Das Frühstück der Langschläferin: Ein Unterhaltungsroman auf Leben und Tod!. Tor Åge Bringsværd

Das Frühstück der Langschläferin: Ein Unterhaltungsroman auf Leben und Tod! - Tor Åge Bringsværd


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Frauen ohne Fays Vorzüge, für die Heerschar der Flachbrüstigen, für Tausende von amerikanischen Vogelbrüsten stellte Silikon eine verlockende Versprechung dar und die Hoffnung auf einen sexuellen Jackpot.

      (Flüssiges Silikon wird in die Muskeln und ins Gewebe um den Busen gespritzt. Dadurch vergrößert sich der Busen und wird hart und fest. Die Wirkung läßt mit der Zeit nach und neue Injektionen werden nötig. Was mit dieser fremden Flüssigkeit eigentlich passiert, weiß niemand, und niemand ist bislang daran interessiert, das herauszufinden. Der größte Teil bleibt dort, wo er sinnvollerweise bleiben soll. Das wird bald sehr deutlich. Aber einiges fließt weiter, wandert in den Körper – wie kleine Seen – verschwindet anscheinend, besteht aber aus Stoffen, die nie abgebaut werden können. Allein in Los Angeles gibt es über hundert Ärzte, die dieses Geschäft betreiben. Die eigentlich nichts anderes tun. Die ihre Ausbildung und ihre Zeit dazu benützen, flache Busen aufzupumpen. Und die daran unverschämt gut verdienen.)

      Die meisten sind Hausfrauen. Viele nehmen aber auch ihre Töchter mit – kleine, pickelige Teenager, die nicht schnell genug reif werden ...

      Auch Vera war in Versuchung, wie Fay wußte. Die kleine, zarte Vera Farrow. Fay lächelte. Vera hätte es nötig. Sie hätte so manches nötig. Die kleine, graue Büchermaus mit glänzenden Knopfaugen ... Vera war sechs Jahre älter. Trotzdem fühlte sich Fay manchmal wie eine große Schwester. Vera wußte mehr, konnte mehr – daran lag es nicht –, aber trotzdem ... Sie erinnerte sich gut an den Abend, an dem Vera nach Hause kam und von Silikon zu reden anfing. Fay hatte geknurrt. Vera hatte geheult. Vera war damals in irgend einen Freddy verliebt. »Dann machst du es wegen Freddy? Glaubst du, er würde eines Tages hergehen und sich seinen Schwengel um deinetwillen operieren lassen? Glaubst du, er würde eines Tages hergehen und sich seinen Unterleib düngen lassen, damit sein Ding steifer, länger und dicker wird? Den Teufel wird er tun! Ich kenne die Typen!«

      Danach hatten sie eine Woche lang nicht mehr miteinander geredet.

      Fay Hideway war 22 Jahre und arbeitete als Zimmermädchen in einem zweitklassigen Hotel nicht weit vom Times Square. Die Gäste waren überwiegend japanische Geschäftsleute – Kameras und Stereogeräte. Manchmal wurde sie nach der Arbeit von ihnen eingeladen. Wenn sie nichts anderes vorhatte, sagte sie zu. Genauso wie die anderen Mädchen im Hotel. Im Moment war sie mit keinem Bestimmten zusammen. Deshalb hatte sie Zeit genug. Haufenweise Zeit. Sie hatte einmal davon geträumt, Schauspielerin zu werden. Aber das war lange her. Über ein Jahr. Sie war in einem Amateurtheater gewesen, das sonntags im Central Park auftrat – und sowohl Hazel wie Vera hatten treu und brav jedesmal zugeschaut. Jede Vorstellung wurde damit eröffnet, daß Fay – mit entblößtem Oberkörper, aber unkenntlich als Clown geschminkt – gesungen hatte. Vor allem, um die Leute anzulocken. Um Aufmerksamkeit zu erregen. Beabsichtigt war, daß sie so lange sang, bis mindestens dreißig Leute (egal welchen Alters) versammelt waren. Und es war jedesmal derselbe Song:

      That don’t worry me

      That don’t worry me

      You may say that I ain’t free, but

      That don’t worry me

      That don’t worry me

      That don’t worry me

      You may say that I ain’t free, but

      That don’t worry me

      Und Fay hatte die Augen geschlossen, war wiegend vor- und zurückgegangen und hatte mit heiserer, verschleierter Stimme leicht falsch gesungen ...

      That don’t worry me

      That don’t worry me

      Aber dann hatten sie und Matt Schluß gemacht ...

