Das Frühstück der Langschläferin: Ein Unterhaltungsroman auf Leben und Tod!. Tor Åge Bringsværd

Das Frühstück der Langschläferin: Ein Unterhaltungsroman auf Leben und Tod! - Tor Åge Bringsværd


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ist es viel Geld. Sie sitzt da unten ... Und das ist mein letzter Kampf.

      »Er ist berüchtigt wegen seiner üblen Tricks, er boxt nicht sauber«, flüsterte Robbins. »Hoffentlich nimmt sich Ali vor seinen Nackenschlägen in acht. Wepner ist bekannt für rabbit punching. So einer wie Wepner hat noch nie etwas von fair play gehört. Er ist einfach ein Gangster. Abschaum aus den Slums. Hätte genausogut im Knast wie im Boxring landen können.«

      »Ich wünsche ihm alles Gute«, murmelte Nigel Harris.

      »Was zum Teufel quasselst du da?«

      »Ich habe gesagt: Ich bin ein Schriftsteller und scheiße drauf, ob die Leute kapieren, was ich meine«, sagte Nigel Harris. »Darüber haben wir uns doch unterhalten, oder?«

      Das ist vielleicht meine letzte Chance, die ich bekomme, dachte Virolainen. Ich habe die Chance abzuspringen. Um neu anzufangen. Um ein anderer zu werden. Zusammen mit einer anderen. Falls es das ist, was ich will? Falls es das ist, was ich will. Ich bin 35.

      »Du hältst nicht zu Wepner?« Harold Robbins lehnte sich schwer gegen ihn.

      Muß ich wählen? dachte Virolainen. Muß ich? Warum muß ich das eigentlich? Kann man nicht auch zwei Menschen auf einmal lieben? Kann man nicht zwei Frauen so sehr lieben, daß man keine von beiden missen möchte? Wählen? Handelt es sich bei den beiden nicht eher um unvergleichbare Größen? Was magst du lieber: Beethoven oder Picasso? Wen magst du lieber: Shakespeare oder Michelangelo? Unvergleichbare Größen! Wesen, von denen jedes sein eigenes, souveränes Universum besitzt. Was magst du lieber: Whisky oder Steak? Und wenn er trotzdem wählen mußte? Denn das blieb ihm wahrscheinlich nicht erspart ...

      Ali ging zu Boden.

      Ist er nur gestolpert?

      Der Saal erhob sich und schrie.

      Harold Robbins schrie auch.

      Doch Ali war schnell wieder auf den Beinen. »Schlag ihn tot, Ali!« rief das Kinopublikum in New York. »Kill him!«

      »Kill him!« schallte es im Takt von der großen, flimmernden Leinwand.

      Außerdem sind da die Kinder ...

      »Nein«, sagte Nigel Harris. »Eigentlich halte ich zu keinem der beiden.« Aber uns ergeht es schlecht, wenn Ali verliert, dachte er im stillen. 95% des Publikums sind Schwarze. Und das hier ist ein Rassenkampf, soviel habe ich längst kapiert, obwohl ich besoffen bin. Ali und Wepner sind nur Repräsentanten. Verliert Ali, kriegen wir im günstigsten Fall eine über den Schädel. »So ist das, du alter Affe«, sagte er laut. »Du verdammter Zahndoktor!«

      Oder war er einfach feige? Fürchtete er sich vor dem Krach, vor all den Unannehmlichkeiten, die daraus entstehen würden ... War er zu feige, sich zu trennen? Steckte das dahinter? Waren alles andere nur Entschuldigungen? Eine Scheidung läuft nie friedlich ab. Da können die Leute sagen, was sie wollen, dachte er. Einfach ist das nie. Wird in der Regel ein gewaltiger Aufstand. Freunde und Familie von beiden Seiten. Aber am schlimmsten: es ihr sagen. Sie vertraute ihm. Liebte ihn. Sie hatten drei Kinder zusammen. Sie hatten vielleicht nicht mehr denselben Kontakt wie früher – jedenfalls was das Physische anging – doch wer hat das schon nach einer längeren Ehe? Und wie sollte er es sagen? Wie sollte er es herausbringen?

      »Das Ganze ist eine Frage der Kommunikation«, sagte Nigel Harris. »Hör zu, du verdammter Zahndoktor. Lausche der persönlichen Zeugenaussage und den wackligen Literaturtheorien eines mißglückten Schriftstellers.«

      »Ich bin ganz Ohr«, sagte Robbins.

      Natürlich hatte er nicht die geringste Lust, zuzuhören.

