Ein Traum von Freiheit. Thomas Flanagan

Ein Traum von Freiheit - Thomas Flanagan


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wurden MacCarthys Gedichte auch anderen Dichtern bekannt, wurden in Schenken aufgesagt, die er nie besucht hatte, von Männern, deren Gedichte er selber kannte, verbunden im Freimaurertum der Sprache. Er war in den Häusern des alten Landadels willkommen, wo immer noch Irisch gesprochen wurde und wo Bienenwachskerzen Wände erleuchteten, an denen Schwerter hingen, die hundert Jahre zuvor mit Sarsfield in die Schlacht gezogen waren. Harfen und Sackpfeifen verstummten, und MacCarthy wurde hervorgerufen, um seine Verse zu zitieren, und der Landadel, O’Connors und Frenches und MacDermots, die auf irgendeine Weise ihr Land hatten behalten können, nickten beifällig. Silber und Goldmünzen für einen Dichter, der eine dünne Brücke aus Worten in die Vergangenheit baute, in eine Welt, die am Boyneufer und am Shannon verlorengegangen war, die unter dem blutigen Schlamm von Aughrim begraben lag. Er hatte seine Aislinge und Klagen für die großen katholischen Häuser und Lieder für die Schenken, Liebeslieder und Trinklieder, das lockere kupferne Wechselgeld seiner Kunst. Seine häufige Betrunkenheit, sein lockerer und leichtlebiger Umgang mit Frauen, sein unbeherrschtes Temperament, seine sardonische Art wurden akzeptiert, gewissermaßen als Nebenwirkungen seines Handwerks. Er und seine Dichterkollegen waren die Überlebenden eines alten Ordens, wie der verarmte katholische Landadel mit seinen verblassenden Ahnentafeln und seinen nutzlosen, verzierten Schwertern.

      Es gab Zeiten, wenn die Gänsefeder neben der Talgkerze kratzte, da MacCarthy in einem kalten, perfekten Schweigen lebte, das nur vom Klang der Worte in seiner Phantasie gebrochen wurde. Aber es gab auch andere Momente von kaltem Zweifel, die die Hand schlugen, die die Feder hielt, die die Finger gefrieren ließen. Seine Gedichte feierten die alten Herzöge, die O’Neills und O’Donnells, aber was hatten die am Ende denn getan, außer sich mit ihren Familien nach Spanien einzuschiffen und ihre Leute im Dreck steckenzulassen, wo sie noch heute saßen? Sie machten schöne Gedichte über Irlands Liebling, Patrick Sarsfield, der nach der Niederlage von Limerick mit seiner irischen Armee nach Frankreich segelte, aber kaum jemand sprach von ihren Frauen, die schreiend und heulend hinter den Schiffen herliefen und ihre Kinder hoch über ihren Köpfen hielten. Schöne Gedichte über König James, den königlichen Stuart, aber nicht eines sagte, was jeder Dichter wußte, nämlich daß die Bauern, die mit den Bajonetten in die Schlacht getrieben worden waren, ihn »Séamus den Scheißer« genannt hatten, weil er so schnell von der Boyne geflohen war, daß er den Boten, der die Nachricht von der großen Niederlage in den Süden bringen sollte, weit hinter sich zurückgelassen hatte. Rubine im Dreck, die legendären Namen, O’Neill, Maguire, Sarsfield. Die Dichter hoben sie auf, polierten sie und setzten sie in ein Filigran aus Worten, um ein Volk ohne Hoffnung zu trösten.

      Es stimmte, daß MacCarthy weit durch seine Welten von Munster und Connaught gereist war, aber er log, wenn er behauptete, in Antrim gewesen zu sein, und er war nie in die Nähe von Dublin gekommen. Ein Netz von Schenken stand einem guten Dichter offen, und MacCarthy hatte in Bantry und Macroom und Ballyvourney, in Limerick und Ennis und Galway gesprochen und getrunken. Aber er kannte seine Welt gut genug, um zu wissen, daß es dahinter noch eine andere Welt gab, von der er überhaupt nichts wußte. In seiner Jugend und zur Zeit seines Vaters, seines Großvaters und seines Urgroßvaters, waren irische Jungen auf Schmugglerschiffen nach Frankreich gereist, um König Louis zu dienen, und jetzt war der letzte König Louis tot, sein Kopf war in ein Faß gerollt, abgehackt von einer großen Maschine mit einer riesigen Klinge in der Mitte. Keine Lieder würden mehr über die irischen Brigaden in französischen Diensten geschrieben werden, und in den Häusern des katholischen Landadels, der sich jetzt genauso vor Frankreich fürchtete wie die Cromwellschen Junker, wurde nicht mehr auf König Louis angestoßen.