      Sie litt keinen Mangel an männlichen Freunden. Das war nicht das Problem. Aber so wie mit Matt würde es nie wieder werden. Sie erinnerte sich an einen ihrer letzten gemeinsamen Abende. Sie standen auf der Spitze des Empire State Buildings und starrten nach Süden zu den Lichtern der Wall Street – deuteten hinüber zu Marine Midland, Chase Manhattan, Woolworth, The Flatiron, The Toy Center. Plötzlich wurde Matt ernst. »Weißt du ...«, sagte er. »Jedesmal, wenn wir hier oben sind, denke ich an eine andere Fay. Erinnerst du dich? Fay Wray?«

      »Die Filmschauspielerin?«

      »Genau.«

      »Was ist mit ihr?«

      »Erinnerst du dich an King Kong?«

      Fay nickte und schmiegte sich enger an ihn. Matt zündete sich eine Zigarette an. Das pflegte er immer zu tun, wenn er etwas Wichtiges zu sagen hatte. Seine Augen fixierten das World Trade Center.

      »Das ist im Grunde der schönste Liebesfilm, den ich je gesehen habe«, fuhr er fort. »Die Schöne und das Ungeheuer ...«

      »Ich weiß nur noch, daß ich Angst hatte. Aber es ist lange her ...«

      »Amor und Psyche ...«

      »War dieser King Kong nicht ein gefährliches Monster?«

      »Er ist ein Riesengorilla von der Größe eines Krans. Er herrschte über Skull Island – eine vergessene Insel, auf der die Entwicklung stehengeblieben war, wo Flugeulen und Dinosaurier der Vorzeit noch ein Refugium hatten. Dorthin kommt ein Filmteam, um einen billigen Gangsterfilm zu drehen. Zu ihnen gehörte Fay Wray – blaß und schön, zerbrechlich wie ein Porzellanpüppchen. Sie wird von den Eingeborenen gefangen, um King Kong geopfert zu werden. Und King Kong nimmt das Opfer an, aber nicht so, wie man erwartet hatte – er verliebt sich in sie.«

      »Verliebt sich in sie?«

      »Er hebt sie behutsam hoch, balanciert sie auf seiner Handfläche ... benimmt sich wie ein verliebter Teenager.« Matt streichelte sie mit der Hand im Nacken. »Eine ziemlich hoffnungslose Liebe –«

      »Und sie?«

      »Weicht zurück. Schreit. Begreift nicht.«

      »Ich weiß nur noch, daß sie ihn fingen und mitnahmen nach New York.«

      »Sie fingen ihn. Setzten Gasbomben ein. Legten ihn in Ketten. Demütigten und mißhandelten ihn. Zeigten ihn gegen Bezahlung. Sein einziger Trost war, daß er ab und zu seine geliebte Fay zu sehen bekam ...«

      »In deiner Erinnerung ist der Film völlig anders als in meiner. Ich weiß nur, daß er ein Monster war. Und daß er entkam – war es nicht so? Und daß er beinahe ganz New York kaputtgeschlagen hätte!«

      »Um sie zu beschützen. Alles, was er tut, tut er aus Liebe zu ihr. Ein Fotograf knipst mit Blitz. Kong versteht es falsch. Er denkt, Fay ist in Gefahr. Mit lautem Gebrüll sprengt er seine Fesseln und zertrümmert seinen Käfig ... Dann wütet er wie ein Berserker. Nie hat ein Geschöpf so leidenschaftlich und verzweifelt für seine Liebe gekämpft.«

      »Und dann kommt doch die Szene auf der Spitze des Empire State Buildings. Mit all den Flugzeugen.«

      »Kong war bis zur Spitze geklettert. Er glaubt, endlich einen sicheren Platz für Fay gefunden zu haben. Er ist verrückt vor Angst um sie. Doch die Air Force setzt ganze Schwärme von Sturzflugzeugen gegen ihn ein. Kong setzte sich zur Wehr, wird aber verletzt, von tausend Schüssen getroffen. Er weiß, daß er fertig ist. Aber mit letzter Kraft ... unendlich behutsam als wäre es ein verletztes Vogeljunges, legt er Fay geschützt vor den Angreifern auf einen Absatz, außerhalb der Reichweite der Schüsse. (Sie war wie üblich ohnmächtig geworden.) Und kämpft weiter. Bis in den Tod ...« Matt beugte sich nach vorne bis zur Kante und starrte hinunter, hob dann wieder den Blick und schaute nach Süden – Richtung Down Town und Wall Street. »Ich weiß noch, wie ich geheult habe, als er fiel. Als er wie ein behaarter, blutender Engel tief hinunter auf die Straße stürzte.«

      »Engel!?«

      »Er war unschuldig wie ein Kind. Stolz. Edel. Was waren gegen ihn all die menschlichen Freunde und Freier von Fay Wray? Dreck! Mit diesem Eindruck saß man am Ende des Films im Kinosaal. Gemeine und dreckige Schweine, die nur an Geld dachten. Betrügerisch und gierig. Und für die entschied sie sich! Ich weiß noch, daß ich vor Wut heulte. Ich war so verbittert, daß ich heulte!«


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