Voll die Latte. Axel Formeseyn
geschrien und geweint und da musste ich die ganze restliche Stunde am Rand auf der Bank sitzen und zugucken, während die anderen ziemlich viel Spaß hatten und mir immer wieder, wenn sie an meiner Bank vorbeikamen, zuriefen: „Sport bei deiner Mama ist super!“
Pah! Fußball ist viel superer als Handball! Ein Glück, dass ich Maik hab! Der kommt also vorbei und wir düsen los. „Ich rieche schon den Rasen“, ruf ich und ich könnte verrückt werden, so viel Bock hab ich auf Fußball! Wir bolzen die Pille schon Richtung Fußballplatz, als der – kein Wunder bei all den Hagebuttensträuchern drum herum – noch gar nicht zu sehen ist. Rumms! Das schockt!
Der Platzwart vom TSV Nordstrand heißt auf Plattdeutsch, was bei uns in Nordfriesland viel gesprochen wird, Fiete Oog, was auf Hochdeutsch so viel heißt wie Friedrich Auge, was so viel heißt wie: Der Platzwart schielt. Und nicht zu knapp, was jedes Wochenende aufs Neue die gekreideten Außenlinien auf dem Fußballplatz beweisen. Das ist einem als Fan der ersten Herren des TSV jedes Mal ein bisschen peinlich, wenn die Linien bei den Spielen so schief sind. Die gegnerischen Mannschaften müssen ja denken, dass die sonst wo gelandet sind, wenn sie auf Nordstrand spielen müssen. Mit Fiete Oog ist auch sonst nicht zu spaßen, so nimmt er zum Beispiel nach den Spielen immer schnellstmöglich die Tornetze ab, damit uns Jungs Fußballspielen auch ja keinen Spaß bringt und keiner auf die Idee kommt, auf dem Fußballplatz Fußball zu spielen. Außer die richtigen Fußballer vom TSV, die Erwachsenen, mit denen sich Fiete Oog nicht anzulegen traut, die dürfen Fußball auf Tore mit Netzen spielen, was ja wenigstens was ist, wenn man sich die schiefen Linien einmal anschaut.
Heute haben wir Glück. Gestern war im TSV-Clubheim offenbar noch bös was los, so dass Fiete Oog noch nicht aus den Federn gekommen ist und darum eines der kleinen Tore tatsächlich und ausnahmsweise mal ein Netz draufhat, und los geht das. Einer von uns beiden geht ins Tor. Der andere spielt draußen Bundesliga und kommentiert nebenbei die Spiele und das bin na klaro ich, schließlich rufe ich gleich bei uns zu Hause, bevor wir losrennen: „Erster Draußenspieler ohne Streit!“ Fußballspiele ohne Kommentator schocken überhaupt nicht, das geht bestimmt jedem vernünftigen Fußballfan so. Ganz genauso wie im Fernsehen, in der Sportschau, muss das bei uns laufen. Und während ich mir selber die Bälle zuspiele und herumgrätsche und Einwürfe mache und Freistöße schieße und bei Schiedsrichter-Fehlentscheidungen die Hände in die Luft werfe, kommentiere ich die Szenen, die ich fleißig vor mich hinspiele: „Anpfiff am Münchengladbacher – oder hieß das Mönchengladbach? – Bökelberg.“ Und ich lege mir den Ball ein bisschen vor und renne hinterher. „Und hier ist Winfried Hannes, der Libero, am Ball und… .“ Ich schieße aufs Tor, der Ball fliegt jedoch weit drüber, rein in die Hagebuttenbüsche. „….whooooooooooooaaaaaaaaaaaa! – das sind die Fans – drüber!“
Maik kriecht in den Hagenbuttenbusch, in dem der Ball liegt, flucht ein bisschen, holt ihn raus, wirft ihn mir zu und ich bin schon wieder unterwegs. „Nun treibt Ata Lameck – was ist Ata bloß für ein 1a-Vorname – den Ball für den VfL Bochum nach vorne!“
Und ich will schon wieder abziehen, da drehe ich mich mit dem Ball am Fuß vom Tor weg und schiebe den Ball ein wenig zur Seite, denn bei so einem richtigen Fußball-Bundesligaspiel, da kann es natürlich nicht immer nur rauf und runter gehen, da sind auch mal schwächere Phasen dabei: „Schön den Ball erobert, aber was ist das jetzt für ein Mittelfeldgeplänkel der Gladbacher Borussen?!“ Wie auch immer das Spiel läuft: Im Kommentieren bin ich ziemlich gut.
Das findet auch Maik, der, während ich nun Fortuna Düsseldorf gegen Bayern München spiele, laut jubelt: „Geil, dass Bayern 0:3 zurückliegt. Aber jetzt kann doch auch Atli Edvaldsson noch ein Tor machen, oder? Ich werf dir den Ball zu und Kopfball und 4:0 für Fortuna Düsseldorf!“
„Geile Idee!“
Und ich krieg den Ball auf den Kopf und Maik bewegt sich extra ein bisschen langsamer in die Ecke und – „whhhhoooooaaaaaaaaa! – 4:0 für Fortuna Düsseldorf! Wenn das so weitergeht, meine Damen und Herren, dann löst der HSV den FC Bayern nach diesem Spieltag als neuer Tabellenführer ab.“ Ich quatsche ja echt zu gerne das nach, was die Radiofritzen immer so rumreden, und diesen Schnack von wegen „Wenn das so weitergeht…“, den hab ich erst neulich bei NDR2 am Samstagnachmittag gehört.