      »O the French are on the sea, says the Sean Bhean Bhocht«, die arme alte Frau, die Irland personifizierte. Auf irgendeine Weise war dieses dämliche Liedchen nun schon über ein Jahrhundert im Umlauf. Und jetzt waren die Franzosen vielleicht tatsächlich auf dem Meer, aber durchaus nicht dieselben Franzosen. Es waren die Franzosen, die König Louis Kopf abgehackt hatten und vielleicht für König George dasselbe planten. Vor zwei Jahren war ihre große Invasionsflotte in die Bucht von Bantry gesegelt, war aber von den protestantischen Winden an der Landung gehindert worden. MacCarthy kannte diese Bucht gut, ein langer, dünner Arm der See; Männer mußten in den Türen der Hütten gestanden, den Abhang hinunter auf Schiffe mit hohen Masten gestarrt haben, eine fast erfüllte Prophezeiung. Nun, wo Teile der Insel im Aufstand waren, hieß es, daß sie wiederkommen würden. Rebellenlieder waren den ganzen Frühling über nach Connaught geströmt, schienen aber im Shannon zu ertrinken. Unvorstellbar die Rebellion im Süden, viel mehr als die in Ulster, eine Schar von Tausenden auf den Straßen, mit Piken bewaffnete Bauern. Was hatte das mit O’Neill in leuchtendgelben Kleidern zu tun, mit von Juwelen funkelndem Gürtel, oder mit Patrick Sarsfield in weißem Satin, mit roter Seidenschärpe, mit Silbergriff am Schwert? Und was hatte die Geschichte überhaupt mit den zerklüfteten Stränden von Mayo zu tun? Mayo drehte seine eigenen Kreise, Geisel seiner eigenen weiten Felder, seiner Steine, seines Grases und seines Torfs.

      Was war mit MacCarthy selber, einem Mann, der niemals Land haben würde, nicht mehr als sein Vater? In alten Zeiten, hieß es, hatten die Dichter an den Tafeln von Clanhäuptlingen und Lords gesessen, aber Irland war dreimal gebrochen worden, von Elisabeth, von Cromwell und von William. Alle Dichter waren jetzt Heckendichter, die ihre Ehre suchten, wo sie sie finden konnten. Einmal in West Cork, in der Nähe von Macroom, war er eines warmen Nachmittags um eine Kurve gebogen und hatte vor sich ein großes Haus aus behauenem Portlandstein mit großen weißen Säulengängen und acht hohen Pfeilern gesehen, die auf der Veranda aufragten. Eine Kutsche kam die Allee entlang, und MacCarthy trat beiseite, um sie vorüberzulassen: Ein Gentleman in feinstem Samt, mit weißer, glänzender Wäsche, mit weißem, glänzendem Gesicht, präsentierte sich der Sonne. Nun, dachte MacCarthy, wenn ein Dichter für die Herren schreibt, dann müßte ich für diesen Junker Jenkins oder Colonel Bumpkin schreiben. Aber wenn er mich überhaupt sieht, dann sieht er einen einfältigen Spalpeen, der auf Arbeitssuche die Straße entlangwandert. Und was mich betrifft, ich schreibe von Clanhäuptlingen, deren zerfallene Wachttürme, im Moor oder auf Landzungen, heute als Kuhställe dienen.

      3

      Aus den Notizbüchern von George Moore, Esq.,

      von Moore Hall, Ballintubber, Co. Mayo,

      Autor von »Der Triumph der Whigs«,

      »Eine Antwort an Mr. Saurin« u.a.

      Dienstag. Die Girondisten waren vor allem auf ihre Redekunst stolz, und sicher wird man sich wegen ihrer Redekunst an sie erinnern. Der erste dieser Umstände kann ihre Schwächen definieren, der zweite mag als ihre Grabinschrift dienen. »Hier liegen, kopflos, gewisse hochgemute öffentliche Persönlichkeiten. Sie sprachen gut.« Aber welche Redekunst, welche abstoßende und fade Brühe von Racine und Rousseau! Sorgsam ausgearbeitete Figuren, formlose Überschwenglichkeit, pathetische autobiographische Vertraulichkeiten, unter Jubelrufen zur Schau gestellt. Und ihre Lieblingspose, die des strengen alten Römers, ein Typus, der überhaupt nichts mit Rousseaus onanistischen Ekstasen gemein hat.

      Ich erinnere mich gut an Vergniauds Rede vor dem Konvent, als er beschlossen hatte, die Geschichte neu zu datieren, seit der herbstlichen Tag-und-Nachtgleiche des Jahres, das wir auf unsere todgeweihte Art als 1792 bezeichnen, das für die Franzosen nun jedoch das Jahr I ist. Es war derselbe Herbst, der die September-Massaker erleben mußte, die die Girondisten schockierten, gegen die sie aber nicht zu protestieren wagten. Da stand er, in seiner hohen, würdevollen Rechtschaffenheit, eine Hand auf der Brust, die andere hoch in die Luft erhoben, und gratulierte sich und allen, die ihn hören konnten, weil sie in der Entbindungskammer von Freiheit und Gerechtigkeit wohnten. Von diesem Moment an haben sie sich bei jeder Krise ihrer Angelegenheiten in die Redekunst verkrochen wie ein Fuchs in seinen Bau, während ihre unversöhnlichen Gegner draußen ihre Macht festigten. Bis ihre Feinde sie schließlich in der grausamen Falle schnappten, die durch die Frage der Hinrichtung des Königs gelegt worden war. Denn die Girondisten lehnten seinen Tod entschieden ab, waren inzwischen jedoch so gründlich verängstigt, daß sie sich nicht auf Beredsamkeit, sondern auf Schweigen verlegten, mit Ausnahme des einzigen Wortes »mort», durch das sie für seine Hinrichtung stimmten. Und bei dieser Gelegenheit hörten wir eine authentischere Beredsamkeit, in der sich Stahl und Terror verbargen. Hier ist der junge Saint-Just, Robespierres heiliger Johannes, zur Frage


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