Nie wieder Fußball!. Stefan Tillmann

Nie wieder Fußball! - Stefan Tillmann


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hatte er seit drei Jahren eine Freundin. Sabine hatte er auf dem Geburtstag seines jüngeren Bruders kennengelernt. Eine promovierte Soziologin.

      „Promovierte Soziologin“, sagte Karl leise zu sich.

      Vor einem halben Jahr hatte sie beim Abendessen den Löffel neben den Teller gelegt. „Ich habe ein Angebot aus Düsseldorf“, hatte sie gesagt. Fortuna, hatte Sven gedacht, um Himmels willen Fortuna.

      Die Gruppe lachte, auch Karl. Sven musste schmunzeln.

      „Jetzt bin ich hier und will ein neues Leben anfangen. Ich konnte ja schlecht sagen: Mein Job bei der Post ist so super, wir müssen in Bremen bleiben. Außerdem machen das moderne Männer doch so, oder? Ich will jedenfalls keine emotionale Marionette mehr sein. Das ist wie bei dir, Ralf, ich will jetzt nicht immer am Wochenende nach Bremen fahren. Ich arbeite jetzt unter der Woche wieder bei der Post, hier am Bahnhof, da will ich am Wochenende meine Ruhe. Und mir nicht die Laune und die Freizeit in einer Fußballkneipe verderben. Sabine ist echt ’ne tolle Frau, versteht ihr? Mit der will ich auch mal was unternehmen. Was erleben!“

      „Und deswegen triffst du dich am Samstagnachmittag mit drei fremden Männern. Da wird sich deine Freundin freuen“, sagte Karl laut. Doch keiner lachte.

      „Sabine kennt mich“, antwortete Sven sehr ruhig. „Die weiß, wie schwer das für mich ist. Ich habe ja die letzten Jahre fast nichts anderes gemacht außer Fußball. Ich meine, mal ehrlich, was denn auch?“

      Ich nickte betreten. Sven und ich saßen im selben Boot, sollte er auch noch so rumzicken. Auch Ralf war sicher. Nur Karl blieb ein Wackelkandidat.

      Zum Schluss erzählte Karl seine Geschichte, für mich war das seine letzte Chance. Er kam mir vor wie die rheinische Ausgabe von Waldemar Hartmann. Aber ich hatte nichts gegen einen Gute-Laune-Onkel, an die Spezies hatte ich mich in Düsseldorf gewöhnt. Doch er sollte es auch ernst meinen und das Projekt nicht als lustigen Freizeitvertreib sehen. Das war es nämlich ganz sicher nicht.

      „Jut, ich bin also Karl und nicht Pommes. 54 Jahre alt, geboren in Langenfeld, zwischen Leverkusen und Düsseldorf. Seit ich 17 bin, arbeite ich in Düsseldorf. Ich wohne in Holthausen, könnt auch sagen: Ich bin Holthausener. Und Gasund Wasserinstallateur. Ja, ja, Gas-Wasser-Scheiße, schon klar.“

      Karl hatte zwei Kinder und eine Enkeltochter. Der Fanklub schenkte ihm sofort ein Fortuna-Trikot, auf dem hinten „Opa“ geflockt war. Die Tochter war damals 25 und wohnte mit dem Kind in Düsseldorf ein paar Straßen entfernt. Der Sohn war 20 und zum Studium nach München gezogen. „Maschinenbau“, sagte Karl stolz. „Mein Sohnemann geht da auf so ’ne Elite-Uni und ist das ganze Wochenende nur am Lernen.“

      „Sei froh, dass er nicht zu den Scheiß-Bayern geht“, sagte Sven sehr ernst. Wir nickten alle.

      Ich blieb skeptisch. Lief doch alles bei ihm, er hätte doch schön weiter zum Fußball gehen können. Aber dann erzählte Karl, dass der Fußball auch ihn fertigmachte. Er hatte von allen am meisten erlebt. Nicht nur wegen seines Alters. Die Gruppe wurde ganz leise, als er erzählte: Aufstieg, Pokalsiege, ’79, damals gegen Hertha 1:0 nach Verlängerung, ’80 gegen Köln, Europapokalfinale gegen Barcelona in Basel: 3:4 nach Verlängerung. Abstieg der Fortuna ’86 nach 16 Jahren Bundesliga. Seitdem hatte die Fortuna einen unvergleichlichen Ritt durch die Ligen hingelegt, war zweimal ganz unten und stand immer wieder auf. Karl war so etwas wie der Boris Becker der Fußballfans: Jeder kannte ihn, aber die großen Erfolge lagen lange zurück.

