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einer supranationalen Behörde vorschlug.
Der Schumanplan
Am Nachmittag des 9. Mai 1950 gab der französische Außenminister Robert Schuman im Uhrensaal des französischen Außenministeriums vor der geladenen Presse eine Erklärung ab:
Die französische Regierung schlägt vor, die Gesamtheit der französisch-deutschen Kohlen- und Stahlproduktion unter eine gemeinsame Oberste Aufsichtsbehörde (Haute Autorité) zu stellen, in einer Organisation, die den anderen europäischen Ländern zum Beitritt offensteht.
Die Zusammenlegung der Kohlen- und Stahlproduktion wird sofort die Schaffung gemeinsamer Grundlagen für die wirtschaftliche Entwicklung sichern – die erste Etappe der europäischen Föderation – und die Bestimmung jener Gebiete ändern, die lange Zeit zu der Herstellung von Waffen gewidmet waren, deren sicherste Opfer sie gewesen sind.
Die Solidarität der Produktion, die so geschaffen wird, wird bekunden, daß jeder Krieg zwischen Frankreich und Deutschland nicht nur undenkbar, sondern materiell unmöglich ist.
Diese Erklärung war ebenso sensationell wie die des amerikanischen Außenministers Marshall, als er im Juni 1947 an der Universität Harvard das Vorhaben eines großen Hilfsprogramms für die europäische Wirtschaft bekannt gegeben hatte. Wie die Rede Marshalls, so fand auch die Ankündigung Schumans zunächst nicht den ganz großen Widerhall in der Öffentlichkeit, aber schnell wurde die »Schuman-Bombe«, wie eine französische Zeitung titelte, als jene kühne Tat erkannt, die sie wirklich war. Der Schumanplan, wie er sofort genannt wurde, beruhte auf einem ganzen Bündel von Motiven, allgemeinen und speziellen Zielen, die offen ausgesprochen wurden oder auch verdeckt blieben. Überspitzt formuliert könnte man sagen, der Plan war ein Akt französischer Putativnotwehr.
Das wichtigste offen genannte Anliegen war die Sicherung des Friedens in Westeuropa. Dem notorischen Friedensbrecher Deutschland sollte durch die Zusammenlegung der Schlüsselindustrien, welche die Basis für den Aufbau einer Militärmacht bildeten, ein Krieg gegen Frankreich und die anderen westeuropäischen Länder materiell unmöglich gemacht werden. Das zweite allgemeine Ziel war die Einigung Europas, die nach den bisher ins Leere gelaufenen Versuchen auf eine neuartige Art und Weise erreicht werden sollte. Schrittweise sollte in Westeuropa ein gemeinsames Fundament wirtschaftlicher Macht gelegt werden, auf dem sich eine politische Einheit errichten ließe. Als drittes politisches Ziel nannte Schuman, dass der »Jahrhunderte alte Gegensatz zwischen Frankreich und Deutschland« überwunden werden müsse, um eine Vereinigung der europäischen Nationen zu ermöglichen.
Dreh- und Angelpunkt des Plans war die »deutsche Frage«. Frankreich litt noch immer unter seiner Niederlage von 1940. Es war seit Ende des Krieges darauf fixiert, eine Lösung zu finden, für alle Zeiten die Möglichkeit eines deutschen Angriffs auszuschließen und Frankreich so zu stärken, dass es von Deutschland nie wieder gefährdet werden könne. Um dies zu erreichen, setzte die französische Politik nach 1945 auf vielfältige Mittel und Wege. In der ersten Phase der Nachkriegspolitik konzentrierte sie sich darauf, Deutschland definitiv als europäische Macht auszuschalten. Es sollte territorial zerstückelt, entwaffnet, in seiner Souveränität beschränkt, unter die langfristige Aufsicht der Siegermächte gestellt werden. Wirtschaftlich sollte es durch Abtrennung des Ruhrgebiets, vielfältige Produktionsverbote und -beschränkungen, Abbau von industriellen Kapazitäten, Zerschlagung der Großunternehmen und Unternehmensverbünde zu einer unbedeutenden Größe gemacht werden. Im Gegenzug plante Frankreich, zu der europäischen Wirtschaftsmacht aufzusteigen, die Deutschland gewesen war. Diesem Zweck diente ein ehrgeiziges, staatlich gelenktes und finanziertes wirtschaftliches Aufbau- und Modernisierungsprogramm, das von einer Planungsbehörde unter der Leitung des renommierten, international erfahrenen Experten Jean Monnet stand. Daneben verfolgte die französische Politik das Ziel, über Militärbündnisse sich zusätzlich gegen Deutschland zu sichern und über Zollunionen oder andere Formen wirtschaftlicher Kooperation der französischen Wirtschaft den großen Markt zu eröffnen, auf dem sie die Chancen der Massenproduktion voll nutzen könne. Ab 1947 schließlich sah die französische Politik in der europäischen Integration eine besondere Chance, Deutschland mit einem geschlossenen Block westeuropäischer Staaten in Schach zu halten.