      Und natürlich spielte es kaum eine Rolle, was er tat oder nicht tat. Hauptsache, Nigel Harris bekam Gelegenheit, sich aus dem Systemkorsett zu befreien und sich reinzuwaschen – denn er hatte lange darüber nachgedacht, aber eigentlich nie den Versuch gemacht, es zu formulieren. Und er sagte folgendes:

      »Viele glauben offenbar, alles sei quantitativ erfaßbar. Das ist eine Haltung, die man aus dem Bethaus geholt und übernommen hat. Eine Versammlung ist demnach nur dann gut, wenn viele im Saal sind. Und es ist eine schlechte Versammlung, wenn nur wenige erscheinen. Die Versammlung wird also danach beurteilt, wieviele Zuhörer anwesend sind und nicht danach, welche Wirkung bei den Versammelten erzielt wird. Auf Bücher übertragen, heißt das nichts anderes, als daß Bestseller automatisch die wertvollere Literatur repräsentieren, daß also der Amerikaner Chic Young konkurrenzlos der bedeutendste Schriftsteller der Welt ist. Chic Young macht die Comic-Serie Blondie, die täglich von 167 Millionen Menschen auf der ganzen Welt gelesen wird ...

      Ein Buch wird aber nicht besser davon, weil es mehr Leute lesen.

      Als ich zu schreiben anfing, lag mir sehr viel daran, daß die Leute verstanden, was ich schrieb, es nicht mißverständlich war und daß ich mich deutlich ausdrückte usw. Ich wollte, daß so viele wie möglich, am besten alle, verstanden, was ich schrieb.

      Solche Gedanken habe ich mir abgewöhnt.

      Das hat nichts mit Arroganz oder Exklusivität zu tun, sondern mit einer ganz einfachen, gewöhnlichen Ehrlichkeit. Damit, daß man sich nicht verstellen will, so tun will, als sei man ein anderer, mit andern Worten: die Leute hinters Licht führt ... Betrachten wir die Sache etwas näher:

      Willst du einem einzelnen Menschen eine Geschichte erzählen, ist es nicht schwer, Mißverständnisse zu vermeiden – besonders, wenn du den betreffenden kennst. Ihr seid aneinander gewöhnt, sprecht dieselbe Sprache, habt dieselben Stichworte, versteht unter denselben Stichworten dasselbe. Mußt du dieselbe Geschichte allerdings zwei Menschen gleichzeitig erzählen, ist das nicht mehr so leicht. Die zwei sind verschieden, haben verschiedene Erfahrungen. Du bist gezwungen, einen gemeinsamen Nenner zu finden, mußt Wörter wählen, die für beide dasselbe bedeuten. Bei drei oder vier Personen wird die Sache noch schwieriger, doch es geht ... Zehn, zwölf, zwanzig – okay, aber die Wörter sind nicht mehr deine. Nicht mehr du erzählst. Aber du schaffst es. Sie verstehen, was du meinst. Keine Mißverständnisse. Bei hundert wird es mühsam. Du greifst zu Klischees, benützt Phrasen. Bei tausend verzweifelst du, redest wie ein Politiker oder eine Illustrierte. Je größer die Zahl deiner Zuhörer ist, desto verwässerter und schlagwortartiger wird die von dir erzählte Geschichte. Schließlich überlegst du dir, ob es überhaupt noch sinnvoll ist, die Geschichte zu erzählen.

      Dieses und kein anderes Problem ist es, das jedesmal rot, gelb und grün blinkt, wenn ein Schriftsteller auf ein weißes Blatt Papier starrt. Er will etwas erzählen. Aber er weiß nicht, wieviele zuhören. Und die, an die er sich wendet, kennt er nicht. Er hat zwei Möglichkeiten – beides Extreme, alles andere ist Schwachsinn: 1) Er kann schreiben: »Mutter geht ins Büro. Vater backt Kuchen.« Jeder versteht, was er sagt. Er kann schreiben »Das Volk wird siegen. Lange lebe die Revolution. USA raus aus Lateinamerika.« Jedem ist klar, wo er steht. Das ist die Lesebuchmethode. ABC. Der Schriftsteller als Pädagoge, schmieriger Volksaufklärer und eingebildeter Narr.

      Oder – und das ist meiner Meinung nach der einzig akzeptable und anständige Ausweg: 2) Er kann versuchen, die Dinge genau so auszudrücken, wie er mag, wie er selbst das Gefühl hat, daß sie ausgedrückt werden müssen, wie er meint, daß sie am härtesten und eindringlichsten sind. Und sich den teufel darum scheren, wieviele das mögen oder verstehen. In diesem Fall betrachtet er sich eher wie eine Art von Radiostation – und hofft, daß ihm jemand zuhört ... hofft, daß jemand den Apparat auf derselben Wellenlänge eingestellt hat.

      Literatur ist Kommunikation. Gut und schön. Wir dürfen aber nicht die Stufe mit der Treppe verwechseln. Das Ziel ist nicht damit erreicht, daß wir Kontakt aufnehmen, uns einen Leser angeln. Im Gegenteil, damit fängt alles erst an! Und dann ist es wichtig, daß keiner der Beteiligten so tut als ob ...«

      »Solche wie du bringen die Literatur um«, sagte Harold Robbins. Ihn hatte das Ganze nicht für fünf Pfennige interessiert, seine Meinung hatte er sich längst gebildet. Davon ließ er sich nicht abbringen. »Solche wie du verleiden den Leuten Bücher und gute Lektüre. Die Leute


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