Wobei ja eigentlich die Saison noch gar nicht angefangen hat. Das schockt übrigens echt am meisten, sich vor der Saison mit dem Kicker-Sonderheft aus der vorigen Saison zu überlegen, welche Spieler zu welchen Vereinen wechseln könnten. Maik und ich liegen dann den ganzen lieben langen Tag zwischen Schafkötteln und Touristen am Deich, also direkt an der Nordsee rum, baden aber nicht, wie auch, dafür haben wir schließlich gar keine Zeit, wir haben wichtige Transfergeschäfte abzuwickeln! Wir lesen also das alte Kicker-Sonderheft und lernen die Kader der Mannschaften auswendig und machen Transferlisten und überlegen uns, was solche Spieler wie Bodo Mattern von Darmstadt 98 kosten, wenn die zum Beispiel zum VfB Stuttgart wechseln würden. Bayern und Werder und Köln kaufen immer die größten Krampen zusammen und für HSV haben wir – na klaro – immer die supersten ausländischen Starspieler in petto, am liebsten die geilsten Spieler aus England und die schlagen dann regelmäßig wie die allergrößten Bomben ein, schießen an den ersten Spieltagen prompt mindestens zwei Tore und werden von uns auf dem Nordstrander Fußballplatz mit Ehrenrunden um die Hagebuttenbüsche gefeiert: „Und da läuft Steve Archibald jubelnd in die Westkurve und bedankt sich bei seinen Fans!“
Das geht dann meistens so lange, bis die supersten ausländischen Star spieler dann am nächsten Tag wieder langweilig werden und wir uns neue ausländische Starspieler ausdenken, die für HSV spielen könnten und die dann am ersten Spieltag wieder gleich zwei Tore machen und von uns dann mit Ehrenrunden um die Hagebuttenbüsche gefeiert werden, und so geht das dann, bis wir wieder an der Nordsee liegen, und so weiter und so fort.
Und zwischen diesem ganzen Geschacher um neue Spieler spielen Maik und ich – na klaro – Fußball und das schockt dann erst so richtig! Borussia Mönchengladbach trennt sich am ersten Spieltag vom VfL Bochum mit 1:1. Fortuna Düsseldorf gewinnt mit 4:0 gegen Bayern München, die für 1,2 Millionen Mark Peter Loontiens von Bayer 05 Uerdingen gekauft haben, wobei der allerdings „überhaupt nicht eingeschlagen“ hat, wie Maik nach dem Spiel meint. „Ich hätte von dem ja echt mehr erwartet.“
So stehen wir herum, trinken einen Schluck gelbe Brause und schnauben mal durch.
„Jetzt wird’s aber mal Zeit für das HSV-Spiel!“
Das finde ich – na klaro – auch: „Geile Idee!“
Und dann geht’s los.
Mit dem Diskutieren. Maik findet nämlich, wahrscheinlich nicht ganz zu Unrecht: „Du hast schon zwei Spiele gespielt. Jetzt bin ich aber mal Draußenspieler.“
Wir wollen ja beide, dass HSV gewinnt, aber Maik wird immer so schnell fickerig, wenn das in der – sagen wir mal – 80. Minute noch nicht 1:0 für HSV steht. Ich dagegen mag ja auch gerne mal ein 1:1 oder so, weil nämlich: „Das ist viel realistischer!“ Was Maik ganz anders sieht: „Du immer mit deinem ‚realistisch‘!“ Womit er allerdings wahrscheinlich schon wieder gar nicht mal so Unrecht hat, denn ein klarer Sieg im ersten Spiel – klaro zu Hause, im Volksparkstadion – würde HSV nun echt gut zu Gesicht stehen, das weiß auch ich, und so steht es nach – na klaro von mir gespielten – siebzig Minuten dann etwas überraschenderweise 5:0 für HSV und die Torschützen heißen Dieter Schatzschneider – der ist tatsächlich gerade für Horst Hrubesch gekommen und macht bei uns gleich in seinem ersten Spiel für HSV drei Tore! Was für ein Einstand! – und Manfred Kaltz mit Elfmeter – nach Foul an Schatzschneider, anders ist der ja auch gar nicht zu bremsen – und Charly Nicholas – so ein englischer Spieler, von dem Maik im Kicker gelesen hat – mit einem „Flatterball“, das meint zumindest Torwart Maik.
Es ist kurz vor Schluss beim Spiel HSV gegen Kaiserslautern und ich spiele mir selber den Ball so ein bisschen lässig hin und her und spiele mal zurück zum Torwart, weil, auch Maik meint: „Kaiserslautern ist ja sowieso noch gut bedient mit dem 0:5!“
Doch jetzt geht das Affentheater