Ein Traum von Freiheit. Thomas Flanagan

Ein Traum von Freiheit - Thomas Flanagan


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in die Nacht redeten, mit einer Flasche Schnaps neben ihnen auf dem Schreibtisch.

      Am nächsten Morgen ritt er weiter. Landarbeiter auf den Feldern links der Straße hoben zum trägen Gruß für einen Fremden die Arme, und Moore berührte die Krempe seines flachen Hutes mit der Reitpeitsche. Rechts von ihm, auf die Bucht zu, erstreckten sich die hohen Mauern von Glenthornes Gut. Moore, ein großer junger Mann auf einem großen Pferd, konnte nur ab und zu, durch die dichtstehenden Bäume hindurch, einen Blick auf Glenthorne Castle werfen, das weiß und undeutlich im Dunst des frühen Morgens lag.

      Eine Meile vor Killala schlug er eine Nebenstraße ein, die zur Hauptstraße nach Ballycastle führte. Vier Meilen weiter überquerte er einen Bach und ritt durch ein Eingangstor auf Bridgeend House zu. Es war ein schlichtes, zweistöckiges Bauernhaus, bescheidener als seine prächtigen Tore, errichtet mit dem Rücken zu seiner Allee, mit Blick nach Norden auf einem Hügelkamm. Als er näherritt, konnte er in der Ferne die Bucht erkennen.

      Er stieg ab, band die Zügel an einen Pfahl und ging über einen gewundenen Kiesweg auf das Haus zu. Ein Diener führte ihn in den Salon, wo er fast sofort von Thomas Treacy begrüßt wurde, einem großen, gebeugten Mann in den Fünfzigern, dessen weiße Haare ihm voll und locker in den Nacken fielen. Er nahm Moores Hand zwischen seine beiden Hände.

      »Ihr seid höchst willkommen, John. Höchst willkommen.«

      »Und ich bin sehr glücklich, Euch zu sehen, Sir. Ich habe in Killala mit Randall MacDonnell etwas zu besprechen, aber nichts könnte mich daran hindern, mein Pferd auf die Straße nach Ballycastle zu lenken, um Euch meine Aufwartung zu machen.«

      »Ihr werdet die Nacht hier verbringen«, sagte Treacy. »Ich kann Euch ein viel saubereres Zimmer anbieten, als Ihr bei den MacDonnells finden werdet.«

      »Ich will nicht widersprechen«, erwiderte Moore, »und es ist angenehm, sich auf ein sauberes Bett freuen zu können.«

      »Sie sind eher Pferd denn Mensch«, sagte Treacy. »Wie die heidnischen Zentauren.«

      »Sie kennen sich aus mit Pferden«, meinte Moore. »Besser als jede andere Familie in Mayo.«

      »Das mag wohl so sein«, gab Treacy zu. »Aber dieses Wissen haben sie sich ehrenhaft erworben. Ein MacDonnell hat eine Schwadron von König James’ Kavallerie kommandiert. Er hat sich nicht ausgezeichnet. Setzt Euch, John. Setzt Euch. Wir werden sofort Tee bekommen, wenn diese faule Dirne von einem Mädchen sich überhaupt um meine Befehle kümmert. Geht es George gut?«

      »Durchaus. Er ist mit seinen Kritzeleien beschäftigt.«

      »Es ist eine Ehre für den County, daß ein Gelehrter wie Euer Bruder hier residiert. Vielleicht wird er eines Tages seine Forschungen über die französischen Königsmörder abschließen und sich der Geschichte seines eigenen Landes zuwenden.«

      »Ich glaube nicht, daß George jemals mit seinen Franzosen fertig werden wird. Er weiß viel Kluges über sie zu sagen, und Klugheit entzückt ihn. Er würde in Mayo sicher wenig finden, über das er Kluges sagen könnte.«

      »Da irrt Ihr Euch aber sehr, John. Vielleicht seid Ihr zu lange fort gewesen, George und Ihr selber. Euer Vater war dieser Ansicht, Gott habe seine Seele gnädig. Unsere tiefsten Wurzeln stecken in der Erde unserer Kindheit.«

      »Aber ich habe Mayo von Kindheit an gekannt«, sagte John. »Vater hat mir oft davon erzählt. In all den Jahren in Spanien hatte er Heimweh. Er hat oft über Euren Vater gesprochen.«

      »Ah«, erwiderte Treacy lächelnd. »Zwischen unseren Familien hat immer eine innige Freundschaft bestanden. In den schwarzen Tagen hatten wir viel zu leiden, wir alten Familien von Mayo. Das wäre ein passendes Thema für Georges Feder, nicht die pöbelhaften Königsmörder von Paris. Ein schwarzes Jahrhundert, das mit der Katastrophe von Aughrim begonnen hatte. Sie haben sich alle Mühe gegeben, uns zu Barbaren zu machen und auseinanderzubringen. Aber wir sind zäh, ein zähes Volk, John. Euer Vater ist der Beweis.«

