Das Frühstück der Langschläferin: Ein Unterhaltungsroman auf Leben und Tod!. Tor Åge Bringsværd

Das Frühstück der Langschläferin: Ein Unterhaltungsroman auf Leben und Tod! - Tor Åge Bringsværd


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gebeugt. Nur Chrysler hatte standgehalten.

      Falls ich mir jemals ein Auto kaufen sollte, dachte Felix Bartholdy (stillschweigende Voraussetzung: falls ich New York verlassen sollte) – dann muß es ein Chrysler sein.

      Gefährliche Gedanken! fuhr es ihm plötzlich durch den Kopf. Wörter und Buchstaben! Da sitze ich hier und lasse mich von einem verdammten Wolkenkratzer überrumpeln! Lieber weiterzählen!

      250 001 – 250 002 – 250 003 ... Weit entfernt (vermutlich standen sie direkt neben ihm) hörte er zwei Menschen leise miteinander reden.

      »Er ist geisteskrank«, sagte eine Frauenstimme, die er bis jetzt noch nicht gehört hatte. »Der Kerl ist ja völlig wirr im Kopf.«

      »Überhaupt nicht (sagte die, die ihn gewöhnlich zudeckte) – er ist nur etwas ... absonderlich.«

      Felix Bartholdy klammerte sich an seinen Bleistift und schrieb wie ein Wahnsinniger.

      Gleichzeitig – in einer ganz anderen Ecke der Stadt, genauer in Virolainens Zimmer im Hotel Middletowne in der 48. Straße – versuchten Vera Farrow und ihr finnischer Gastdozent das Mädchen aus Havanna zu dramatisieren. Beide waren nackt. Beide improvisierten. Eine klare Vorstellung hatten sie eigentlich nur vom Schluß ...

      Auf dieselbe Weise hatten sie bereits Calle Schewen, Sjösala Vals und natürlich sämtliche zehn Lieder in Fritjof Anderssons Liederbuch interpretiert.

      »Ich bin mir ziemlich sicher, daß diese Art der Interpretation noch nicht dagewesen ist«, sagte Virolainen. Er hatte das Fenster geöffnet und saß nackt mit einer Rose im Mund auf dem Fensterbrett. Eigentlich wäre das Veras Rolle gewesen, aber sie hatten getauscht, weil ihr schon schwindlig wurde, wenn sie auf einen Hocker stieg, und so spielte sie den Seemann. Mit den Händen auf dem Rücken ging sie jetzt durchs Zimmer, versuchte es o-beinig wie ein Matrose und spuckte jedesmal, wenn sie am Waschtisch vorbeikam, wie ein Mann aus.

      »Ich habe jedenfalls noch nie davon gehört oder gelesen, daß jemand den Versuch unternommen hätte, den Liebesakt in eine Art von erotischer Theatersprache zu übersetzen«, fuhr Virolainen von seinem Fensterplatz aus fort – und warf die Rose kokett auf den Teppich. »Wahrscheinlich sind wir die einzigen, die den Beischlaf zu einem Einakter machen.« Ich bin schön, du bist jung, sang das Grammophon, und beide bemühten sich, das so gut wie möglich mimisch auszudrücken.

      Aus sentimentalen Gründen waren es (stillschweigend, ohne daß es einer Absprache bedurft hätte) stets Evert-Taube-Lieder, die an solchen Abenden aufgelegt wurden. Virolainen hatte drei LPs mit Taube-Liedern, und auf dem City College hatten sie sich einen alten Plattenspieler geliehen. Während sie improvisierten und verschiedene Möglichkeiten und Lösungen ausprobierten, spielten sie gewöhnlich die Melodie des Abends immer wieder.

      Bis jetzt waren sie mit 1½ LPs ausgekommen – hatten im ganzen 18 Lieder dramatisiert.

      Beide liebten das Theater und Virolainen hatte einmal bei einer Laienspielgruppe in Vasa Regie geführt.

      »Das mit Hazel begreife ich nicht«, sagte Virolainen in einer Pause. »Ich kenne sie zwar nicht, aber –«

      »Hazel ist in Ordnung«, sagte Vera und füllte die Zahnputzbecher mit finnischem Multelikör. »Sie bildet sich nur ein, daß Männer nicht als Ärzte geeignet sind, weil das eigentlich ein Beruf für Frauen ist, und das Rufen einer Ambulanz macht für sie die Sache nur schlimmer, ebenso wie Krankenhausaufenthalte von Übel sind – denn ihrer Meinung nach hat jede Frau die natürliche Begabung des Helfens und Heilens in sich.«

      »Hast du ›nur‹ gesagt?« fragte Virolainen. »Für mich hört sich das nach einer ganzen Menge an!«

      Vera zuckte mit den Schultern.

