Nie wieder Fußball!. Stefan Tillmann

Nie wieder Fußball! - Stefan Tillmann


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sagte, dass ich als „Glubberer“ so meine ganz eigene Meinung zu Borussia Dortmund hätte. Und dann sagte Christiane etwas, was sie besser nie gesagt hätte. Etwas, was besser überhaupt niemand jemals irgendwo sagen sollte: „Es ist ja auch nur ein Spiel.“ Ich versuchte, ruhig zu bleiben, ich guckte auf meine Visitenkarte, auf meine Stecktabelle, auf die Vereinswappen, überall hin, nur nicht in ihr Gesicht. Ja, dachte ich, wenn das Leben nur das Leben und der Tod nur der Tod ist, dann ist vielleicht Fußball auch nur Fußball. Aber es ist sicher niemals nur ein Spiel. Aber das konnte ich ihr unmöglich sagen.

      „Ich glaube, es ist besser, wenn du jetzt gehst“, sagte ich. Ich fand es wichtig, auch in brenzligen Situationen sachlich zu bleiben.

      Sie sagte „okay“ und dass sie sich mal einen Kaffee holen müsse, ganz schnell, und ob ich bei Facebook sei. Dann zog sie mit versteinerter Miene und ihrem Rollkoffer davon. Ich wusste, dass ich wohl lieber meine Klappe gehalten hätte. Aber was wäre die Alternative gewesen? Mit ihr über die Champions League zu reden und am Ende noch über die Fünfjahreswertung? Dann doch lieber über Bausparverträge oder Eheringe. Mein Motto war immer: Lieber ein Auswärtsspiel verlieren als den Stolz. Bei Heimspielen wiederum hing das ganz vom Tabellenstand ab. Man kann nicht alles haben, das hatte ich schon früh kapiert. Die Sportfreunde schlagen und am selben Tag noch Christiane Würkl abschleppen – nein, es gab Grenzen.

      Christiane war an diesem Tag sowieso nur das Warmmachen, das Pflichtspiel stieg in Würzburg zu. Ein Hippie-Mädchen, so ganz anders als Fräulein Würkl mit ihrem Rollköfferchen und eigentlich viel eher mein Typ. Vermutlich war dieses Hippie-Mädchen der letzte Auslöser, der mich derart durcheinanderbrachte, dass am Ende nichts mehr so sein sollte, wie es mal war.

      Dieses Mädel hatte einen Anti-AKW-Aufkleber auf dem Backpacker-Rucksack, ihr Kopf hing tief über einem Buch von Albert Camus, und natürlich beachtete sie mich nicht. Atomkraft war mir immer egal gewesen, aber irgendwie wollte ich mit ihr reden. Ich hatte eine Idee, ich war ja nicht blöd.

      „Camus?“, fragte ich.

      Sie schaute hoch: „Ja.“

      „Ich lese gerade was über Fußball“, entgegnete ich und hob das Sonderheft nur ganz kurz hoch.

      „Interessant.“

      „Nicht wahr?“, entgegnete ich. „Alles, was ich über Pflicht und Moral weiß, verdanke ich dem Fußball.“

      „Na, wenn das alles ist …“

      „Das war Camus!“, schob ich hinterher.

      Sie guckte mich immer noch gelangweilt an.

      „,Alles, was ich über Pflicht und Moral weiß, verdanke ich dem Fußball‘, das ist ein Zitat von Albert Camus.“ Ich lächelte, eine intelligentere Anmache war mir noch nie eingefallen.

      „Na klar“, sagte sie.

      „Doch, echt!“ Ich musste hart bleiben.

      „Ja?“

      „Ja.“

      „Selbst wenn.“

      In Frankfurt stieg sie aus. „Sorry, ich muss jetzt. Eine Freundin holt mich ab, wir fahren zum See.“

      Ich wartete, bis sie das Abteil verlassen hatte, und rief in Richtung der sich schließenden Abteiltür: „Hey, Hippie! Kennst du denn das Zitat hier: Erst wenn der letzte See bevölkert, das letzte Sommerloch gestopft, das letzte Hemd verschwitzt, die letzte Bierbank besetzt und der letzte Schaffner gut gelaunt ist – werdet ihr merken, dass man den Sommer in Deutschland nicht ertragen kann.“ Sie war schon weg und hörte nicht, wie ich leise sagte: „Das ist von Daniel Hübner.“

      Als der Zug wieder losfuhr, dämmerte es mir: So nicht, Leben. Nicht der ständige Loser sein oder allenfalls Unterreichenbach-Besieger. So scheiße war ich ja auch nicht drauf. Ich dachte an die zwei, drei Leute, die ich am Wochenende immer zum Fußballgucken traf, sonst aber nie. An die Gespräche über Fußball, über was auch sonst? An die letzte Saison, an die kommende. Nein, ich war immer ein Kämpfer gewesen, ein Sechser, nicht hübsch, aber ein feiner Kerl, der Guido Buchwald aus Schwabach.