      Treacy lächelte grimmig, ein bißchen selbstzufrieden, stolz auf sein Überleben. Dazu hat er auch allen Grund, dachte John. Aber wie viele andere Familien waren untergegangen, verschwunden, ihre Namen existierten nur noch als sinnlose Bezeichnungen für Gemeinden und Hügel. Die Brownes hatten überlebt, weil sie Protestanten geworden waren, die Moores im Exil; O’Dowds und MacDonnells waren zu Bauern geworden, zu verlegenen Tölpeln. Und bei den Bauern gab es Familien, die ihren alten Adel vergessen hatten, die aber vielleicht eine zerbeulte silberne Teekanne aufbewahrten, ein Kleid aus verschlissenem und speckigem Satin, das von der Mutter an die Tochter weitergereicht wurde. Ein passendes Thema für einen Künstler des Pathetischen und Pittoresken, zu gering für die Feder seines Bruders.

      »Ein uraltes Rittertum«, fuhr Treacy fort, der sich für dieses vertraute Thema erwärmte. »Vernichtet von Cromwells Pöbel und von William, dem Holländer. Mayo war einst für seine Frömmigkeit und seine Gelehrsamkeit berühmt.« Seine Hand gestikulierte vage, versuchte, Jahrhunderte zu fassen zu bekommen. »Unsere frühe Geschichte. Ihr habt die Ruinen unserer Kirchen, unserer Klöster gesehen. Eine der schönsten steht dachlos auf Eurem eigenen Land. Ballintubber.«

      »Auf dem Land meines Bruders«, korrigierte John.

      Treacy hörte ihn nicht. »Wir waren Vogelfreie auf unserem eigenen Land. Unsere Söhne wurden zum Abfall vom Glauben aufgefordert. Sergeants und Corporals, der Bodensatz der englischen Städte, wurden als Richter über uns gesetzt. Das ist der Stoff für ein Epos, Junge, ein passendes Thema für einen Vergil. Aber wir haben überlebt. Wir wurden nicht ins Moor gezwungen.«

      »Es waren schlimme Zeiten für uns«, sagte Moore. »Traurige Zeiten. Vielleicht ändert sich das jetzt. In Wexford ...«

      »Wexford! Bauern, brutale Bauern haben mit Piken und Sensen um sich geschlagen und gemordet. Betrunkene Whiteboys haben gesengt und gemetzelt!«

      Er war hoffnungslos, Moore hatte es gewußt. Er zelebrierte einen tröstlichen Mythos, zählte die Kettenglieder seiner Knechtschaft wie die Perlen des Rosenkranzes.

      »Die Zeiten könnten sich ändern«, sagte er. »Wenn die Franzosen vor zwei Jahren gelandet wären ...«

      »Mit zehntausend von solchen Schurken und Waffen für fünfzigtausend Whiteboys? Nein, nein, es hat eine Zeit gegeben, die Zeit meines Großvaters, als Schiffe aus Frankreich die Irischen Brigaden bedeutet hätten, die Rückkehr der Wild Geese. Das ist vorbei. Diese blutrünstigen Schurken sind genauso schlimm wie Cromwells Leute. In Mayo hat es auch angefangen. Wir haben jetzt unsere eigenen Whiteboys. Sechs Güter sind überfallen worden.«

      »Sechs?« fragte Moore verblüfft. »Doch sicher nur zwei?«

      »Sechs«, wiederholte Treacy. »Und das letzte Mal war das schlimmste von allen. Saunders’ Scheunen sind letzte Nacht überfallen worden, die Strohdächer wurden angesteckt und die Wände dem Erdboden gleichgemacht.«

      »Das ist eine ernste Angelegenheit«, meinte Moore nachdenklich. »Sechs Güter in zwei Wochen. Das ist eine kleine Rebellion.«

      »Ach, das sind doch bloß Whiteboys. Cooper wird sie mit seiner Miliz jagen. Es ist höchste Zeit, daß diese kleinen protestantischen Bastarde etwas anderes tun als ihre Trommeln zu schlagen.«

      »Und alles, weil Cooper ein Stück Land zur Weide machen wollte. Mysteriös.«

      »Sie wissen nicht, was sie wollen«, sagte Treacy. »Es hat schon vor dreißig Jahren in Killala Ärger mit Whiteboys gegeben, als ich jung war. Damals ging es um Steuern und hohe Pacht, jetzt um Weideland. Aber dahinter steckte eine dumpfer, schwarzer Haß: Sie wußten nicht, was sie wollten, aber sie wußten, was sie haßten. Kneipenpoeten und Wahrsager hatten sie aufgestachelt. In Galway und Mayo gab es eine Prophezeiung, Irland würde befreit werden, wenn rotes Blut im Mühlbach von Oranmore flösse. Und diese Prophezeiung haben sie in ihren Briefen erwähnt.«

      »Ihr Brief ist jetzt so ähnlich«, sagte Moore. »Cooper war damit in Ballintubber und hat ihn George gezeigt.«

      »Aber sicher doch«, meine Treacy. »Die sind immer so. Immer


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