Voll die Latte. Axel Formeseyn
1:0 gewonnen, aber Meister sind sie nicht geworden.“
Nun hab ich das also fast schriftlich, dass HSV kein Meister geworden ist. Einen kurzen Augenblick denke ich, dass Maik sein Papa mich bestimmt angelogen hat. Zutrauen kann man dem das.
Naja. Nächstes Jahr wird HSV sowieso wieder Meister und dann wollen wir doch mal sehen, wer wem die Haare zerzaust!
3. April 1985
HSV – Werder Bremen 2:0
Ich bin so was von aufgeregt. Heute ist Mittwoch, morgen haben wir schulfrei, HSV spielt gegen Werder, Maik schläft bei mir und wir werden lange aufbleiben und Chips essen und Radio hören und die Zusammenfassung im Fernsehen gucken und dann die ganze Nacht Scheiße bauen, bis Mama reinkommt und sagt: „Jungs, nun ist aber mal gut.“ Und wir werden sagen: „Jaa-ha!“ Und Mama wird sich wieder schlafen legen und ein paar Minuten später wieder in der Tür stehen, weil wir nicht aufhören können mit Scheißebauen, und sie wird uns noch einmal ermahnen und sich hinlegen und dann werden wir wieder zu laut sein und so weiter.
Ich bin schon die ganze Nacht vorher so was von aufgeregt wie nur was. Erstens ist HSV-Torwart Uli Stein verletzt, was bedeutet, dass Ersatztorwart Uwe Hain ins Tor muss, was allein schon wegen seiner Dauerwelle, die fast genauso aussieht wie die von Mama, merkwürdig ist und dann auch noch ausgerechnet gegen Werder! Wenn das man gutgeht. Vor allem aber bin ich aufgeregt, weil, immer wenn Maik bei mir schläft oder ich bei ihm, dann tun wir die ganze Zeit so, als wären wir HSV-Spieler und schlafen im Hotel. Als wir noch klein waren, spielten wir immer die beiden Superstürmer Horst Hrubesch und Lars Bastrup und mit den Fernbedienungen, die wir irgendwo in der Wohnung gefunden hatten, telefonierten wir immer mit unseren Spielerfrauen und fragten, was unsere Spielerkinder denn so trieben und wie es beim Frisör gewesen war und was der Hund so machte und ob überhaupt zu Hause alles in Butter war, während wir auf Tour mit dem HSV waren. Und mit dem Softball haben wir im Hotelzimmer dann „Pfeilrückzieher“ geübt, ganz genauso wie es Hrubesch und Bastrup in ihrem Hotelzimmer bestimmt auch gemacht haben, in echt.
Nun sind Hrubesch und Bastrup allerdings schon längst weg, und seitdem läuft es auch nicht mehr so gut beim HSV. Mal wieder ist eine Saison schon fast rum und schon wieder gibt es neue Spieler. Dieses Jahr spielen wir am liebsten Mark McGhee und Gerard Plessers. Mark McGhee ist ein schottischer Mittelstürmer, den HSV vom FC Aberdeen geholt hat. Mark McGhee ist super. Er kann zwar nicht so gut Fußball spielen wie Horst Hrubesch, aber er scheint voll nett zu sein und das ist doch ein super Anlass, Englisch zu sprechen. Englisch sprechen kann ich nämlich jetzt, denn ich habe Englisch in der Schule. Gerard Plessers spricht mit Mark McGhee bestimmt auch Englisch. Dann passt das ja, dass die beiden zusammen auf einem Hotelzimmer liegen und mit ihren Frauen telefonieren und sich mit einem Softball ein bisschen warmspielen für das Bundesligaspiel am nächsten Tag. Gerard Plessers ist ein belgischer Libero, den HSV von Standard Lüttich geholt hat, und das Geilste bei Gerard Plessers ist, dass er immer die supersten Rückpässe zu Uli Stein spielt. Er steht dann ungefähr an der Mittellinie und immer, wenn er nicht weiß, wohin mit dem Ball, knackt er ihn halt zurück zu Uli Stein und zwar mit vollem Karacho! Soll Uli doch sehen, wohin mit dem Ball! Gerard Plessers ist super.
Und Uli Stein ist verletzt und ich habe die ganze Nacht nicht geschlafen, weil ich so aufgeregt bin. Ein Glück, Maik kommt schon früh am Nachmittag und wir können den ganzen Tag McGhee und Plessers spielen. Abends hören wir dann das Spiel im Radio. Werder kommt angeblich gar nicht groß vor das HSV-Tor und wenn, dann ist Uwe Hain da und hält den Ball. Ein Glück! HSV gewinnt mit 2:0, wobei das zweite Tor Thomas von Heesen schießt, von dem Papa später auf dem Sofa sagt, während wir alle die Zusammenfassung im Fernsehen sehen: „Was hat der denn für ein Vogelnest auf dem Kopf? Unmögliche Frisur!“
Papa soll sich mit seiner Frisur gerade melden! Ich finde ja sowieso, dass es am HSV überhaupt gar nichts auszusetzen gibt, schon gar nicht von Papa, der alten Meckerziege!
