Ein Traum von Freiheit. Thomas Flanagan

Ein Traum von Freiheit - Thomas Flanagan


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stand auf dem Balkon und beobachtete die kleine, plumpe Gestalt in der leuchtendroten Uniform. Genau die Art von kleinem Mann, die großen Ärger machen konnte, ein Musterexemplar seiner Art. Als Skeptiker in Glaubensfragen war Moore in London auf seine Gleichgültigkeit konfessionellen Dingen gegenüber stolz gewesen. Hier war es jedoch anders. Unter seiner Verachtung für Coopers törichtes Benehmen hatten die heißen Kohlen des Zornes geglüht. Wie kann dieser unbedachte Bauer es wagen, sich für etwas besseres zu halten als mich, bei diesem Gedanken hatte er sich zu einem bestimmten Zeitpunkt ertappt. Und jetzt, als er Coopers Rücken sich entfernen sah, war die Kohle immer noch warm. Schlechterzogener, vulgärer Mensch, Sproß irgendeines Cromwellschen Soldaten, aber die Geschichte hatte ihm erlaubt, auf diesem Misthaufen von einem Land zu krähen. Clownischer Knecht, bewundernswerter Ausdruck. Er drehte Cooper den Rücken zu und verließ den Balkon.

      Doch nicht einmal beim Abendessen war es ihm erlaubt, Coopers Besuch zu vergessen. John kam zu spät zum Essen und trug immer noch seine Reitkleidung, lose Halsbinde, die blonden Haare fielen ihm in die Stirn.

      »Als Vater noch lebte«, sagte er und griff nach seiner Serviette, »wäre ein Mann wie Cooper niemals Gast in diesem Hause gewesen.«

      Moore blickte von seiner Suppe hoch. »Da irrst du dich. Vater war ein politischer Mann, weit mehr als du oder ich. Und als junger Mann, vor Spanien, mußte er sich vor solchen Burschen hüten. Sie hatten hier zu sagen. Jetzt ist alles ein bißchen besser.«

      »Das sieht vielleicht so aus«, sagte John.

      »In Kilcummin sind Whiteboys aufgetreten. Als Grundbesitzer war ich dankbar für diese Information.«

      »Whiteboys?« fragte John verwirrt. »Ist er da sicher?«

      »Ziemlich sicher«, antwortete Moore. »Er hat mir ihren Brief gezeigt, es war das übliche bombastische Gefasel, besser geschrieben als die meisten. Sie sind nicht ...« Er unterbrach sich und wartete, bis Haggerty Johns Suppe aufgetragen und das Zimmer verlassen hatte. »Sie sind bestimmt keine Rebellen, wenn du das gemeint hast.«

      John sagte nichts. Er nahm seinen Löffel und rührte in seiner Suppe herum. »Ich war bei Malcolm Elliott«, erzählte er. »Seine große kastanienbraune Stute hat gefohlt. Es wird ein entzückendes Tier werden.«

      »Elliott geht es gut, nehme ich an, und auch Mrs. Elliott? Auch sie ist auf ihre Weise entzückend. Ich mag Mrs. Elliott sehr gern.«

      »Es geht ihr gut«, antwortete John kurz.

      »Und Elliott und du hattet zweifellos Zeit für eine lange Unterhaltung über Politik?«

      John legte seinen Löffel auf den Tisch und sah seinem Bruder ins Gesicht. »Ja«, sagte er. »Das hatten wir. Elliott und ich diskutieren oft über Politik.«

      »Es muß eine deprimierende Zeit für Elliott sein«, meinte Moore. »Die Führer seiner Organisation sind in Dublin im Gefängnis, und der Aufstand ist niedergeschlagen.«

      »Sei vorsichtig«, sagte John mit einem Blick auf die geschlossene Tür.

      »Ach, hier bist du schon sicher«, meinte Moore. »Und bei Malcolm Elliott in Moat House wohl auch. Aber überall sonst solltest du besser deine Zunge hüten. Es ist eine schlechte Zeit für Aufruhr. Dieser Wein ist ein bißchen schal. Ist dir das aufgefallen?«

      »Nein«, sagte John. »Wenn du das für Aufruhr hältst, dann bleibst du dabei aber verdammt kalt, George.«

      »Wofür ich das halte, ist nicht der Punkt«, erwiderte Moore. »Es ist ein Verbrechen, das mit dem Galgen bestraft wird.«

      Mehr sagten sie nicht, bis Haggerty mit Hilfe einer unordentlichen Magd den nächsten Gang aufgetragen hatte.