1949 war offensichtlich, dass Frankreich mit seiner Negativpolitik gegenüber Deutschland gescheitert war und es auch nicht gelungen war, neuartige Formen des Zusammenschlusses von Staaten durchzusetzen. Insbesondere war es nicht gelungen, Großbritannien als einen mit Frankreich und anderen westeuropäischen Staaten institutionell fest verbundenen Partner zu gewinnen. Seit Kriegsende hatte die französische Politik um Großbritannien als militärischen und wirtschaftlichen Partner geworben und versucht, es über feste Strukturen untrennbar in eine kontinentaleuropäische Solidarität einzubinden. England hatte sich aber allen Bindungen verweigert, die über eine bloße Kooperation unabhängiger Partner hinausgingen. Es hatte jeden Versuch einer übernationalen europäischen Einigung ausgebremst und den Marshallplaneinrichtungen und dem Straßburger Europarat jede höhere Autorität verweigert. Im Frühjahr 1949 waren zudem die letzten Versuche einer engen wirtschaftlichen Verbindung zwischen Frankreich und England gescheitert. Mit großer Schärfe formulierte die Labourpartei im Frühsommer 1950 in ihrer Broschüre European Unity eine britische Haltung, die sich nach einigen Jahren des Flirts mit Projekten einer engeren Verbindung mit dem Kontinent verhärtet hatte. In der Broschüre stand, dass für Großbritannien die Übertragung eines Teils seiner Souveränität an eine übernationale Organisation undenkbar sei: England sei keine Küsteninsel von Europa, England sei das Haupt eines Commonwealth, mit dem es durch Pflichten und Verwandtschaft verbunden sei, und in jeder Hinsicht, mit Ausnahme der Entfernung, seien die Engländer ihren Vettern auf der anderen Seite des Kontinents, den Australiern und Neuseeländern, näher als Europa.
Nur durch eine Form der westeuropäischen Integration weit über das hinaus, was England zuzugestehen bereit sei, könne das deutsche Problem gelöst werden, so lautete die neue Linie französischer Außenpolitik, die sich 1949 durchzusetzen begann. 1949 war nach dem Willen der Engländer und Amerikaner wieder ein deutscher Staat entstanden, wogegen sich Frankreich zäh gewehrt hatte. Zwar besaß die Bundesrepublik Deutschland nur eine sehr beschränkte Souveränität, durfte keine Außenpolitik betreiben, musste weiter Reparationen bezahlen, sollte seine Großunternehmen zerschlagen und dulden, dass seine Schwerindustrie unter die Kontrolle einer internationalen Aufsichtsbehörde gestellt blieb. Wie lange aber würde sich das aufrechterhalten lassen? Amerikaner und Engländer arbeiteten darauf hin, der Bundesrepublik größere politische Spielräume zu eröffnen und die Fesseln zu lockern, die sie in ihrer freien wirtschaftlichen Entwicklung hemmten. In Frankreich fürchtete man, Deutschland werde versuchen, seinen Anspruch auf Wiederherstellung der Einheit unter Umständen mit einer Schaukelpolitik zwischen Ost und West durchzusetzen, und Frankreich könne gegen dieses wirtschaftlich dynamische, erstarkte Deutschland erneut ins Hintertreffen geraten. Gegen eine solche unkontrollierbare Verselbstständigung könne am ehesten die Einbindung des jungen Staates in eine festgefügte europäische Struktur helfen, und diese müsse errichtet werden, ehe es Deutschland gelungen sei, eigene Wege zu gehen.
Ein europäischer Zusammenschluss unter Einschluss Deutschlands aber war in Frankreich nicht durchzusetzen, solange der französischen Wirtschaft nicht die Furcht genommen werden konnte, von der deutschen wirtschaftlichen Übermacht erdrückt zu werden. Diese Übermacht beruhte in den Augen der französischen Industriellen darauf, dass Deutschland seinen Stahl zu einem Preis produzieren konnte, mit dem Frankreich nicht zu konkurrieren vermochte. Dadurch würde die gesamte französische weiterverarbeitende Industrie benachteiligt. »Wenn man bei uns die Furcht vor einer deutschen industriellen Vorherrschaft beseitigen könnte«, schrieb Jean Monnet, »wäre das größte Hindernis für die Einigung Europas weggeräumt«.
Um den französischen Industriellen die Furcht zu nehmen, sie sollten in eine Vereinigung gezwungen werden, in der Deutschland das Schwer- und Frankreich das Leichtgewicht wäre, hatte Jean Monnet, der Architekt des Plans, seine spezifischen Zielsetzungen entwickelt: Versorgung der französischen und deutschen Wirtschaft (sowie der Wirtschaft jedes anderen Mitgliedsstaates) mit Kohle und Stahl zu gleichen Bedingungen, gemeinsame Exportplanung und -entwicklung, Angleichung der Löhne und sozialen Leistungen, Abbau der Zollschranken, Angleichung der Preise und Frachten. Damit sollte