      »Aber dieser Bursche, den du da auf dem Dach hast ... dieser Bursche, den ihr auf dem Dach habt ... Er könnte ja direkt gefährlich werden!«

      Vera schüttelte den Kopf. »Hazel weiß, was sie tut«, sagte sie. »Wenn du ihr begegnen würdest, du würdest es verstehen.« Sie strich mit der Hand über seine Brust. ›Doch ich möchte nicht, daß du Fay oder Hazel begegnest‹, dachte sie. ›Ich will dich für mich haben. Ganz für mich!‹ Sie steckte gedankenverloren einen Finger in seinen Nabel.

      »Damit soll man nicht spaßen«, sagte Virolainen. »Mir liegt etwas an dir. Ich habe Angst um dich. Begreifst du das nicht?«

      »Du bist das schönste Mädchen aus Havanna, das ich jemals gesehen habe«, flüsterte Vera mit heiserer Seemannsstimme und setzte sich auf seinen Schoß – und setzte gleichzeitig den Plattenspieler wieder in Gang. ›Ich habe lange genug in ihrem Schatten gelebt‹, dachte sie. ›Das hier gehört mir!

      Sie schob Virolainen auf den Boden und steckte ihm die Rose ins Haar, küßte ihn auf den Bauch. ›Das würde mir niemand glauben, wenn ich es erzählte‹, dachte sie. ›Sogar wenn Fay und Hazel mich jetzt sehen könnten, sie würden es nicht glauben!‹

      Virolainen brummte irgend etwas Finnisches, doch Vera brauchte ihn nicht zu fragen, was es bedeutete. Sie hatte Augen im Kopf ...

      »Er braucht einen Arzt«, sagte Fay Hideway kalt. »So etwas ist kein Spiel, Hazel. Es tut mir leid, wenn ich das sage, aber ab und zu –«

      »Sprich dich nur aus! Du denkst, du kannst alles bestimmen. Aber wir andern wohnen auch noch hier!«

      »Hazel«, sagte Fay. »Du hast eine fixe Idee und die ist witzig und amüsant und soweit ich es sehe, nicht einfach von der Hand zu weisen, aber –«

      »Vera und ich, wir wohnen auch hier.«

      »Vera laß bitte aus dem Spiel.«

      »Frag sie!«

      »Hazel«, seufzte Fay. »Ich will dir doch nur klarmachen, daß er einen Arzt braucht.«

      »Ich pflege ihn so gut ich kann. Es geht ihm jetzt schon viel besser als vor drei Tagen.«

      »Es steht dir nicht zu, mit lebenden Menschen zu experimentieren.«

      »Du hättest ihn sehen sollen, als wir ihn fanden.«

      »Deine Theorie mag gut und schön sein, aber –«

      »Bald wird er wieder vollkommen gesund sein.«

      Fay griff nach Hazel und wollte sie zur Speichertreppe ziehen. »Wir reden unten weiter«, sagte sie. »Ich möchte das nicht hier oben besprechen. Er könnte uns hören.«

      Hazel riß sich los. »Seit wann bist du so feinfühlig?« schnaubte sie. »Du nimmst doch sonst keine Rücksicht auf die Gefühle anderer Menschen ...«

      »Komm jetzt.«

      »Du benimmst dich doch sonst wie ein Elefant im Porzellanladen.«

      »Das ist etwas anderes.«

      »Vera zum Beispiel hast du mit deiner spöttischen Art schon oft so fertig gemacht, daß –«

      Fay schnappte nach Luft. »Verdammt nochmal«, sagte sie aus tiefster Seele. »Ab und zu könnte ich dir eine scheuern, daß du aufwachst! Begreifst du denn nicht, daß das etwas ganz anderes ist? Der Kerl ist krank. Er braucht einen Arzt. Er braucht einen Psychiater!«

      Hazel schaute hinüber zu der zusammengekauerten Gestalt, die im Schneidersitz dasaß und schrieb und schrieb, Zettel um Zettel füllte – bis zur Ewigkeit zählte. Die Decke war wieder von seinen Schultern gerutscht. Hazel zog sie nach oben, legte sie dicht um ihn. Strich ihm übers Haar. »Wir machen dich schon wieder gesund«, flüsterte sie. »Warte nur, wir zeigen es ihnen schon ...«

      Im Munks Court hatte sich Nigel Harris gerade einen neuen Drink (den vierten) bestellt. Er hatte Block und Bleistift hervorgeholt und versuchte nun, einen Eindruck seines ersten Abends in New York zu bearbeiten.

      Er war mit dem Flugzeug aus Kopenhagen gekommen (SK 911). Als sie am Kennedy Airport landeten, hatte bereits die Dämmerung eingesetzt. Er nahm den Bus zum Terminal von Manhattan. Fand sein Hotel. Stellte


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