      Nun war die Fortuna wieder einmal in der Bundesliga, doch Karl durfte und wollte das alles nicht mehr. Sein Arzt hatte ihm sogar abgeraten: das Herz, die Aufregung. Nicht noch mal hoffen, scheitern, nicht noch mal Bundesliga, nicht noch mehr reinsteigern. Die Sache mit der Fortuna war Karl in den vergangenen Jahren viel zu ernst geworden. Auch wenn sie im Fanklub „Red Religion“ fröhlich schunkelten, für ihn war das schon lange kein Spiel mehr, vielleicht tatsächlich eher so etwas wie ein Glaube.

      Er erzählte uns, wie er unter der Woche von Kunde zu Kunde eilte, um sich unter irgendwelche Waschbecken zu legen, und wie er leise im Kopf die mögliche Aufstellung runterratterte. Mit den Kollegen hatte er ein Tippspiel, und natürlich war das Gelächter groß, wenn er montags seinen Kollegen Helmut traf, den Gladbacher, und die Fortuna verloren hatte. Aber witzig fand das Karl schon lange nicht mehr.

      „Das Schlimme ist doch: Du kommst da nicht mehr so leicht raus. Je öfter du da hingehst, je mehr du mitmachst, dich auskennst, desto häufiger denkst du daran. Es ist eine verdammte Sucht.“ Jetzt, wo sein Sohn in München studierte, wäre ein guter Zeitpunkt, mit alldem aufzuhören. Es ärgerte Karl selbst, dass sie am Telefon fast immer nur über die Fortuna redeten.

      „Ich meine, das mit dem Studium kapier ich ja auch nicht: Seminar, Vorlesung, Tutordingsda. Axel, Lumpi, das ist doch unsere Sprache.“ In der Sommerpause hatte er gemerkt, dass es auch anders geht. Er hatte seine Tochter mit der Enkelin getroffen, sie waren spazieren gegangen, auf den Spielplatz. Und als der Sohn aus München für eine Woche da war, waren sie alle zusammen im Zoo gewesen.

      Karls Frau war vor langer Zeit abgehauen, als sich Fortuna wieder mal auf dem Weg in die Bedeutungslosigkeit befand. Eine Affäre mit einem Arbeitskollegen. „Jeden Samstag“, sagte er nur leise. Wir nickten alle. Als Karl die Betrügereien herausbekam, flippte er aus, dann zog sie aus, und Karl biss sich noch stärker in die Fußballleidenschaft hinein. Nun wollte er etwas Neues. Seinen Sohn hatte er gelöchert, er wollte alles über dessen Studium wissen und auch über München. Bislang kannte Karl nur die Strecke mit der U3 zum Olympiastadion, Fortuna hatte dort das letzte Mal 0:5 verloren. In der Arena war er noch nie gewesen. Und das wollte er sich auch nicht mehr antun.

      „Ich will es auf jeden Fall mal versuchen“, sagte Karl. „Wenn’s gut läuft, habe ich mein halbes Leben noch vor mir. Das will ich nicht mehr in Kneipen, Stadien und Straßenbahnen verbringen.“ Irgendwann habe man eben alles gesehen und erlebt. „Das 2:0 in Chemnitz durch zwei Glavas-Tore ’95, die zwei Pokalsiege ’79, ’80, das werde ich nie vergessen. Jetzt der Aufstieg gegen Berlin …“

      Ralf guckte auf den Tisch.

      Karl würde von allen am meisten aufgeben müssen – und dafür zollten wir ihm Respekt. Fanklub-Treffen, Freunde, Gespräche mit dem Sohn. Er hätte es sich leichter machen und einfach in eine Fußballkneipe gehen können, so wie Tausende andere auch. Aber er konnte das Gequatsche dort nicht ertragen – das vom Kommentator und das von den Leuten.

      Karl hatte mich überzeugt. Damit hatte ich nicht gerechnet. Bei 400.000 Menschen, die jede Woche alleine in der Bundesliga ins Stadion gingen, waren wir vier zwar noch lange keine Sensation – und keineswegs die Massenbewegung, die ich im Sinn hatte. Aber die Saison hatte ja auch noch gar nicht angefangen.

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