Die Europäische Einigung. Von 1945 bis heute. Gerhard Brunn

Die Europäische Einigung. Von 1945 bis heute - Gerhard Brunn


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Konzept von außerordentlicher Bedeutung für die Zukunft der europäischen Integration.

      Die Montanunion verfügte über eigene Einnahmen. Sie finanzierte ihre Aktivitäten durch Erhebung von Umlagen auf die Erzeugung von Kohle und Stahl und die Aufnahme von Anleihen. Damit war sie in der Lage, Zuschüsse bis zur Hälfte der Kosten für die Modernisierung und Umstrukturierung industrieller Anlagen zu geben. Auf der anderen Seite verwendete sie ihre Mittel zur Verbesserung der Lebens- und Arbeitsbedingungen der Industriearbeiter, für die Wiedereingliederung von Arbeitslosen in den Arbeitsmarkt und Forschungen zur Verbesserung der Sicherheit, der Hygiene und der Arbeitsmedizin, und sie finanzierte in fünfzehn Jahren sechs Wohnungsbauprogramme für einhunderttausend Wohnungen.

      Auf anderen Gebieten war sie erfolglos. Den Zugang zur Kohle zu gleichen Preisen konnte sie gegen die Praktiken der Vermarktungskontore nicht durchsetzen. Und sie scheiterte mit ihren Bemühungen, Kartelle zu zerschlagen oder neue Kartelle zu verhindern, ebenso wie bei ihrem Vorgehen gegen diskriminierende gespaltene Transporttarife bei Eisenbahn und Binnenschifffahrt.

      Die Grenzen der Macht der EGKS zeigten sich in der 1958 beginnenden ersten Kohlekrise. Sie besaß nicht das Gewicht, supranationales Krisenmanagement gegen die weiterhin national orientierte Politik der Mitgliedsstaaten zu betreiben, von denen einige angesichts der übermäßig anschwellenden Kohlehalden vertragswidrig Importstopps zum Schutz der nationalen Förderung auch gegen Importe aus Mitgliedsstaaten erließen. Die beiden Länder mit hohem Importbedarf, Italien und die Niederlande, kauften weniger bei den Partnern, sondern zogen amerikanische Kohle vor, die zu niedrigeren Preisen angeboten wurde als die aus europäischer Produktion. Sie opponierten deshalb auch gegen die Feststellung einer Krisensituation. Die Bundesrepublik zog vor, ein eigenes Krisenmanagement zu betreiben und die heimische Produktion vertragswidrig vor Konkurrenten zu schützen. Frankreich sprach, nach seiner Umwandlung in eine autoritäre Republik unter der Präsidentschaft Charles de Gaulles, der Hohen Behörde überhaupt das Recht zum selbstständigen Handeln in Krisenzeiten ab.

      Aber so eingeschränkt die EGKS in ihrer Politik der Krisenbewältigung auch war, so hat ihre Existenz doch dazu geführt, dass die strukturellen Anpassungen, zuletzt in der Stahlkrise ab 1975, in einem europäischen Kontext stattfanden und die Mitgliedsstaaten nicht in eine nationale Abschottung zurückfielen.

      Zweifellos hat die EGKS die in sie gesetzten hochfliegenden Erwartungen nicht vollständig erfüllt, aber sie schuf Vertrauen zwischen den Beteiligten und leistete einen unschätzbaren Beitrag zu der ständigen Präsenz »Europas« in der Politik und den Medien der Mitgliedsstaaten. Außerdem, wie unvollkommen die EGKS auch operieren mochte, war sie doch eine auf europäischer Ebene operierende Institution. Sie verwandelte die zahlreichen Lippenbekenntnisse zur Notwendigkeit europäischer Zusammenarbeit in wirksame Tagesarbeit. Sie entwickelte die Fähigkeit, in einer kooperativen Atmosphäre und in einem vorgegebenen Zeitrahmen konkrete Probleme zu lösen, und lieferte damit den Beweis, dass eine souveräne europäische Behörde wirksam arbeiten kann. Mit ihr entstand auch erstmals eine europäische Beamtenschaft, die sich den europäischen Notwendigkeiten stärker verpflichtet fühlte als den nationalen Interessen. Diese Erfahrungen ebneten den Weg für die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft im Jahre 1957. Mit ihr änderte sich auch der Status der EGKS.

      Vom 1. Januar 1958 an wurden die Versammlung und der Gerichtshof der EGKS zugleich Beratende Versammlung und Gerichtshof für die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft und die Europäische Atomgemeinschaft. Allein die Hohe Behörde bestand als eigenständige Institution weiter, allerdings nur bis zum Jahre 1967, als alle Institutionen der drei getrennten Europäischen Gemeinschaften miteinander verschmolzen wurden.

      Die Europäische Verteidigungsgemeinschaft – Ein Irrweg

      Neben der Einrichtung der EGKS sahen die frühen fünfziger Jahre das spektakuläre Scheitern zweier weiterer europäischer Integrationsversuche, wie sie ehrgeiziger seit dieser Zeit nicht wieder unternommen wurden: den Misserfolg, im Rahmen einer Europäischen Verteidigungsgemeinschaft (EVG) eine gemeinsame europäische Armee zu schaffen und diese einer supranationalen politischen Autorität der Europäischen Politischen Gemeinschaft (EPG) zu unterstellen.