      »Ich will mich nicht in die Politik eines anderen einmischen«, sagte Moore. »Du warst ein Jahr in Dublin. Vielleicht bist du dort in die Gesellschaft eingetreten, vielleicht hat das auch Malcolm Elliott gemacht. Aber als dein Bruder bin ich dankbar dafür, daß du in Mayo in Sicherheit bist, viele Meilen weit weg von der Society of United Irishmen.«

      »Das kann ich mir denken«, sagte John. »Du hast nie irgendwelche Sympathie für die Ideale dieser Gesellschaft gezeigt.«

      »Für ihre Ideale?« fragte Moore. »Sehr große Sympathie.« Er legte sein Messer hin. »Warum können sie in diesem Land das Fleisch nicht richtig zubereiten? Das beste Rindfleisch in Europa, und sie lassen es zu Asche verbrennen. Man könnte doch annehmen, daß sie mit ihrer langen Tradition des Brandstiftens ...«

      »Nicht genug Sympathie, um sie ernst zu nehmen.«

      »Ich habe mehrere Führer der United Irishmen getroffen. Ich kenne Tom Emmett und MacNevin. Und ich habe viele Männer wie sie gekannt, in Frankreich, in den ersten Revolutionsjahren. Freiheit, Gleichheit. Sie wollen alles Richtige, alles Bewunderswerte. Und es endet mit einem Gemetzel.«

      »Das muß nicht so sein«, widersprach John.

      »In der Geschichte ist es aber so«, sagte Moore.

      »Sein Land von Unterdrückung zu befreien gilt normalerweise als Tugend«, erklärte John. »Zum erstenmal in der Geschichte dieses Landes haben sich Protestant und Katholik in einer gemeinsamen Sache zusammengeschlossen.«

      »Ein Zusammenschluß von einigen Dubliner Juristen und beschäftigungslosen Anwälten, ein paar katholischen Ärzten und Kaufleuten. Aber als der Aufstand in Wexford ausgebrochen ist, hatten die United Irishmen keine Kontrolle darüber. Glaubst du, die Bauern von Wexford hätten Tom Paine gelesen? Es war ein Aufstand der Bauern gegen die Wohlhabenden, der Papisten gegen die Protestanten. ›Die Gälische Armee‹ haben sie sich genannt.«

      »Um sich Freiheit zu wünschen, braucht man doch nicht Tom Paine gelesen zu haben«, sagte John.

      »Wie recht du hast«, erwiderte George. »Aber du solltest das deinen Freunden sagen, nicht mir. Sie haben sich eine Republik in den Kopf gesetzt, aber die Bauern, die für sie kämpfen, denken an etwas anderes. Wenn Bauern sich gegen Unterdrükkung wehren, dann werden sie brutal, gewalttätig. Diese Anwälte in Dublin wissen nichts über die irischen Bauern. Ich glaube nicht, daß Wolfe Tone je mit einem gesprochen hat. Ich glaube auch nicht, daß er dazu fähig wäre.«

      »Aber du gibst zu, daß sie unterdrückt werden.«

      »Aber natürlich.« Moore schob ungeduldig seinen Teller beiseite. »Die Grundbesitzer dieser Insel sind im allgemeinen barbarisch und blöd. Eine gefährliche Kombination. Männer wie Cooper sind unerträglich. Sogar Dennis Browne ...«

      »Welche Hoffnung besteht aber dann für das Land, außer ...«

      »Ach John. Du kannst das hier doch nicht als Land bezeichnen, diesen schrottreifen Seelenverkäufer, der auf dem Atlantik treibt. Du hast Frankreich und England und Spanien gesehen. Du weißt, was eine Nation ist. Frankreich befreit sich gerade aus einem Krampf, aber es ist eine Nation geblieben. Irland ist nie eine Nation gewesen. Es kann keine sein. Wir haben uns zu lange gegenseitig zerfleischt, und wir haben zu viel zerstört.«

      John lachte. »Bei Gott, wenn du Irland so kompliziert findest, wie kannst du dann eine Geschichte der Französischen Revolution schreiben wollen?«

      »Das ist gar kein Problem«, erklärte George. »Die Französische Revolution ist nur eine folgenschwere Umwälzung, die den Lauf der Geschichte der Menschheit verändert hat. Ich könnte niemals eine Geschichte Irlands schreiben.«

      »Jetzt sind die meisten von ihnen im Gefängnis«, sagte John. »Wenn ich in Dublin geblieben wäre, wäre ich das vielleicht auch.«

      »Tone nicht«, korrigierte George. »Tone ist immer noch in Frankreich und macht Ärger. Nicht alle Schurken der Welt befinden sich in Irland.«

      »Ich wünsche ihm alles Gute«, sagte John leise.

      George warf ihm einen scharfen Blick zu und lächelte leicht. »Du glaubst mir kein Wort, nicht wahr?«

      »Ich glaube jedes Wort«, antwortete John. »Sie spielen keine Rolle. Ich weiß, was dieses Land


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