      In Düsseldorf angekommen, lief ich vorbei an den Bahngleisen, an gläsernen Hochhäusern und grauen Wohnblocks. Ich trat in Pfützen wie dieser Verliererjunge in der Sanostol-Werbung früher. Und ich ging meine ganz persönliche Saisonvorbereitung durch. Wenn Nürnberg nicht spielte, schaute ich oft Bayern-Spiele, um zu sehen, wie der FC Bayern verlor. Das ging natürlich meistens schief. Und schon hatte ich wieder einen halben Nachmittag in einer Kneipe gesessen, um mich zu ärgern. Na ja, und wenn Nürnberg spielte, war das eben genau umgekehrt – und trotzdem dasselbe.

      Klar, ich hätte es mir leicht machen können, mit Fußball hätte ich problemlos zwei Drittel aller Wochenenden des Jahres bestreiten können, vor der Glotze oder auch im Stadion, so hatte ich es mir ja gedacht, als ich nach Nordrhein-Westfalen gezogen war. Dazu noch die Spiele unter der Woche, zweite Liga, internationale Wettbewerbe, ich hätte mich nie wirklich langweilen müssen – und nebenbei wäre ich bei einem echten Trend mal richtig vorn dabei gewesen. Die Tippspielrunde in der Firma gewann ich jedenfalls immer locker. Immer 2:1, immer auf den Favoriten, außer beim Club, der gewann bei mir immer. Früher muss alles besser gewesen sein, dachte ich. Der Club war viele Jahre lang Rekordmeister, Karl-Heinz Rummenigge verlor sein erstes Bundesligaspiel bei Kickers Offenbach mit 0:6. Doch diese Zeiten hatte ich nicht erlebt.

      Ich wurde wütend, auf den FC Bayern, auf alles, auf mich. Ich dachte an Frank Baumann, unseren alten Fanklub „Rot für die Welt“, an Christiane Würkl, Albert Camus und die Tussi mit dem Anti-AKW-Aufkleber. Ein paar Straßen vor meiner Wohnung blieb ich stehen, holte das Sonderheft aus der Tasche und schmiss es in eine Mülltonne. „Scheiß auf Fußball“, sagte ich halblaut. „Der Club ist ein Depp“, das sagt man in Nürnberg so, weil immer alles irgendwie schiefläuft. Ich habe das nie gesagt. Der Depp war immer ich selbst. Aber das sollte jetzt ein Ende haben. Es musste ja wohl ein Leben ohne Fußball zu schaffen sein.

      Ich lief weiter und dachte an all die Dinge, die ich bis dahin geschafft hatte: den Wechsel aufs Gymnasium, den Umzug mit meinen Eltern in die neue Siedlung, das Abitur, das Studium und den ersten Job ohne große Überbrückungszeit. „Walk on, Daniel“, rief ich in eine Seitenstraße. Ich marschierte weiter, dachte an die Zeit bei der Bundeswehr. „Nie wieder Krieg! Nie wieder Fußball“, sagte ich mir. Mit 27, in einem Alter, in dem viele Musiker sterben und zu Legenden werden, war es an der Zeit, mal wirklich etwas Neues zu wagen.

      Mannschaftsvorstellung

      Der Schritt ins Lot Jonn zwei Wochen später war einer der schwersten meines Lebens. Ich fühlte mich wie ein Spieler auf dem Weg zu einem großen Spiel, aber ich wollte so nicht mehr denken. Schließlich ging es jetzt um alles. Das Lot Jonn war jedenfalls die perfekte Kneipe für einen Neuanfang, eine Jedermann-Kneipe im Stadtteil Bilk. „Mein Name ist Hübner“, sagte ich zur jungen Frau, die hinter der Theke Gläser abspülte. „Ich habe reserviert.“

      Es war Samstag, das Pokalwochenende vor dem Ligastart, kurz vor halb vier, gleich würde es losgehen, gleich würden meine neuen Freunde kommen und vielleicht ein neues Leben starten. Ich hatte endlich Nägel mit Köpfen gemacht. Mit der E-Mail-Adresse [email protected] hatte ich eine Facebook-Gruppe gegründet und diverse Fußballforen angesteuert. Ich träumte von einer Bewegung, sah mich als großen, wenn auch nicht unbedingt charismatischen Leader. Wir würden vielleicht nicht gleich die Welt verändern, aber zumindest den Fußball. Und ich wäre endlich vorne dabei. So war der Plan.

      In der Realität bekam ich in einer Woche acht brauchbare Antworten aus Düsseldorf und Umgebung, darunter zwei Frauen. Die meisten Interessenten waren Zugezogene. Die gebürtigen Düsseldorfer waren offenbar alle der Fortuna hörig und dachten gar nicht daran, aufzuhören. Vier Leute wollten das ganze Ding quer über Deutschland als Online-Projekt machen. „Aufziehen“ hatte einer es genannt. Aber denen antwortete ich nicht mehr. Auf so Internetprojektfritzen mit Anzügen und Turnschuhen, die jede Baustelle ihres Lebens und jeden Zahnarztbesuch zu einem Projekt erklärten, hatte ich keinen


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