      »Der Not gehorchend, nicht dem eigenen Triebe« – Der Plevenplan

      Am 25. Juni, fünf Tage nach dem Beginn der Verhandlungen über die Gründung der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl, brach der Koreakrieg aus, in den die USA mit einem Mandat der UNO eingriffen. Damit verschärfte sich nicht nur der Kalte Krieg in Europa, sondern Vergleiche zwischen dem geteilten Korea und dem geteilten Deutschland nährten auch Befürchtungen, so wie Südkorea aus dem Norden überfallen worden sei, so könne Westdeutschland eine Invasion aus dem Osten erleben.

      Der Krieg beanspruchte den militärischen Apparat der Vereinigten Staaten sehr stark, und Lageanalysen ergaben, dass die USA im Falle eines militärischen Konflikts mit der Sowjetunion nicht in der Lage sein würden, der gerade flügge werdenden NATO genügend militärische Ressourcen zur Verfügung zu stellen. Unvermutet wurde die deutsche Wiederbewaffnung viel früher zu einem Thema, als man gedacht hatte. Die USA setzten die Wiederbewaffnung der Bundesrepublik auf die Tagesordnung der am 12. September 1950 in New York beginnenden Außenministerkonferenz und bedrängten ihre Partner, den NATO-Verteidigungsausschuss zu beauftragen, Empfehlungen über die Methoden zu unterbreiten, mit denen Deutschland einen wirkungsvollen militärischen Beitrag zur Verteidigung Westeuropas leisten könne.

      Die Idee, Deutschland wiederzubewaffnen, war bis zu diesem Zeitpunkt häufiger öffentlich diskutiert worden, aber die entschiedene amerikanische Forderung, dies nun zu tun, bestürzte die Verbündeten, vor allem Frankreich. Seit 1945 verfolgte die französische Politik unverrückbar das Ziel, Deutschland nie wieder zu einer Militärmacht werden zu lassen. Trotz des Projekts der Montanunion war das Verhältnis zwischen Frankreich und der Bundesrepublik noch weit von der Normalität entfernt. Der Vorschlag zur deutschen Wiederbewaffnung belebte in Frankreich die Furcht vor der deutschen Gefahr, und keine französische Regierung hätte zu diesem Zeitpunkt die Zustimmung von Parlament und Öffentlichkeit zur Aufstellung deutscher Truppenverbände unter deutschem Kommando erhalten. Aber auch im übrigen Westeuropa war die Idee einer deutschen Wiederbewaffnung in hohem Maße unpopulär. Andererseits sahen alle Regierungen, dass für eine erfolgreiche Verteidigung Westeuropas gegen eine Aggression aus dem Osten ein deutscher militärischer Beitrag unverzichtbar sein würde. Außerdem war klar, dass die Vereinigten Staaten an ihrem Vorschlag festhalten würden. Eine glatte Ablehnung war also nicht möglich. Es galt, eine Lösung zu finden, die geeignet wäre, sowohl die Vereinigten Staaten zufrieden zu stellen, als auch den europäischen Befürchtungen vor einem Wiedererwachen des deutschen Militarismus Rechnung zu tragen.

      Eine Sicherung vor neu aufgestellten deutschen Einheiten konnte darin bestehen, sie ohne eigene Führung direkt der NATO zu unterstellen oder in eine europäische Armee einzugliedern. Eine europäische Lösung schlug Winston Churchill im März 1950 mit einer spektakulären Rede im Londoner Unterhaus vor, und er erneuerte seinen Vorschlag im August im Europarat. Die Beratende Versammlung griff den Vorschlag auf und verabschiedete eine Resolution mit der Forderung, sofort eine vereinigte europäische Armee zu schaffen, für die ein europäischer Verteidigungsminister die Verantwortung übernehmen solle. Diese Idee machte sich Jean Monnet zu eigen. Er befürchtete als Folge des Koreakriegs nicht nur eine Abwendung der Deutschen von dem Projekt der Montanunion – dank der strategischen Bedeutung der deutschen Wirtschaft war nun ein Aufstieg ohne einschränkende supranationale Organisationen möglich –, sondern auch ein Scheitern des gesamten französischen Meisterplans, Deutschland unter französischen Bedingungen nach und nach Einlass in ein starkes Vereinigtes Europa zu gewähren und damit die deutsche Gefahr auf immer zu bannen. Mit der Unterstellung deutscher Truppen unter die Oberhoheit der NATO würde Westdeutschland der französischen Kontrolle entgleiten und unter den beherrschenden Einfluss der USA geraten. Es war kein Geheimnis, dass die Bundesrepublik dem Schumanplan weniger aus europäischer Begeisterung als vielmehr in der Erwartung zugestimmt hatte, damit der Gleichberechtigung mit den Staaten Westeuropas einen Schritt näher zu kommen.

      Wieder, wie vor der Verkündung des Schumanplans, sah sich Frankreich demnach in einer Notlage. Deshalb glich es einer Flucht nach vorne, als


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