hatte gar kein Verlangen danach. Ihm war viel wichtiger, daß seine Stimme bei der Auswahl der Männer zählte, die Mayo dort vertreten sollten, und er teilte mit den anderen Gentlemen von Mayo das befriedigende Wissen, daß Dennis Browne sich aufrichtig um ihre Interessen kümmerte. Die Brownes und die Moores kamen aus derselben Welt, und wenn die Brownes ihren Glauben gewechselt hatten, um ihren Besitz zu behalten, war er nicht derjenige, der eine Entscheidung kritisierte, die er selber nicht getroffen hatte. Noch andere Familien des katholischen Landadels waren spärlich über Mayo verteilt: Blakes und Dillons, O’Dowds und Treacys und MacDonnells. Er hatte vorgehabt, daß seine Söhne in diese Familien einheiraten sollten, aber da hatte er die Rechnung ohne das Temperament seines Sohnes George gemacht.

      Eines Abends im Sommer 1795 saß der ältere Moore länger als gewöhnlich in seinem Sessel auf dem Balkon von Moore Hall, und ein Diener, der ihn wecken wollte, stellte seinen Tod fest. George Moore verkaufte sofort seine kleine Villa an der Themse und ließ dann seine Papiere und seine beträchtliche Bibliothek per Schiff nach Mayo schaffen. Er konnte seinen englischen Freunden keine Erklärung geben, nicht, weil er keine hatte, sondern weil er befürchtete, daß sie ihn nicht verstehen würden. Was die Moores hatten, behielten sie, und was sie behielten, war ein Hügel in Mayo, mit Blick auf einen See. Alicante, London, Paris waren die drei Punkte auf seinem Kompaß, aber die Nadel zeigte nach Westen, nach Mayo. London bedeutete ihm so viel und so wenig wie die Orangenhaine von Alicante seinem Vater bedeutet hatten. Sohn und Vater teilten diese fast heimliche Liebe zu einem Ort, eine vergilianische Frömmigkeit.

      Der jüngere George Moore war ein schlanker Mann, etwas größer als der Durchschnitt, aber mit den gebeugten Schultern des Gelehrten, und sein Gesicht war gutaussehend, blaß und gelassen. Er sprach voller Ernst, aber oft mit der Höflichkeit, die sorglos über Ironie geworfen wird. Er war ein Schriftsteller und wollte zum Historiker werden. Sein kleines Buch über die englischen Whigs und die Glorreiche Revolution hatte die Aufmerksamkeit von Burke erregt, und die beiden waren Freunde geworden. Seit einem Jahr befaßte er sich nun mit einem Experiment, einem Versuch, die jüngste Geschichte mit der meditativen Neutralität zu behandeln, die andere Autoren der Vergangenheit widmeten. Er schrieb eine Geschichte des Aufstiegs und der Zerstörung der Girondistischen Partei in Frankreich, und seine Bereitwilligkeit, sich auf ihre Ideale einzulassen, mit ihren Taten, ihren Fehlern und ihrer Torheit zu sympathisieren, hatte mehrere seiner englischen Freundschaften verdüstert.

      In London hatte er zur Holland-House-Gruppe gehört, was seinem Freund Burke sehr mißfallen hatte, und seine Neigung zur Gelehrsamkeit hatte ihn nicht daran gehindert, sich in verschiedene Liebesaffairen einzulassen, die schließlich zu Skandalen geworden waren. In einem Fall war es zu einem Duell mit einem Ehemann gekommen, zum großen Mißvergnügen seines Vaters. Nur weniges an George Moore hatte seinem Vater gefallen, der sich einen praktischen Land-Gentleman erhofft hatte, der sich in nichts von seinem protestantischen Nachbarn unterschied. Und George hatte sich seinerseits darüber gegrämt, daß sein Vater John, das Kind seiner alten Tage, ein erfolgloser Jurastudent, aber hervorragender Jagdreiter, ein lebhafter, temperamentvoller junger Mann, für den George selber eine fast väterliche Zuneigung empfand, so offen vorgezogen hatte. Keiner von beiden war der Erbe, den sich der alte Mann erhofft hatte, aber bei John hatte er Nachsicht gezeigt. Und weil sie niemals darüber sprachen, kamen weder Vater noch Sohn auf die Idee, daß sie eine tiefe, irrationale Liebe zu Mayo teilten.

      Den ehemaligen Sommerraum seines Vaters machte er zur Bibliothek und arbeitete dort, nachdem er sehr früh aufgestanden war, an seiner Geschichte, mit Hilfe zahlloser kleiner Tassen auf französische Art zubereiteten Kaffees. Später frühstückte er unten zusammen mit John und zog sich dann ins Büro zurück, um sich den Angelegenheiten seines Landes zu widmen. Seine Nachmittage verbrachte er im Freien, denn das Gut war noch längst nicht vollendet, und er hatte wie sein Vater vor, es zu einer Gemeinde zu machen, die sich selber versorgen konnte, mit Schmiede, Wäscherei, Bäckerei, Ställen. Eine Stunde täglich jedoch, am späten Nachmittag, saß er auf dem Balkon über dem Säulengang und blickte auf den See. Diese Stunden brachten ihn seinem Vater näher, als er es zu seinen Lebzeiten je gewesen war. In seiner Vorstellung diskutierten Vater und Sohn, machten Pläne für das Gut, debattierten über Johns Zukunft. Die Bediensteten hatten gelernt, daß sie ihn nicht stören durften. Er saß auf dem Balkon, als Cooper in seiner roten Uniform die Auffahrt hochgeritten kam.

      Er empfing Cooper mit ruhiger, zurückhaltender Höflichkeit und führte ihn in sein Büro, wo Cooper kurz vorgab, die Bücher zu bewundern, die aus der überfüllten Bibliothek hierhergebracht worden waren.

      »Ihr habt hier wirklich eine Menge Bücher, Mr. Moore. Ich möchte wetten, daß es hier mehr Bücher gibt als im ganzen restlichen Mayo.«

      »Das


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