20. April 1985
HSV – Bayern München 2:1
HSV spielt gegen Bayern, und Papa und ich fahren mal wieder mit dem D-Zug von Husum nach Hamburg, allerdings nicht ohne uns von Mama, bevor wir losfahren und sie uns einige belegte Brote einpackt, noch sagen lassen zu müssen, dass wir schön aufpassen sollen, wenn wir in Hamburg sind.
Wenn man mit Papa Fußball guckt, wird es meistens ein bisschen anstrengend und schon auf der Hinfahrt ist Papa, während ich mit dem Lüftungsgitter in der Abteiltür herumspiele, nur am Quaken, was Mark McGhee doch für eine Pflaume sei, und ich denke, wenn hier heute einer aufpassen muss, dann ja wohl Papa, so ein loses Mundwerk, wie der hat. Der soll man im Stadion nicht an den Falschen geraten, mit seinem ewigen Gemecker. Okay, HSV hat letzte Woche bei Bayer Uerdingen verloren, aber was Papa hier so alles vom Stapel lässt, geht doch zu weit. McGhee ist eine Pflaume? Dann kann Papa ja nachher mal nach unten auf den Rasen gehen und mitspielen und dann kann er mal sehen, wo er bleibt! Selber Pflaume!
Und überhaupt soll der sich melden! Das Stadion ist heute nämlich dermaßen ratzeputzevoll, dass Papa nur noch Karten für die Ostkurve bekommen hat. Nicht zu fassen! HSV spielt gegen Bayern und wir stehen in der Ostkurve! Aber groß am Meckern! Während die Westkurve auf der anderen Seite heute besonders super aussieht, stehen wir also mit ein paar Bayern-Fans und Rentnern und Vätern mit ihren Kindern in der Ostkurve und ich gucke genervt rüber zu Papa und denke nur: „Mannmannmann!“
Das Spiel wird angepfiffen und mein Papa hört gar nicht mehr auf mit Meckern gegen McGhee. Ich überlege mir, dass ich nun langsam alt genug sein müsste, bald mal alleine ins Stadion zu gehen. Und ich male mir aus, wo ich später mein Dosenbier kaufen kann und wie ich über die Kinder lachen werde, die mit ihren Vätern in der Ostkurve stehen, da rauscht ein Schuss von Mark McGhee vom Strafraumeck aufs Bayern-Tor und drin ist er! 1:0! Papa und ich umarmen uns und Papa brüllt mir ins Ohr: „Das war ja echt ein Supertor von McGhee!“ Und ich gucke Papa das ganze Spiel über von der Seite an und bin richtig stolz und freue mich, dass er McGhee jetzt auch super findet. Genauso wie ich!
Als wir abends wieder zu Hause sind und gemütlich mit Mama und meiner Schwester auf dem Sofa hocken, da sagen sie im Aktuellen Sportstudio im ZDF, dass McGhee eigentlich flanken wollte und nicht schießen, und weil der Wind so doll war, ist der Ball „aus Versehen“ im Bayern-Tor gelandet, so dass das Tor nur „Windtor“ genannt wird. Klar, dass mein Vater nun auch noch seinen Senf dazugeben muss: „Kein Wunder. Ohne den Wind hätte McGhee in zehn kalten Wintern kein Tor geschossen. Die Pflaume.“ Und ich Blödmann dachte, Papa ist jetzt auch McGhee-Fan. Ich hätte das besser wissen müssen…
3. August 1986
Rot-Weiß Niebüll – HSV 1:8
Heute spielt HSV bei uns, fast um die Ecke, in Niebüll. Klar, dass Papa und ich da hinmüssen. Zumindest ich. „Fahren wir nun da hin, Papa? Fahren wir nun da hin?“, nerve ich so lange rum, bis der irgendwann nachgibt. „Ja, wenn’s denn unbedingt sein muss, dann fahren wir da eben hin!“
Ich jubele laut los und bin den ganzen Tag damit beschäftigt, das Auto für das große Spiel schön herzurichten. Für das Spiel Rot-Weiß Niebüll gegen HSV! Soll ja jeder sehen, dass wir zum HSV fahren, und so ziehe ich meinem HSV-Schlumpf den Schal, die Mütze, den Pulswärmer aus und außerdem hab ich noch die Bettwäsche von oben geholt und dann hab ich alles schön sauber auf die Rückbank von unserem neuen Opel Rekord gelegt.
Leider hat Papa den Blumenkranz, den unsere Nachbarn an die Stoßstange geflochten haben, schon abgenommen. Wir sind letzte Woche, glaube ich, jeden Tag auf sämtlichen Straßen kreuz und quer über Nordstrand gefahren, damit auch alle sehen, was wir für eine neue Karre haben. Und dann sind wir irgendwann tatsächlich an Maik vorbeigefahren und ich hab schön das Fenster runtergekurbelt und den Arm locker raushängen lassen und dann gerufen: „Ey, Maik! Geile Karre, was!?“ Der hat vielleicht Augen gemacht!
Wir